Steven Spielberg im Mai 2016 auf dem Filmfestival in Cannes
Steven Spielberg im Mai 2016 auf dem Filmfestival in Cannes / picture alliance

Steven Spielberg - „Meine Eltern dachten, mit meiner Psyche sei etwas nicht in Ordnung“

Heute läuft „Big Friendly Giant“ von Regisseur Steven Spielberg in unseren Kinos an. Cicero sprach mit der Hollywood-Legende über Ängste in der Kindheit und über Spielbergs frühe Filme

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Er gehört zu den Regie-Legenden von Hollywood, die Filme von Steven Spielberg gelten längst als Klassiker. Ob „Der weiße Hai“, „E.T. Der Außerirdische“, „Jurassic Park“ oder „Indiana Jones“. Neben Popcorn-Spektakeln war Spielberg auch stets für seriöse Stoffe gut. In „München“ schilderte er den Terroranschlag während der Olympiade. Mit „Schindlers Liste“ schließlich setzte er Oskar Schindler ein Denkmal, der mehr als tausend Juden vor dem Vernichtungslager Auschwitz rettete. Mit seinem neuen Film „BFG Big Friendly Giant“ präsentiert der Regisseur die Verfilmung eines Kinderbuchs von Roald Dahl, in dem ein kleines Mädchen von einem freundlichen Riesen entführt wird. Die Premiere gab es in Cannes. In der Suite des dortigen Carlton-Hotels hielt Spielberg, der im Dezember 70 wird, Interview-Audienz. Auf die Minute pünktlich erschien er dann, der nach Kassenergebnis erfolgreichste Regisseur der Welt. Hellblauer Pullover, Jeans, sympathisches Lächeln. 

Herr Spielberg, Ihre kleine Heldin in „BFG“ hat Angst vor den Riesen. Welche Ängste haben Sie in Ihrer Kindheit geplagt?
Ich war mein eigenes Monster. Ich hatte vor allem Angst, denn mein Vorstellungsvermögen war enorm. Da konnte sich jeder Stuhl ganz schnell in eine Spinne verwandeln. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Fünfjähriger in den Himmel schaute. Aus einer Wolke wurde ein schöner Schwan und daraus plötzlich ein Saurier. Und ich rannte schreiend nach Hause. Ich hatte wirklich eine hyperaktive Fantasie als Kind.  

Mit welchen Gefühlen haben Ihre Eltern das fantasievolle Kind begleitet?
Für meine Eltern wurde meine Fantasie tatsächlich zu einem Problem. Das ging so weit, dass sie einmal ernsthaft überlegt haben, mich ärztlich untersuchen zu lassen. Schließlich habe ich ständig Dinge gesehen, die es gar nicht gab und die nur für mich existierten. Mein Vater und meine Mutter dachten, mit meiner Psyche sei etwas nicht in Ordnung. Das war vermutlich auch so – aber es ermöglichte mir eine große Karriere! (Lacht)

Wie wichtig ist es für Sie, Ihr inneres Kind zu behalten?
Das Faszinierende an Kindern ist, dass sie einfach existieren. Wenn sie klein sind, wissen sie nicht, was richtig oder falsch ist – das spielt für sie keine Rolle. Das sind die Jahre der kompletten Freiheit, die damit enden, dass sich irgendwann das Gehirn einschaltet und vorgibt, wie man sich verhalten soll. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit.

Bringt einen die Magie des Kinos zurück in diese Zeit?
Absolut. Das Kino bietet die Möglichkeit, solche Erinnerungen aus der Kindheit in uns wachzurufen. Solche Gefühle kann man in sich wiederfinden, wenn man seine eigenen Kinder einmal genauer beobachtet. Oder indem man sich einen Film anschaut, der einen daran erinnert, wie es damals als Kind gewesen ist. Ich habe in meiner Karriere sehr oft mit Kindern gearbeitet. Für mich ist das immer eine wunderbare Erfahrung, weil Kinder einfach wahrhaftig sind.

Welchen Einfluss haben Videospiele auf den Filmgeschmack von Jugendlichen?
Der Einfluss scheint mir gering. Auch Kinder, die gerne Videospiele spielen, werden sich mit Vergnügen einen Film wie „BFG“ anschauen. Ich selbst war schon immer ein großer Fan von Videospielen und spiele sie bis heute noch leidenschaftlich gerne. Von „Assassin‘s Creed“ über „Block Ops“ bis „Call of Duty“ habe ich alle Level gespielt. Ich hatte einige Jahre sogar selbst eine Firma, die Videospiele entwickelte.

Was ist das Besondere für Sie am Film „BFG“?
Ich habe noch nie ein Märchen verfilmt, „BFG“ bedeutet damit für mich ein ganz neues Genre. Bei einem historischen Film wie „Amistad“, „Lincoln“ oder „Schindlers Liste“ kommt es auf die Fakten an, da fühle ich mich wie ein Journalist mit der Kamera und muss meine Fantasie unterdrücken. Im Unterschied dazu kann ich hier meiner Vorstellungskraft völlig freien Lauf lassen, nicht umsonst haben wir uns beim Dreh häufig über unsere Träume unterhalten.

Ist Fantasie nicht der Betriebsstoff eines Steven Spielberg?
Ich habe etliche Filme gemacht, bei denen ich meine Vorstellungskraft unterdrücken musste und kenne dieses Hunger-nach-Fantasie-Gefühl sehr gut. Dieses Gefühl war dieses Mal besonders groß, weswegen ich sehr dankbar war für ein Projekt wie „BFG“, bei dem ich alles erfinden konnte, was ich wollte. In gewisser Weise hat mich dieser Film zu meinen Wurzeln zurückgebracht.  

Sie feiern im Dezember Ihren 70. Geburtstag. Was haben Sie, Ihrer Meinung nach, in Ihrer Karriere erreicht?
Ganz einfach: Das Recht, selbst über meine Projekte entscheiden zu können. Das war für mich immer das einzige Ziel: Ich wollte meine Geschichten erzählen, ohne dass mir jemand hineinredet. Aus genau diesem Grund habe ich mein eigenes Studio gegründet. Die künstlerische Freiheit bedeutet mir alles.

Den meisten Leuten dürfte beim Namen Spielberg sofort eine Filmszene einfallen. Was ist Ihre persönliche Lieblingsszene aus all Ihren Werken?
Solch eine Lieblingsszene habe ich nicht. Ebenso kann sagen, welchen meiner Filme ich am liebsten mag. Am meisten erreicht habe ich ganz sicher mit „Schindlers Liste“, dieser Film hatte auch lange danach noch eine enorme Wirkung. Daraus ging meine Stiftung, die „Shoah Foundation“, hervor, die Schilderungen von über 2.000 Überlebenden des Holocaust aufnahm und archivierte, um sie nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen. Dieser Film hat viel erreicht in Sachen Toleranz und Sensibilisierung für die Gefahren von Hass und Genozid.

Wie hat sich für Sie Ihre Arbeit als Regisseur verändert?
Filmemachen ist rein körperlich gesehen eine sehr anstrengende und ermüdende Arbeit – für mich ist das der härteste Job der Welt! Gleichzeitig ist mein Appetit immer gewachsen und nicht kleiner geworden. Je mehr ich arbeite, desto mehr möchte ich arbeiten.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie Ihre frühen Filme? Werden Sie nostalgisch, wenn Sie „Duell“ zufällig im Fernsehen sehen?
Ich habe „Duell“ sehr, sehr lange nicht mehr gesehen, und zwar absichtlich und nicht aus Zufall. Ich schaue mir meine Filme nur an, wenn eines meiner Kinder ihn sehen möche. Ich habe „E.T. – Der Außerirdische“ sieben Mal gesehen, weil jedes unserer sieben Kinder ihn anschauen wollte. Inzwischen kamen noch zwei weitere Vorführungen hinzu für die beiden Enkel.

Ist „E.T. – Der Außerirdische“ der Lieblingsfilm Ihrer Kinder?
Unsere Kinder mögen „E.T – Der Außerirdische“ und die „Indiana Jones“-Filme. Aber vor allem lieben sie „Hook“ – das ist schon verrückt.

Drehen Sie eigentlich auch für ganz private Zwecke Filme, im Urlaub oder an Weihnachten?
Ja, ich habe meine Videokamera ständig bei mir. Und es ist schon eine Tradition, dass es zu Weihnachten immer einen gemeinsamen Film unserer Familie gibt, der eine Stunde lang ist. Ich schneide dazu meine eigenen Aufnahmen des vergangenen Jahres sowie die Videos unserer Kinder zusammen - natürlich gibt es dazu auch Spezialeffekte und Musik. Diesen Film schauen wir uns dann alle zusammen an und jeder bekommt anschließend eine DVD davon.

Herr Spielberg, vielen Dank für das Gespräch.

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