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Urheberrecht - Erosion der investigativen Recherche?

Wer Ziel einer kritischen Berichterstattung ist, versucht sich natürlich auf allen Kanälen zu wehren. Die Betroffenen haben mit dem Internet sogar eine echte Waffe in der Hand: Sie können die Fragen von Journalisten inklusive eigener Antworten einfach früher veröffentlichen – Pech für langsame Printmedien

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Zugegeben, das ist nicht schön. Da bekommt der Journalist brisante Unterlagen zugespielt, die beweisen, dass eine Person oder Organisation einen moralischen Fehler begangen hat, sich vielleicht sogar hat bestechen lassen. Da hat man den Knüller, mit dem man sein Gegenüber konfrontiert. Und dann macht dieser die Vorwürfe zuerst publik – noch vor dem recherchierenden Medium.

Genau das ist dieser Tage der Süddeutschen Zeitung geschehen. Das Blatt erhielt vertrauliche Dokumente aus dem Büro der Nürnberger CSU-Abgeordneten Dagmar Wöhrl. Demnach hatte sich die Abgeordnete vor einer Abstimmung krank melden lassen und sich dann auf Fernost-Reisen begeben. Außerdem deckte die SZ einen aus ihrer Sicht zumindest moralischen Makel auf: Unter anderem gehört Wöhrl sowohl dem Verwaltungsrat als auch dem Beirat der Schweizer Sarasin-Bank an – und erhält für diese Tätigkeiten höhere Bezüge als aus ihrer Arbeit als Bundestagsabgeordnete.

Und wie hatte die CSU-Frau diese Recherche torpediert?

Alles begann mit einer kurzen Mailanfrage. Der SZ-Wirtschaftskorrespondent Uwe Ritzer erkundigte sich nach der Asienreise. Wöhrl antwortete dem Journalisten nicht direkt, sondern veröffentlichte Fragen und Antworten zu dem Thema auf ihrer Webseite. Am 6. Mai schickte der Redakteur einen ganzen Fragenkatalog. In einem mit „Achtung“ gekennzeichneten Zusatz – fett und unterstrichen – wies er die Abgeordnete „mit Nachdruck darauf hin, dass diese Anfrage rein internen Recherchezwecken“ diene. Er verbiete „allein schon aus urheberrechtlichen Gründen, diese Anfrage gegen meinen Willen und ohne meine ausdrückliche Zustimmung zu veröffentlichen“.

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Dagmar Wöhrl aber dachte gar nicht daran. Noch nie sei ihr auf diese Weise von Medienvertretern gedroht worden, sagte sie Cicero Online. Sie stellte die gesamte Korrespondenz der „SZ-Leaks“ inklusive ihrer Antworten online – und veranschaulichte das Datenpaket in einem Reiterkasten.

Taktisch oder transparent? Bei unangenehmen Recherchen ist das schnelle Einräumen eigener Fehler die einzige Chance für die Betroffenen: Sie können ihre Sicht schildern, behalten die Deutungshoheit und brechen das Meinungsmonopol des angreifenden Mediums. Dass die Strategie hier aufging, beweist der Kommentator „Bardun“ auf Wöhrls Webseite: „Respekt“, schrieb er, „ich ziehe den Hut vor Ihnen für Ihre Transparenz in dieser Sache“.

Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten-Union, Cornelia Haß, bezeichnete das Vorgehen der CSU-Politikerin dagegen als „infam“. „Das Formulieren von Fragen ist ein kreativer Vorgang und damit urheberrechtlich geschützt.“ Außerdem habe Wöhrl die Arbeit des Journalisten „kaputt gemacht“.

Genau das war natürlich der Sinn ihrer – zugegeben reichlich späten – Transparenzoffensive.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich vor einem halben Jahr. Stern-Reporter Hans-Martin Tillack recherchierte über mögliche verdeckte Parteispenden bei der FDP. Damals hatte die FDP den Fragenkatalog ebenfalls vorschnell publik gemacht. Die Redaktion beharrte auf das Urheberrecht – und wehrte sich mit einer einstweiligen Verfügung.

Später gewann die FDP: Das Landgericht Hamburg entschied im Dezember, dass sich der Stern eben nicht auf ein Urheberrecht an dem Fragenkatalog berufen könne. Im April veröffentlichten die Liberalen dann den gesamten E-Mail-Verkehr mit Tillack. Mit einer Ausnahme: Die Fragen sind geschwärzt.

Der Stern war nicht mehr gerichtlich dagegen vorgegangen. Übrigens auch nicht die Süddeutsche Zeitung: Man plane keine rechtlichen Schritte gegen Dagmar Wöhrl, hieß es von einer Unternehmenssprecherin.

Offenbar ist das Urheberrecht zum Durchfechten der Verlagspositionen denkbar ungeeignet. „Einen Fragenkatalog urheberrechtlich zu schützen, ist schwierig“, sagt Eva Inés Obergfell von der Humboldt-Universität Berlin. Fragen stünden an der untersten Grenze der Schutzwürdigkeit, vielleicht sogar darunter, so die Urheberrechtsexpertin. „Denn da gibt es nur wenig Spielraum für Individualität.“ Journalistenvertreter können also höchstens im Einzelfall darauf hoffen, auf diesem Weg einer Veröffentlichung durch die Gegenseite zuvorzukommen.

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Tatsächlich geht es auch um einen ganz anderen Punkt: Journalisten sind darauf angewiesen, Scoops als erste zu veröffentlichen. Andernfalls könne man sich aufwendige Recherchen kaum noch leisten, „weil dann andere vorgewarnt sind, bis hin zu den Konkurrenzblättern“, hatte Stern-Reporter Hans-Martin Tillack im November in seinem Rechercheblog geschrieben.

Damit wird deutlich, dass der Verweis aufs Urheberrecht eigentlich nur eine Schutzbehauptung war, um sich das Recherchematerial exklusiv zu sichern.

Die Beispiele offenbaren ein Dilemma der digitalen Welt: Darf ein Betroffener unliebsame Anfragen unterwandern, indem er schnellere, eigene Kanäle für die Verteidigung wählt? Was folgt daraus für die langsameren Printpublikationen? Ist mit der Erosion der konfrontativen Recherche gar ihr Geschäftsmodell bedroht? Andererseits: Könnte das Recherchemedium durch die Gegenveröffentlichung im Netz nicht zusätzlich an Aufmerksamkeit und damit Lesern gewinnen – wie allein dieser Artikel beweist?

Sogar die Lobbyvertretung der Investigativjournalisten – das Netzwerk Recherche – stolpert hilflos über diese Fragen. Auf zweifache Anfrage von Cicero Online hieß es lediglich, der Vorstand sei sich da uneins. Zitat: unerwünscht. Stellungnahme: gar keine.

 

 

 

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