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„Alles für Frankreich!“

Sie sind Franzose und waren Topmanager eines der größten deutschen Konzerne. Warum darf bis heute kein Deutscher einen französischen Konzern führen? Das kann man sich bis heute in Frankreich tatsächlich nicht vorstellen. Der Colbertismus kehrt zurück. Jean Baptiste Colbert war Finanzminister Ludwigs des XIV. und begründete mit seinem Merkantilismus die französische Vorherrschaft in Europa. Keine schönen Aussichten. Allerdings. Novartis durfte den deutsch-französischen Pharmakonzern Aventis nicht übernehmen, nicht etwa, weil Novartis schweizerisch ist, sondern weil Novartis nicht französisch ist. Aus demselben Grund soll Siemens nicht beim französischen Alstom-Konzern einsteigen dürfen, obwohl es ökonomisch für beide sinnvoll wäre. Das ist Unsinn, ein Kindergartenstreit, der viel mit der Tiefenpsychologie des europäischen Selbstverständnisses zu tun hat. Dass die Franzosen so reagieren, ist ein Erbe ihrer Geschichte. Sie sind eben latent nationalistisch. Wenn ich in Frankreich bin, erlebe ich das jeden Tag. Alles für Europa – aber sobald es ein wenig kühl wird: alles für Frankreich. Es ist ewig dieses Oui, mais … dieses Ja, aber … Nicht, dass ein Politiker wie Jacques Chirac nicht intelligent genug wäre, die Gegenwart wahrzunehmen. Aber die Interessen, die um ihn herum existieren, sind von einer andern Welt. Gerhard Schröder nennt den französischen Wirtschaftsminister Sarkozy „extrem nationalistisch“. Ist er das? Das sagt Herr Schröder natürlich nicht ohne Abstimmung mit seinem Freund Chirac. Sarkozy und Chirac hassen sich. Das ist nahe liegend. Sarkozy will Staatspräsident werden. Und der wird ja nicht von den Parteien, sondern vom Volk gewählt. Das heißt: Der Wirtschaftsminister muss so populistisch und nationalistisch agieren, um überhaupt als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten in Frage zu kommen? Ja, das hat er von Chirac gelernt. Der ist nur Staatspräsident geworden, weil er früher als Landwirtschaftsminister eine extrem national orientierte Agrarpolitik betrieb. Das gefiel den Leuten. Als Staatspräsident durfte er dann mehr Staatsmann sein. Das wird akzeptiert. Ist es eine Generationenfrage? Sehen das junge Franzosen anders? Unter den Managern sicher. Wir müssen noch sechs, sieben Jahre warten, bis jüngere Manager an die Spitze kommen, die mit EU und Brüssel kein Problem mehr haben. Nach innen national, nach außen europäisch: Diesen Spagat kann erst die nächste Generation schaffen, ohne dabei dauernd die übrige EU zu brüskieren. Wann wird der erste Deutsche in Frankreich Konzernchef sein? Frühestens in zehn Jahren. Der Minderwertigkeitskomplex in der französischen Wirtschaft gegenüber Deutschland ist noch immer stark. Aus diesem Empfinden heraus würde man derzeit keinen Deutschen in einer solchen Spitzenposition dulden. Es kommt hinzu, dass die französischen Elite-Hochschulen noch immer kompakte Seilschaften in die Führungsebene bringen. Da hat es von außen jeder schwer. Sie haben Freunde und Bekannte unter den deutschen Managern. Wie viele davon sprechen französisch? Oh là là. Da fällt mir spontan tatsächlich kein Name ein. Bei den Franzosen ist es mit dem Deutsch aber eher noch schlimmer. Trotz großer Bemühungen auf allen möglichen Ebenen lernen immer weniger die Sprache des anderen. Englisch macht das überflüssig. Überhaupt nicht. Ich habe das als Manager oft erlebt. In den offiziellen Konferenzen redet man natürlich englisch. Nachher, beim Lunch oder beim Frühstück, wo oft die wirklich wichtigen Gespräche stattfinden, ist es anders. Wenn zwei aus verschiedenen Nationen in einer dritten Sprache miteinander sprechen, hat das Gespräch eine ganz andere Qualität, keiner fühlt sich richtig wohl. Als ich für VW mit Skoda verhandelte, hatte ich einen tschechischen Verhandlungspartner, der hervorragend Deutsch konnte. Er wusste, dass ich keine Mühe mit Deutsch habe. Aber er sprach lieber französisch mit mir. Er war richtig stolz darauf und natürlich hat uns das einander sehr schnell näher gebracht. Ist Renationalisierung mehr als nur eine vorübergehende Erscheinung? Gerhard Schröder hat deutsche Unternehmer als unpatriotisch getadelt, die ihr Unternehmen ins Ausland verlagern wollen. Patriotismus in diesem Zusammenhang zu bemühen, scheint mir in einer globalisierten Wirtschaft anachronistisch. Aber es wäre den Deutschen nicht in den Sinn gekommen, so zu reagieren wie die Franzosen. Deutsche sind viel zurückhaltender, wenn es um nationale Interessen geht, auch die jüngere Generation. Deutsche Manager reden im Ausland selten deutsch. Bloß nicht gleich als Deutscher erkannt werden! Ich habe das immer bedauert. Einzige Ausnahme ist der Sport, dort kompensieren viele Deutsche unterdrückte nationale Empfindungen. Das Gespräch führte Fred David

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