Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(Ramon Haindl) Die Bildersammler Jacob Klein und Nathan Cowen in Berlin Mitte

Freunde von Freunden - Improvisation des guten Geschmacks

Vier Berliner betreiben ein Online-Magazin, das dokumentiert, wie Kreative in der Hauptstadt wohnen. Jetzt erscheint es in Buchform

Berlin, die große Kreativmetropole, sie lebt. Nicht nur als Kulisse in Werbung und Seifenopern, sondern in Wirklichkeit – als mehr oder weniger gut funktionierender Mikrokosmos mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, in dem sich ein weitgehend selbstbestimmtes Arbeitsleben ohne Krawatte, Kostüm oder feste Bürozeiten realisieren lässt. In dem nicht über Firmenwagen, Bausparverträge und schon gar nicht über den nächsten Bonus gesprochen wird, sondern über Gründungszuschüsse und darüber, wie man die entsprechenden Anträge formuliert. Über Ateliers, die man alleine oder gemeinschaftlich bezieht und über Magazine, Blogs oder Agenturen, die man mit Gleichgesinnten gründet. 

Natürlich scheitern viele dieser Projekte, und natürlich existiert gerade in Berlin das von der Autorin Katja Kullmann in ihrem Buch „Echtleben“ beschriebene Kreativ-Prekariat: Intellekt und Geschmack, zeitweise auf Hartz IV. Aber zunehmend gibt es eben auch Erfolgsgeschichten.

Es sind die Geschichten jener, die sich eine Nische geschaffen haben, die mit ihrer Expertise oder ihrem Handwerk mittlerweile Geld verdienen und es sich so in ihren vier Wänden gemütlich gemacht haben. Dort manifestiert sich dieser Erfolg nicht durch repräsentativ zur Schau gestellten Luxus, sondern durch einen speziellen Kultivierungsgrad, den man entweder beherrscht oder eben nicht. Es geht um einen bestimmten Geschmack, den man auch als Geschick bezeichnen könnte: verhältnismäßig günstige Stücke zu romantisieren, ihnen durch anekdotische Überhöhung eine Persönlichkeit zu verleihen und sie vor hellgrauen Wänden und zwischen Fünfziger-Jahre-Mobiliar zu einem Stimmungsbild zeitgenössischer Berliner Bohème zu arrangieren.

Genau dieses Berlin des improvisierten guten Geschmacks wollten die vier Macher von „Freunde von Freunden“ zeigen, als sie 2009 mit der gleichnamigen Website starteten. Tim Seifert, Frederik Frede, Thorsten Bergler und Ailine Liefeld waren, wie in Berlin so häufig, „um eine Agentur herum“ organisiert, „die mit mittelmäßiger Auftragslage so dahin dümpelte“. Aus dem Gedanken, dass man aus dem großen Netzwerk an Freunden und Bekannten, „richtig guten Leuten, die spannende Projekte, Läden oder Wohnungen haben“, doch irgendetwas machen sollte, entstand mit freundevonfreunden.com ein Online-Magazin, das als visuelle Bestandsaufnahme der Lebensumstände der Berliner Kreativszene funktioniert.

Warum die Bildsprache der "Freunde" so erfolgreich ist, auf der nächsten Seite

Die Bildsprache ist ruhig und unaufgeregt – die Menschen auf den Fotos machen das, was sie immer machen: frühstücken, Bilder aufhängen, tele-fonieren, rauchen. Weil aber Leben und Beruf an diesen Orten fließend inein-ander übergehen, sieht man sie häufig auch bei der Arbeit. Und so liefert das Magazin einen faszinierenden Einblick in die Rituale diverser Kreativ-berufe, der Art Direktoren, Grafik- und Modedesigner, Illustratoren, Architekten, Fotografen und Shop-Besitzer, deren Berufsalltag mit jenem von Juristen, Bankern, Lehrern kaum etwas zu tun hat.

Als Inspiration diente auch das amerikanische Online-Magazin „The Selby“. Dieses füllt der inzwischen zum Kult-fotografen avancierte Todd Selby mit Bilderfluten aus den Wohnungen seines globalen Hipster-Bekanntenkreises: Models, Modedesigner, Musiker. Im Unterschied zu Wohnmagazinen werden die Räume vor dem Fotoshooting aber nicht gestylt oder dekoriert. Intime Details versetzen den Betrachter in die Rolle eines Voyeurs: der Inhalt von Kleiderschränken, die Unordnung auf Schreibtischen. Im Gegensatz zu den kühlen und minimalistischen Inszenierungen, die man aus Architekturzeitschriften kennt, wirken diese Einblicke erfrischend lebensecht und sinnlich.

So sieht man auch bei „Freunde von Freunden“ etwa die liebevoll an die Wand genagelte Ledertaschen-Sammlung der Schwedin Malin Emlid, die einen Altbau in Prenzlauer Berg bewohnt. Stillleben mit selbstgebackenem Brot zieren ihre Küche; selbstgepflückte Blumensträuße und disparate Vasen stehen in allen Räumen. Allein auf die Bilder von Malin Emlid gab es enorme Resonanz: Print-Magazine kauften Aufnahmen aus der Serie, die „Brigitte“ buchte ein Modeshooting im gleichen Stil.

Mittlerweile ist auch Marken wie „Nokia“ oder „Design Hotels“ daran gelegen, ihre Mitarbeiter in Unternehmensbroschüren in der Art der vier Berliner zu präsentieren. Diesen ist nämlich nicht nur eine anschauliche Milieustudie gelungen, sondern gleichzeitig eine perfekte Referenz dessen, was ihre Agentur als Dienstleistung anbietet. Diese Konzepte zu reproduzieren und für Laien einleuchtend auf den Punkt zu bringen, ist allerdings nicht ganz einfach. Denn die Produkte der Agentur entstehen meist im Team und können Fotografie, Film und journalistisches Arbeiten inklusive Layout umfassen. Vom vorangegangenen „konzeptionellen Arbeiten“ ganz zu schweigen.

Lesen sie mehr über typische Berliner Wohnsituationen

Bereits neun Monate nach dem Start gewann das Projekt im Jahr 2010 in der Kategorie Onlinemagazin einen Lead-Award, die jährliche Auszeichnung für herausragende Arbeiten aus deutschen Print- und Onlinemedien. Seitdem fühlt sich das Team von „Freunde von Freunden“ erst recht verpflichtet, einen aussagekräftigen Querschnitt zu zeigen: „Am Anfang“, erinnert sich Seifert, „gab es einen Überhang an Altbauwohnungen. Aber es gibt auch andere Wohnformen, die für Berlin typisch sind.“

Dazu gehört beispielsweise der riesige Loft des Malers Nikolai Marakov im Stadtteil Wedding, wo in einer freistehenden Badewanne Goldfische schwimmen. Oder die vom Galeristen Thomas Andrae nach Originalplänen restaurierte Muthesius-Villa im Berliner Villenbezirk Grunewald. Oder die Charlottenburger Atelier-Wohnung der Künstlerin Elvira Bach. Trotz dieser thematischen Öffnung und erster internationaler Features – aus Los Angeles oder Paris etwa – hat sich die beiläufige Bildsprache nicht verändert.

Die Faszination für „Freunde von Freunden“ erklärt Kunstsammler Christian Boros, Verleger des nun erscheinenden Bildbands und mit seinem „Kunstbunker“ ebenfalls als „Freund“ auf der Website vertreten, mit einer „Sehnsucht nach Echtem“. Er war überrascht von der „Gastfreundschaft“, die das Projekt trägt, da hier eindeutig Privates gezeigt werde – was wiederum ganz natürlich der Facebook-Ära entspreche. Man sehe den Bildern an, dass vor dem Fototermin zwar ein bisschen aufgeräumt wurde (wie immer, wenn Freunde kommen), aber dass eben kein Stylist vorher die Äpfel und Orangen in der Schale poliert habe. Er selbst sei erstaunt gewesen, welche Ecken die Fotografin Ailine Liefeld bei ihm zuhause fotografiert habe, „mit einem ganz anderen Blick“.

Adriano Sack, Autor des Vorworts für den Bildband und typische Vorzeigepflanze der Berliner Kreativszene, beschreibt das Projekt folgendermaßen: „Die Fotos sind gut, die Leute sympathisch, das Bild eines unprätentiösen, kultivierten, vielseitigen Berlin ist authentisch und vor allem dann überzeugend, wenn man keine Theorie über ein neues Bürgertum daraus macht. Ich jedenfalls habe an diesem schönen Projekt nur ein Detail zu kritisieren: dass ich selbst nicht dabei bin.“

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe von CICERO Choice, der Luxus-Beilage des Magazins CICERO.
Weitere Fotos: Ailine Liefeld

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.