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Griechischer Politologe - „Drohungen sind Teil jeder Verhandlung“

Der Politikwissenschaftler Georgios Karyotis empfindet den Verhandlungsstil der Deutschen nicht als Erpressung. Taktieren und Bluffen gehöre zu jeder politischen Auseinandersetzung dazu. Im Interview erzählt der gebürtige Grieche, was er von Schäubles Auftreten und Tsipras' Gesinnungswandel hält

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Scholz, Claudia

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Herr Karyotis, viele griechische Politiker verurteilten den Verhandlungsstil Deutschlands und der Institutionen in Brüssel als Erpressung. Ist das übertrieben?
Klar ist, dass beide Seiten – Griechenland und die Kreditgeber – ihre Interessen durchsetzen wollten. Teil eines jeden Verhandlungsprozesses sind strategische Doppeldeutigkeiten, Bluffs, Drohungen und Versprechungen. Ich interpretiere das aber nicht als Erpressung, auch nicht im Fall von Deutschland. Schließlich lagen auch Alternativen, wenn auch ungewünschte, auf dem Tisch. Die letzten Verhandlungen wurden in einem sehr feindlichen Klima voll gegenseitigem Misstrauen geführt. Diese vermittelten den Eindruck – nicht nur in Griechenland, auch im Rest Europas – dass die griechische Regierung für die vorherige Protesthaltung bestraft und aus der Eurozone gestoßen werden sollte. Das lieferte Euroskeptikern neuen Stoff. Fragen danach, wie die Eurozone überhaupt noch funktionieren soll, wurden lauter. Das hätte verhindert werden können.

War Wolfgang Schäubles strenge Haltung gerechtfertigt?
Dr. Schäuble ist ein erfahrener und erfolgreicher Politiker. Seine Rolle war an erster Stelle, die Interessen und den Willen Deutschlands zu vertreten. In diesem Licht erscheint seine harte Haltung und der Druck, den er auf die griechische Regierung ausübte, gerechtfertigt. Weniger konstruktiv war der Schäuble zugeschriebene Vorschlag eines Grexits auf Zeit für Griechenland. Solche Vorschläge, auch wenn sie nur als diplomatische Züge oder Hypothesen verwendet werden, gefährden die Solidarität in Europa.

Alexis Tsipras hat eine 180-Grad-Wende hingelegt. Am Mittwochabend setzte er sich im Parlament für die Zustimmung neuer Sparmaßnahmen ein, die er eine Woche zuvor verurteilt hatte. Ist er überhaupt noch glaubwürdig?
Tsipras ist bewusst geworden, dass die bisherige Syriza-Strategie falsch war und beendet werden müsse. Diese Entscheidung kam jedoch viel zu spät. Er musste viele seiner Parteikollegen vor den Kopf stoßen. Aber die Entscheidung kam dennoch rechtzeitig, um einen Grexit und mittelfristiges Chaos für das Land zu verhindern. Man sollte Tsipras’ Gesinnungswandel und seine Entscheidung, Kompromisse einzugehen, begrüßen als eine positive Entwicklung für Griechenland und es weniger als Zeichen von Schwäche oder Unglaubwürdigkeit verurteilen.

Was bedeutet das „Ja“ im griechischen Parlament für Tsipras und Griechenland?
Die Zustimmung zu den Sparmaßnahmen ist das erste notwendige Signal für die Institutionen, dass die Vereinbarungen auch eingehalten werden.

Tsipras sind bei der Abstimmung 39 seiner eigenen Syriza-Leute davongelaufen. Steht die Partei noch hinter ihm?
Syriza war immer schon eine Koalition, die viele unterschiedliche Positionen und Ideologien umfasste. Die Lektion, die Tsipras während der fünf Monate gelernt hat, ist, dass die radikalen Stimmen innerhalb von Syriza weder konstruktiv noch realistisch sind und an den Rand gedrängt werden müssen. Tsipras folgt nun den moderateren Ansichten in seiner Partei. Es ist jedoch ein klarer Riss in der Partei erkennbar. Tsipras wird sich von jenen entfernen, die gegen ihn gestimmt haben.

Varoufakis stimmte gegen Tsipras. Ist der Bruch zwischen beiden endgültig?
Tsipras hielt Varoufakis für eine sehr intelligente Person und einen guten Ökonomen. Er erklärte aber auch, dass ein guter Ökonom nicht notwendigerweise auch ein guter Politiker ist, womit er Varoufakis‘ missglückte Rolle als Finanzminister meinte. Varoufakis wollte einen kriegerischen Weg gegen die Institutionen gehen, dann wurde er überstimmt und schließlich musste er die Regierung verlassen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Varoufakis – auch wenn er Gegenteiliges sagt – Syriza verlassen und eine eigene, radikale Partei gründen wird.

Eine Größe sind in Griechenland die Gewerkschaften. Wie viel Einfluss hat Syriza auf sie?
Nach meiner aktuellen Analyse haben die Gewerkschaftsmitglieder Syriza im Januar 2015 nicht aus tiefer Überzeugung gewählt, sondern weil es das kleinere Übel war. Seit dem konnte Syriza einige Gewerkschaften auf ihre Seite ziehen. Aber die Partei mit der größte Nähe zu den Gewerkshaften bleibt die sozialistische "Pasok". Nur die rechtsextreme Partei "Goldene Morgenröte" und die Griechische Kommunistische Partei waren gegen den Deal mit den Institutionen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Proteste sich in Grenzen halten werden. Anders als 2010 oder 2011.

Hat Tsipras immer noch viel Rückhalt in der griechischen Gesellschaft?
Tsipras ist trotz allem immer noch der glaubwürdigste und populärste griechische Politiker. Bei einer aktuellen Umfragte, die nach der Vereinbarung mit den Institutionen am vergangenen Montag erhoben wurde, waren 60 Prozent der Griechen positiv auf Tsipras zu sprechen (gefolgt von dem Führer der Neuen Demokratie Meimarakis, der 50 Prozent bekam). Rund 7 von 10 Leuten wollten, dass er sein Amt behält, selbst bei einer Neubildung der Regierung.

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Eine Maßnahme der neuen Sparauflagen ist die Privatisierung. Wie lange wird das dauern?
Privatisierung braucht ihre Zeit und verlangt womöglich nach noch günstigeren Konditionen als es die jetzigen sind. Dass jedoch die angestrebten 50 Milliarden Euro durch Privatisierung zusammenkommen, halte ich für sehr unrealistisch.

Wenn das so unrealistisch ist, wird dann Griechenland überhaupt Reformen durchführen oder erwartet uns in drei Jahren eine ähnliche Situation?
Wichtig ist, dass die Griechen hinter den Reformen stehen. Und sie nicht als Strafe der Kreditgeber ansehen, sondern als Möglichkeit, Griechenland zu stärken. Aber die Frage, wie Griechenland seine Schulden tragen soll, bleibt unbeantwortet. Die Griechen sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Je früher es einen Schuldenschnitt gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Reformen nicht ein weiteres Mal entgleisen.

Zwei Mal sind Reformen gescheitert. Kann Griechenland wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen?
Auf der Kommunikationsebene ist es wichtig, auf die Wiederholung negativer Stereotype zu verzichten, wie das von den „faulen und mogelnden Griechen“ und jenes von den „aggressiven und belehrenden Deutschen“. Diese Stereotype behindern die Gesundung der Beziehung. Griechen, Deutsche, Europäer müssen zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Vorwürfe und Schuldzuweisungen sind fehl am Platz.

Die Kreditgeber misstrauen Griechenland und möchten die Umsetzung der Reformen kontrollieren. Die Griechen fühlen sich dagegen bevormundet. Wie kann Vertrauen wieder aufgebaut werden?
Vertrauen stellt sich zu allererst durch Taten ein. Wichtig ist, dass die griechische Wirtschaft innerhalb der Eurozone gestärkt wird. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie die Eurozone demokratischer wird und wie sie sich in Zukunft besser gegen Krisen wappnen kann.

Das Interview führte Claudia Scholz

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