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Wie gefährlich sind die Terroristen wirklich?

Wo kommen sie her? Was sind die Gründe der islamistischen Gewalt? Wie groß ist die Gefahr eines terroristischen Super-Gaus? Zwei der renommiertesten Terrorismusforscher ziehen eine Zwischenbilanz – und warnen.

26 Jahre. Wohlerzogen. Verheiratet. Weitgereist.

von Marc Sageman

Ich habe Nachforschungen über hunderte Terroristen angestellt, die in direktem oder indirektem Kontakt zu Osama bin Ladens Terrornetzwerk stehen oder standen. Unser stereotypes Bild vom armen, einsamen, jungen Mann, der in den staubigen Armutsvierteln der muslimischen Welt aufwächst, von Fundamentalisten einer Gehirnwäsche unterzogen wird und fortan fanatische Anschläge ausübt, ist falsch. Es wäre zwar irgendwie beruhigend zu glauben, diese Jungs seien ganz anders als wir, aber das ist leider nicht der Fall.

Die große Mehrheit der Al-Quaida-Mitglieder stammt aus gutbürgerlichen, ja wohlhabenden Familien. Bei Terroristen arabischer Herkunft (Saudi-Arabien, Ägypten, Jemen, Kuwait etc.) ist dieser Anteil besonders hoch, während Terroristen niedriger sozialer Herkunft meistens aus den maghrebinischen Staaten Nordafrikas kommen.

42 Prozent der untersuchten Terroristen haben ein abgeschlossenes Hochschulstudium, weitere 29 Prozent haben studiert ohne Abschluss und immerhin gut zwölf Prozent haben eine gymnasiale Schulausbildung. Nur die indonesischen Terroristen entstammen reinen Religionsschulen. Sie sind in der Regel mehrsprachig. Sie haben also einen hohen Bildungsgrad und sind alles andere als aussichtslose Tagelöhner.

Etwa 60 Prozent kommen aus den Kernländern Arabiens (vor allem Saudi-Arabien und Ägypten), 30 Prozent aus den Maghreb-Staaten und zehn Prozent aus Indonesien. Sie entstammen in aller Regel intakten Familienverhältnissen. Auch ihre Berufsausbildung ist qualifiziert, nur ein Viertel kann man als unqualifiziert bezeichnen. Drei Viertel waren verheiratet und die Mehrheit hatte sogar Kinder. Ich entdeckte keine Geisteskrankheiten in dieser Gruppe oder ähnliche typische Prädispositionen für Terrorismus.

Das Durchschnittsalter, mit dem sie sich dem Jihad verschreiben, beträgt 26 Jahre. Die Indonesier werden etwas älter Terroristen (30), die Kernaraber in jüngeren Jahren (23). Drei Viertel entscheiden sich im Ausland für den Terrorismus – in einer Lebensphase, wenn sie (zu Ausbildungszwecken) weit von der Heimat, von Freunden und Familien entfernt leben. Weitere zehn Prozent waren Ausländerkinder der zweiten Generation, die sich von der Heimat ihrer Eltern wieder stark angezogen fühlten. Also waren bemerkenswerte 84 Prozent tatsächlich von ihren kulturellen und sozialen Wurzeln abgeschnitten.

Werdende Terroristen haben in aller Regel ihre traditionellen Bindungen verloren und erleben eine schlagartige Hinwendung zur Religion. Viele von ihnen hatten wahrscheinlich Heimweh, fühlten sich einsam, marginalisiert und wohl auch gesellschaftlich ausgeschlossen. Sie suchten Moscheen auf, nicht so sehr wegen ihrer eigenen Religiosität, sondern weil sie Freundschaften suchten. Dort gelangten sie unter den Einfluss radikaler Moslems, die ihnen erzählten, sie seien unglücklich, weil sie von der Gesellschaft ausgestoßen würden. Der Grund dafür sei der allgemeine Werteverfall, die Korruption, der Materialismus und die Dekadenz des Westens, den man deswegen bekämpfen müsse. Nur die indonesischen Terroristen haben einen stringenten Lebenslauf von der islamisch-fundamentalistischen Religionsschule direkt in die Terrorcamps.

Candide, Kassandra und die Zukunft des Terrorismus

von Walter Laqueur

Während der „klassische“ Terrorismus früherer Prägung gegen einzelne Persönlichkeiten gerichtet war, Könige, Minister, Generäle, so ist der neue Terrorismus heute nicht mehr selektiv in der Wahl der Opfer. Und damit wurde eine neue Situation geschaffen – in mancher Beziehung sehr verschieden von dem, was man noch in den siebziger Jahren als Terrorismus bezeichnet hatte. Während der islamistische Terrorismus in dieser Zeit nur eine von vielen Spielarten war, so ist er heute der bedeutendste.

Trotz dieser Wandlungen führt der neue Terrorismus heute in seiner Beurteilung zu den leidenschaftlichsten Kontroversen. So ähnlich war es auch mit dem Terrorismus der siebziger Jahre. Einige rechtfertigten ihn als Ausdruck der gequälten, unterdrückten, ausgenutzten Kreatur, der Ärmsten der Armen, der Verzweifelten dieser Erde, die keine Rechte mehr hatten. Stand nicht schon bei Schiller zu lesen, dass Tyrannenmacht eine Grenze habe und dass zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr verfangen will, ihm das Schwert gegeben sei? Das klang überzeugend, nur stimmte es nicht recht, denn für die meisten Terroristen war die Gewalt eben nicht die Ultima Ratio sondern die Prima Ratio. Und warum sollten sie das Schwert benutzen, wenn eine Bombe im Supermarkt bedeutend mehr Menschen töten konnte?

In den Kontroversen der siebziger Jahre konnte man häufig hören, dass Armut die Wurzel des terroristischen Übels wäre, dass des einen Terroristen des anderen Freiheitskämpfer sei, ein Terrorist ein Mensch sei wie jeder andere („wie du und ich“). Es stimmt, dass derartige Weisheiten seltener zu hören sind, aber das hat lange gedauert und ganz verschwunden sind sie keineswegs. In der arabischen Welt (um nur ein Beispiel zu geben) hat es nicht die meisten Terroristen dort gegeben, wo es die größte Armut gab, sondern dort, wo die radikalsten fundamentalistischen Imams den Jihad predigten. Oder in Indien – gerade in den ärmsten Gegenden hat es dort kaum Terrorismus gegeben, sondern gerade in den relativ wohlhabenden und denjenigen Gegenden, wo die Gegensätze zwischen Reich und Arm weniger ausgeprägt waren. Wenn manche der Missverständnisse und Fehleinschätzungen aus der Frühzeit der Terrorismusforschung inzwischen verschwunden sind, so sind viele neue an ihre Stelle getreten. Die Tatsache, dass sich heute viel mehr Menschen für politische Gewalt interessieren (und für den Islam in Geschichte und Gegenwart), ist sehr zu begrüßen, aber wie das englische Sprichwort sagt: A little knowledge is a dangerous thing, und berechtigt nicht unbedingt zu apodiktischen Verallgemeinerungen.

Noch wichtiger ist die Notwendigkeit, sich von vorgefassten politischen Meinungen frei zu halten; man erinnere sich nur, wie sehr sich viele amerikanische und westeuropäische Orientalisten (Edward Said möge mir verzeihen) in den neunziger Jahren getäuscht haben, als sie die Bedeutung der radikalen Elemente in der muslimischen Welt völlig unterschätzten. Sie täuschten sich nicht, weil ihre Kenntnis der arabischen Sprache und der Religion des Islam ungenügend war, sondern weil sie ihre politischen Vorurteile nicht überwinden konnten oder wollten – dass nämlich in einem Konflikt zwischen dem Westen und den muslimischen Radikalen die Verantwortung und die Schuld immer (oder fast immer) beim Westen zu suchen sei.

Die Fehlurteile der letzten Jahre sind so häufig und so verschiedener Natur, dass es schwer fällt zu entscheiden, wo die Aufzählung beginnen soll. „Krieg dem Terrorismus“ ist kein glücklicher Ausdruck, und die Tatsache, dass Amerika die führende Rolle in diesem Konflikt dem Militär überlassen hat, ist bedenklich. Demgegenüber hat man eingewendet, dass Terrorismus im Grunde eine Taktik ist, keine Ideologie, eher mit dem Blitzkrieg zu vergleichen. Aber auch das ist bestenfalls eine Halbwahrheit. Natürlich stimmt es, dass Terrorismus von radikalen Gruppen der Linken wie der Rechten, von fanatischen religiösen Gläubigen wie von nationalistischen Extremisten ausgeübt werden kann. Vor hundert Jahren spielte der Islamismus keine Rolle in der terroristischen Szene – und wer weiß, ob er in hundert Jahren noch sehr wichtig sein wird. Aber das entscheidende Element ist nicht die Ideologie, sondern ein fanatischer, quasi religiöser Glaube, und dem ist nicht mit den gesammelten Werken von John Locke und Voltaire über Toleranz beizukommen, auch nicht mit theologischen Disputationen (wir glauben alle an einen Gott) und Bemühungen, einen gemeinsamen ökumenischen Nenner zu finden. Ich fürchte, dass auch die wohlmeinenden Politiker, die glauben, dass der freiheitliche Westen die besseren (d. h. stärkeren) Argumente im Kampf gegen die Unfreiheit hat, eine Enttäuschung erleben werden.

Ein solcher Fanatismus kann entweder durch einen noch extremeren Fanatismus besiegt werden oder aber dadurch, dass der religiöse/nationalistische Fanatismus im Laufe der Zeit an Intensität verliert, was historisch sehr wahrscheinlich ist. Fanatismus ist schwer von der einen Generation zur anderen zu überliefern, die Versuchungen des dekadenten Westens sind vielfältig und heimtückisch; die jungen Leute sind nur schwer im Ghetto zu halten (junge Frauen noch eher als junge Männer). Man kann mit ziemlicher Sicherheit annnehmen, dass die gegenwärtige fanatische Welle irgendwann schwächer werden wird, nur ist es ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Uhr tickt weiter, die die Ankunft der Massenvernichtungswaffen im Lager der Terroristen anzeigt.

Unter den Missverständnissen und Fehlurteilen über den Terrorismus trifft man am häufigsten die Behauptung, dass Gewalt gegen Terrorismus erfahrungsgemäß nicht hilft (von unmittelbarer Verteidigung einmal abgesehen). Natürlich stimmt es, dass viel mehr getan werden sollte, als bisher geschehen ist, um das Umfeld der Terroristen aufzuklären und zu beeinflussen („den Sumpf auszutrocken“, soweit das möglich ist). Es stimmt auch, dass ein wenig Gewalt häufig nutzlos und sogar schädlich ist, es sei denn, die terroristische Gruppe ist klein und in der Gesellschaft isoliert. Aber massiver Gewalt gegenüber haben die Terroristen keine Chance, wobei man noch nicht einmal auf Nazi-Deutschland oder Russland unter Stalin zu verweisen braucht; selbst in Spanien konnte die ETA erst nach Franco ihre Tätigkeit aufnehmen, ähnlich war es in Griechenland nach dem Sturz der Obristen oder in Südamerika in den siebziger Jahren. Als im Jahre 1980 Hafez Assad, der syrische Herrscher, mit terroristischen Umtrieben in Homs und Hama zu kämpfen hatte, gab er seinen Truppen freie Hand – 20000 bis 30000 Menschen kamen in dem Blutbad um, aber mit dem Terrorismus in Syrien war es für viele Jahre zu Ende. Auf ähnliche Weise wurden terroristische Gruppen in Algerien, dem Iran (unter Khomeinei) und anderen nahöstlichen und nordafrikanischen Ländern liquidiert. Massive Gewalt hat bisher immer über den Terrorismus triumphiert. Es stimmt, dass dafür häufig ein politischer Preis gezahlt werden muss und dass Staaten das nur im wirklichen Notfall tun werden.

Bedeutet das, dass nur Diktaturen erfolgreich Terroristen bekämpfen können und dass die Kur schlimmer ist als die Krankheit? Demokratische Gesellschaften haben Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, wenn sie die Strategie der „asymmetrischen Kriegsführung“ akzeptieren und für legitim halten. Dieser Ausdruck erschien erstmalig in den neunziger Jahren, das Ding an sich ist Jahrhunderte alt. Es bedeutet, dass der demokratische Staat an gewisse Gesetze, Regeln und internationale Übereinkommen gebunden ist, wie etwa das Völkerrecht, wie es sich nach dem Westfälischen Frieden entwickelte, die Haager Konvention, die Genfer Konventionen, die Protokolle und Zusatzprotokolle der Jahre 1947/48 und 1977, was die Behandlung von Kriegsgefangenen betrifft. Wenn etwa Soldaten oder andere Sicherheitskräfte vorsätzlich Zivilisten wahllos töten, foltern oder als Geiseln nehmen, so machen sie sich der Kriegsverbrechen schuldig. Wenn etwa die Amerikaner Saddam Hussein nach seiner Gefangennahme keinen monatlichen Sold bezahlt haben, ist das eine grobe Verletzung der Genfer Protokolle.

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