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(picture alliance) Eine junge Muslimin fiebert für die deutsche Fußballnationalmannschaft mit

Muslima und Feminismus - Zwischen Burka und Minirock

Islam und Frauenfeindlichkeit sind nicht voneinander zu trennen; dies ist jedenfalls die Meinung von Alice Schwarzer und anderen europäischen Feministinnen. Doch dass Islam und Gleichberechtigung keine Antithese sind, zeigen muslimische Frauenbewegungen. Ihr Ziel ist es, ihren eigenen, islamfreundlichen Weg der Emanzipation zu finden.

Wer im Juli 2010 durch die Straßen von Paris schlenderte, konnte ein ungewohntes Schauspiel beobachten: Zwei junge Frauen stöckelten auf High Heels und in schwarzem Minirock durch die Straßen, wobei ihre Gesichter von schwarzen Schleiern bedeckt waren. Der mittlerweile berühmte Spaziergang der „Niqabitch“ (auf Deutsch „Burkaschlampen“) sollte ein humorvoller Protest gegen das Verbot der Ganzkörperverschleierung in Frankreich sein. Dabei ist das Zeichen, das die beiden Frauen setzen, durchaus ernst zu nehmen. Es verdeutlicht das Dilemma, in das muslimische Frauen gezwängt werden.

Immerzu wird von Muslima gefordert, sich für ein Lager zu entscheiden: für das veraltete, patriarchalische islamische oder für das moderne, demokratische und liberale westliche Wertesystem. Burka oder Minirock, Gottesfurcht oder Emanzipation, Muslima oder Feministin: Einen Mittelweg scheint es für Frauen nicht zu geben.

Ein gutes Beispiel ist die iranische Frauenfußball-Nationalmannschaft. Kopftuch oder Frauen-WM; vor dieser Wahl standen die Iranerinnen, die sich für die WM 2011 qualifiziert hatten. Die Fifa stellte ihre Teilnahme in Frage und argumentierte mit erhöhter Verletzungsgefahr durch das Kopftuch.

So wetterte auch die Feministin und EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer in ihrem neuen Buch „Die große Verschleierung” gegen das islamische Kopftuch. Es sei ein politisches Instrument, das sowohl die gewollte Abgrenzung der Muslime von den europäischen Gesellschaften sowie die Minderwertigkeit der Frauen symbolisiere.

In den Texten von Schwarzers Kolleginnen in ihrem Buch wird meist ein generelles Kopftuchverbot in Schulen nach dem Beispiel Frankreichs gefordert. Und natürlich soll dies im Sinne der Befreiung und Emanzipation muslimischer Mädchen vor dem altertümlichen, patriarchalischen, islamischen Wertesystem geschehen.

Doch sind die Bemühungen der europäischen Feministinnen wirklich im Sinne der Muslima?

Das Grundproblem des von Schwarzer und Kolleginnen betriebenen Feminismus ist, dass es auf der Voraussetzung beruht, Frauen weltweit seien eine global homogene Gruppe. Frauen aller Kulturen seien nämlich durch gemeinsame, geschlechtsbedingte Erfahrungen und den Wunsch nach Emanzipation verbunden. In dieser Sichtweise wird das westliche Gesellschaftsmodell als wünschenswertes Ziel für alle Frauen aufgeführt; schließlich haben europäische und amerikanische Feministinnen schon mehr als 150 Jahre erfolgreiche Erfahrungen im Geschlechterkampf.

Doch gerade dieser hegemoniale Standpunkt macht es den traditionellen Feministinnen unmöglich zu erkennen, dass es zwischen Frauen weltweit kulturelle, ökonomische und ethische Unterschiede gibt, die eine Emanzipation nach westlichem Modell nicht immer möglich oder gar wünschenswert machen. “Gleichberechtigung impliziert nicht, gleich gemacht zu werden”, bemerkt die deutsche Islamexpertin Sylvia Horsch, die selber mit 19 zum Islam übergetreten ist

Beispielsweise wird durch ein Verbot des Kopftuches in Schulen die Situation der jungen Mädchen noch erschwert. Sie müssen sich entscheiden, ob sie die westliche Vorstellung der Freiheit annehmen, dafür aber von ihrer Familie eventuell verstoßen werden; oder sie beschließen das Kopftuch anzubehalten und nicht zur Schule zu gehen. Damit verlieren sie jedoch ihr Recht auf Bildung. Dass manche Frauen das Kopftuch guten Willens und glücklich tragen, wird von Feministinnen um Elizabeth Badinter mit dem Argument der Gehirnwäsche abgetan.

Auch die Tatsache, dass Muslima in Schwarzers Buch, wie so oft in den Medien, als unmündige Opfer ihrer Religion dargestellt werden, ist kontraproduktiv. Tatsächlich ergab eine 2008 vom Institut Demoskopie Allensbach in Auftrag aufgegebene Studie, dass 91 Prozent der Deutschen den Islam und die Unterdrückung der Frau automatisch miteinander verknüpfen. Dieses Vorurteil der Unfähigkeit zur Selbstständigkeit macht es muslimischen Frauen schwer, sich öffentlich Gehör zu verschaffen und ihre Meinung als die eigene zu verkaufen. Muslima seien über die letzten Jahre „von Männern missbraucht und von Feministinnen verraten“ worden, empört sich die niederländische Journalistin und Islamexpertin Ceylan Weber.

Dass viele Frauen sich aber vom westlichen Feminismus ausgegrenzt fühlen, zeigt sich schon während der zweiten Welle des Feminismus in den 60er Jahren. Afro-amerikanische Frauen warfen der Bewegung vor, nur die Anliegen der weißen Mittelschicht zu vertreten. Zum Beispiel galt bei den Feministinnen die Familie wegen ihrer klassischen Geschlechterrollenverteilung als eine frauenunterdrückende Institution. Afro-amerikanische Frauen hingegen fanden gerade in der Familie die nötige Kraft und Zuflucht, um ihren von Rassismus und Armut geprägten Alltag zu überstehen. 1973 gründeten sie daher ihre eigene Bewegung, die NBFO (National Black Feminist Organization), die sich bis heute für die Anliegen farbiger Frauen stark macht.

Auch der Islam hat eine lange Geschichte eigener Frauenrechtsbewegungen, die während der Frühlingsaufstände in der arabischen Welt ihren Höhepunkt erreichte. Aber anders als der traditionelle Feminismus müssen islamische Frauenbewegungen nicht säkular sein. Im Gegenteil: Der Islam selbst ist der Schlüssel zur Emanzipation der Frauen, wie die muslimische Frauenrechtlerin und amerikanische Politikwissenschaftlerin Asma Barlas zeigen will. Mithilfe der Hermeneutik, der Reinterpretation des Korans, beweist sie, dass mit einer etwas anderen Leseart des Koran Islam und Frauenemanzipation nicht unbedingt in Widerspruch stehen.

In der Tat bietet der Koran, genau wie die Bibel, viel Raum für Interpretation; die Ausübung des heutigen Islam beruht auf verschiedenen Auslegungen, von denen die älteste dem achten Jahrhundert entstammt. Damals war die patriarchalische Rollenverteilung der Geschlechter noch ein Weg, um das Überleben einer Familie zu sichern. Doch in einer Zeit, in der der Rechtsstaat die Sicherheit der Bürger garantiert und das Essen nicht mehr gejagt werden muss, erscheinen viele Interpretation der heiligen Schrift überholt.

So sieht es auch Amina Wadud, amerikanische Professorin für Islamwissenschaften. Die gläubige Muslimin leitete als erste Frau weltweit eine islamische Gebetstunde in New York, an der sowohl Frauen als auch Männer teilhaben durften. Vor allem aber spielt das Internet heute eine wichtige Rolle für islamische Frauenbewegungen. Durch ihre Blogs haben Tunesierinnen wie Lina Ben Mhenni geholfen, die Revolution voranzutreiben. Auf Plattformen wie www.nafisa.de oder  www.al-sakina.de wird muslimischen Frauen verdeutlicht, dass ein Leben als pflichtbewusste Gläubige und gleichzeitig als unabhängige, gut integrierte, deutsche Frau möglich ist. Der Begriff des Feminismus wird bei ihnen jedoch wegen seiner westlichen Konnotation bewusst abgelehnt.

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