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() Diese Gaddafi-Anhängerin in Tripolis hofft offenbar auf einen Sieg des Dikators.

Lybien - Überlegungen zum Tyrannenmord: „Unser Schurke in Tripolis“

Der Geschäftspartner Muammar al-Gaddafi in Tripolis war im Nebenberuf Staatsterrorist. Jetzt führt er Krieg gegen sein eigenes Volk. Nur US-Präsident Ronald Reagan erwog einst, Gaddafi auszuschalten.

Warum hat die zivilisierte Welt einen exemplarischen Staatsterroristen wie Muammar al Gaddafi jahrzehntelang ertragen? Warum war der Tyrannenmord nur noch das Sujet verstaubter Balladen, abgesehen von altphilologischen Dissertationen oder Gewaltfantasien aus der Traumwelt Hollywoods? Die Laufbahn dieses arabischen Despoten scheint beispielhaft für die ethische Hilflosigkeit aller Realpolitik im Umgang mit Mördern in Staatskanzleien.

Wer Muammar al Gaddafi im Gespräch erlebt hat, und das war seit Jahrzehnten fast jeder europäische Staatschef, inklusive Blair, Schröder und Sarkozy, aber auch eine ungezählte Schar von Journalisten, Ölmanagern, Finanzjongleuren oder Waffenhändlern aus aller Herren Länder, der musste sein Beduinenzelt mit der festen Überzeugung verlassen haben, einem wahrhaft Verrückten begegnet zu sein. Als einer der Ersten hatte es Ägyptens Präsident Anwar al Sadat erkannt: Der Mann sei „wahnsinnig“. Der bis dahin furchtbarste Terrorakt seiner Zeit, der Bombenanschlag auf den Pan-Am-Flug 103 von London nach New York im Jahr 1988, ging nach Aussage eines seiner Minister auf Gaddafis persönliche Rechnung.

Aus dem schönen Putschisten von 1969 war im Lauf der Jahrzehnte ein Fantast mit zerfließendem Cäsarengesicht geworden, umgeben von Speichelleckern aus korrupter Verwandtschaft. Und wenn schon, mögen sich die öl- und dollarhungrigen Schmeichler aus Europa gedacht haben: ein blutiger Schurke, gewiss, aber „unser Schurke“ – und „unser Öl“. Es war auch „unser Geld“: Ungezählte Millionen bunkerten er und seine Camarilla auch in deutschen Banken.

Wäre er nicht das legitime Objekt eines Tyrannenmords gewesen? Jeder Hinweis auf diese ultimative Möglichkeit, unschuldige Menschenleben in großer Zahl durch eine tödliche, singuläre „Intervention“ außerhalb der eigenen Grenzen zu retten, stößt zumal in Deutschland auf juristisch wohlfundierte Gegenargumente. Mord bleibt Mord, lautet die klare Antwort, und sie hat den meisten Widerständlern im Dritten Reich den Mut zur rettenden Tat genommen. Mehr noch, jeder Vergleich übler Potentaten wie Saddam Hussein, Muammar al Gaddafi oder Idi Amin mit Adolf Hitler gilt hierzulande als illegitime, ja taktlose Gleichsetzung „kleiner“ Killer mit dem Kolossalmörder des Dritten Reichs. Auch der Hinweis auf die unbestreitbare Tatsache, dass ein englischer oder französischer tödlicher Anschlag auf Adolf Hitler noch vor 1939 womöglich 50 Millionen Menschenleben gerettet hätte, würde nichts verschlagen: Hypothetische Geschichtsschreibung ist Dichtung, lieber lernen wir nichts aus ihr.

Die politische Weltordnung beruht seit dem Westfälischen Frieden auf dem Gedanken der Staatssouveränität, mithin auf dem Verbot fremder Einmischung in innere Staatsangelegenheiten. Einzig ein UN-Mandat erlaubt militärische Interventionen im Namen der Menschenrechte und der Konvention gegen Völkermord. Dass auch die Bundesrepublik ohne dieses Mandat im Kosovo – nach Serbiens zehntausendfachen Morden an albanischen Kosovaren – militärisch eingriff, erregt immer noch manche Völkerrechtler im Lande: Fiat iustitia et pereat mundus …

Die wochenlang zögerliche Haltung der Nato im Falle Libyens spiegelte nicht nur strategische Ungewissheiten über den Ausgang einer militärischen Einmischung, sondern ganz gewiss auch das schlechte Gewissen der Bündnispartner angesichts ihrer jahrelangen Kollaboration mit dem Verrückten in Tripolis wider. Und doch: Sollte es einem Libyer gelingen, Gaddafi aus nächster Nähe zu erschießen, würde ihm weder vor dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag noch sonst wo der Prozess gemacht werden. Sollte aber der „König aller afrikanischen Könige“ (ein weiterer seiner absurden Titel) von einer fremden Macht gezielt getötet werden, wäre der weltweit öffentliche Aufschrei unüberhörbar. Scheinheiligkeit gehört zur Praxis der Realpolitik.

Eine internationale Gebrauchsanleitung zum Tyrannenmord existiert nicht. Und es stimmt ja: Wer garantiert, dass auf einen „neutralisierten“ Despoten nicht der nächste folgt? Wer im Ausland will entscheiden, dass die mörderischen Angriffe eines lokalen Tyrannen auf sein armes Volk irgendwann unerträglich geworden sind? Die Bundesregierung jedenfalls nicht: Die Regierung kann sich in Zukunft hinter der verkorksten Bundeswehrreform verstecken. Spätestens im Juli fehlen Tausende Soldaten.

Wieder einmal schaut die westliche Welt auf den amerikanischen Präsidenten. Er ist aus einem anderen, womöglich weicheren Holz geschnitzt als Ronald Reagan, der mit einem Bombardement durch amerikanische Kampfflugzeuge im Jahr 1986 vergeblich versuchte, Gaddafi auszuschalten, nachdem die CIA und das Bundeskriminalamt Libyen als Anstifter eines tödlichen Sprengstoffattentats in Berlin identifiziert hatten. In manchen Regierungen der westlichen Welt war das heimliche Bedauern groß. Doch spätestens seit dem Irakkrieg ist den Vereinigten Staaten der Geschmack an moralisch begründeten Kriegseinsätzen – weg mit dem Diktator Saddam Hussein! – vergangen. Denn dass es einzig um die Freiheit der Iraker ging, ließ und lässt sich angesichts der mehr als 150000 Toten auch nicht mehr behaupten. Es ging um Öl und Erdgas.

Tyrannenmord steht nicht auf der Agenda von Gaddafis ehemaligen politischen Freunden und Geschäftspartnern in aller Welt. Sollen die Libyer doch selber sehen – so mögen sie gedacht haben –, wie sie mit ihm fertig werden. Oder umgekehrt. Mit seinen Nachfolgern würde man sich auch noch arrangieren.

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