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Sondergipfel in Brüssel - Rhetorik der Rettung

Der EU-Flüchtlingsgipfel bleibt weit hinter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten zurück. Der unredliche Diskurs der Politiker macht alles noch schlimmer. Europa setzt auf Abschottung

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Das Boot ist voll, Europa kann nicht die ganze Welt  retten. Das sagte zwar niemand beim EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Doch das ist die Botschaft, die von den Beschlüssen ausgeht.

Statt die erfolgreiche italienische Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“ zu übernehmen und zu verlängern, setzen die EU-Chefs auf einen massiven Ausbau der gescheiterten Grenzschutzmission „Triton“.

Statt humanitärer Hilfe schicken sie die Marine. Vor allem London und Paris suchen eine militärische Lösung - bis hin zum „Krieg gegen die Schlepper“, wie es EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos nennt.

Große Worte und vage Taten
 

Statt großzügiger Aufnahme von Flüchtlingen planen die Chefs ein vages Pilotprojekt. Ein paar tausend Migranten wollen sie aufnehmen - nicht einmal die genaue Zahl steht fest. Und wo sie bleiben sollen, ist weiter umstritten.

Dabei gab sich Kanzlerin Angela Merkel große Mühe, einen anderen Eindruck zu erwecken. Nach den vermutlich mehr als Tausend Toten der letzten Woche müsse die Seenotrettung höchste Priorität genießen, sagte sie in Brüssel.

Es gehe „um die Akzeptanz der Europäischen Union, ihrer Werte weltweit“, fügte sie hinzu. Das klang nicht ganz so interessengeleitet wie beim britischen Premier David Cameron, der sich im Wahlkampfmodus befindet.

Cameron sagte ganz offen, dass er zwar Flüchtlinge  retten, aber keineswegs aufnehmen werde. Die Entsendung zusätzlicher Schiffe machte er sogar ausdrücklich davon abhängig, dass die Migranten in Italien bleiben.

So wollte es Merkel nicht formulieren. Doch auch ihre Verhandlungslinie beim Krisengipfel läuft auf Abschottung hinaus. Deutschland habe, zusammen mit Schweden, schon jetzt die größten Kontingente aufgenommen, betonte sie.

Und bevor man weitere Flüchtlinge empfange, müsse Italien erst einmal sicherstellen, dass diese auch ordentlich registriert werden. Das läuft auf ein ähnliches Ergebnis wie bei Cameron hinaus, nur formuliert es Merkel anders.

Das Sterben geht weiter
 

Sie sagt es netter, menschlicher – doch auch Merkel verbreitet eine Doppelbotschaft. Eine richtet sich nach draußen in die Welt, die andere nach drinnen, ans heimische Publikum. Und das ist vielleicht das Hauptproblem dieses hektisch einberufenen, heillosen Rettungsmanövers.

Sie bleibt nicht nur weit hinter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten zurück, wie alle Experten betonen. Die EU müsste kurzfristig mindestens 10.000 Flüchtlinge aufnehmen und langfristig Optionen für eine legale und sichere Zuflucht schaffen.

Die Aktion ist auch nicht redlich. Sie schafft eine humanitäre Fassade, hinter der das Sterben weitergeht. Sie verspricht Rettung, wo es doch um Abschottung und Rückführung geht. Nicht nur in London, auch in Berlin.

Mit dieser Art Doppelbeschluss sichert die EU nicht ihre Werte, sondern sie macht sie unglaubwürdig. Sie erhöht nicht ihre Akzeptanz, sondern wird inakzeptabel – und zwar sowohl nach innen als auch nach außen.

Die Rhetorik der Rettung wird schon beim nächsten Bootsunglück Lügen gestraft werden. Merkel und Co. wären daher besser beraten gewesen, über humanitäre Hilfe zu sprechen. Doch dazu konnten sich die Chefs nicht durchringen. Das Boot ist voll…

 

Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer beschäftigte das Magazin Cicero auch in seiner Ausgabe vom Dezember 2014. „Das Boot ist voll“ lautete der Titel, der den zynischen Satz kommentiert, mit dem die deutsche Abschottungspolitik schon in den 1990er Jahren begründet wurde. Das Heft können Sie hier nachbestellen.

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