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Tod eines Weltautoren - Yoram Kaniuk: Ich war ein Abenteurer

Einer der wichtigsten israelischen Schriftsteller, Yoram Kaniuk, starb diesen Samstag mit 83 Jahren. Literaturen-Redakteurin Frauke Meyer-Gosau besuchte den gefeierten Kämpfer, Maler und Weltautoren Kaniuk im Frühjahr in Tel Aviv

Autoreninfo

Frauke Meyer-Gosau ist Redakteurin des Magazins Literaturen.

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Dies ist die Geschichte von Yoram Kaniuk, der im Jahr 1947 als 17-jähriger Gymnasiast die Schule hinwarf, Mutter und Vater einen Brief hinterließ und, nach einer klandestinen Aufnahmeprozedur in die illegale Kampftruppe Palmach, in den israelischen Unabhängigkeitskrieg gegen Briten und Araber zog. Der im Kampf um das belagerte Jerusalem schwer verwundet wurde – nach einem Streifschuss an der Schläfe fiel ihm sein Auge in die Hand, zwei Schüsse zerfetzten sein rechtes Bein – und gemeinsam mit anderen Kriegshelden 1948 die Gründung des Staates Israels ermöglichte.

Der nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges zwei Jahre lang auf dem Schiff „Van York“ fuhr, das Holocaust-Überlebende von europäischen Häfen nach Israel brachte, und dann nach Paris an die Kunstakademie ging, um Maler zu werden. Der sich 1951 nach New York einschiffte, weil israelische Kämpfer dort im jüdischen Krankenhaus kostenlos behandelt wurden, und zehn Jahre in den USA blieb: Maler mit einigem Erfolg, daneben Kellner, Gelegenheitsarbeiter, befreundet mit Größen des Jazz wie Billie Holiday oder Miles Davis, Miteigentümer eines Restaurants, das israelische Spezialitäten servierte, schließlich verheiratet mit einer höheren Tochter von der Upper Eastside.

1961 kehrte er mit seiner Familie nach Israel zurück, nun als Schriftsteller. Weltruhm erwarb er mit dem 1969 erschienenen, in Israel angefeindeten Holocaust-Roman „Adam Hundesohn“, der 2008 von Paul Schrader mit Willem Dafoe und Jeffrey Goldblum verfilmt wurde.

[[{"fid":"54219","view_mode":"teaser","type":"media","attributes":{"height":220,"width":212,"style":"width: 212px; height: 220px; float: left; margin: 10px;","class":"media-element file-teaser"}}]]17 Romane, einen Band mit Lebenserinnerungen, fünf Kinderbücher, sieben Kurzgeschichten - und zwei Essaybände hat Yoram Kaniuk veröffentlicht, sein Werk ist in 25 Sprachen übersetzt, große nationale und internationale Literaturpreise hat er erhalten.

Jetzt, kurz vor seinem 83. Geburtstag, sitze ich ihm in seiner Wohnung in Tel Aviv gegenüber, und er sagt: „Ich hab’s nicht geschafft. Ich bin kein erfolgreicher Schriftsteller geworden.“ Da muss ich lachen, so offenkundig scheint diese Selbstaussage neben der Wirklichkeit zu liegen, und zähle ihm seine Erfolge vor.

„Was um alles in der Welt“, sage ich, „hätte Sie denn noch erfolgreicher machen können? Er blinzelt. „Mein Vater hat immer zu mir gesagt: 'Ich bin ein Versager – und das wirst du auch sein!'“ Und wieder muss ich widersprechen: „Aber er hatte doch nicht einmal im Hinblick auf sich selbst recht!“ „Jaja“ lautet die Antwort, „einmal kaufte er 30 Chagalls auf einen Streich, Gründer und erster Direktor des Kunstmuseums in Tel Aviv, der er war. Aber ich bin in Israel kein erfolgreicher Schriftsteller. Erst jetzt, im neuen Jahrtausend, haben mich die Jungen entdeckt, jetzt werde ich auch hier viel gelesen: zwei Generationen nach meiner! Schön, dass ich so alt geworden bin.“ Er schaut halb belustigt, halb traurig.

Das also ist der Maßstab: Was zählt, ist, was in Israel geschieht. Und es ist wahr, hier ist Yoram Kaniuk die längste Zeit als Autor heftig umstritten gewesen, nicht zuletzt, weil er sich so beharrlich für den Friedensprozess mit den Palästinensern eingesetzt hat – ein binationales Gemeinwesen für Juden und Araber, das die Rechte und Interessen beider Seiten gleichberechtigt wahrt, wäre sein politisches Ideal gewesen.

Dafür hat er gemeinsam mit seinem palästinensischen Freund Emil Habibi gekämpft, eine Freundschaft, die Bestand hatte, obwohl es hieß, niemand anderer als Kaniuk habe 1948 in der Schlacht am Jerusalemer Kastel den legendären Anführer der arabischen Truppen erschossen und damit den Grundstein zu deren Niederlage gelegt. Mit seiner entschieden überparteilichen Haltung hat sich Yoram Kaniuk unter seinen Zeitgenossen auf beiden Seiten der Staatsgrenze ausreichend Feinde gemacht; der schwarze Humor, der all seine Publikationen prägt, tat ein Übriges.

Er schaut zum Fenster, hinter dem sich auf einem Kissen genüsslich eine getigerte Katze räkelt. „Ich bin immer gegen den Strom geschwommen“, sagt er. „Mein Leben lang war ich der Andere. Das war nicht mein Plan, ich bin so. Und Ende der sechziger Jahre einen lustigen Roman über den Holocaust zu schreiben, das ging einfach nicht. Dabei ist das doch Teil des Jüdischseins: Juden machen Scherze über sich selbst, denken Sie nur an den 'Maus'-Comic von Art Spiegelman!“ Der kam allerdings ein paar Jahrzehnte nach seinem Buch.

Hier sitzen wir, umstandslos auf das Herz der Dinge zusteuernd, als setzten wir ein lange begonnenes Gespräch fort, in einer leicht dunklen Parterrewohnung inmitten des «Weißen Viertels» von Tel Aviv, das in den dreißiger Jahren von aus Europa geflohenen Architekten erbaut wurde, die ihre Ausbildung am Bauhaus in Weimar erhalten hatten; auch das Museum, das Yoram Kaniuks Vater 1936 gründete und in dem Ben Gurion zwölf Jahre später die Gründungserklärung des Staates Israel verlas, befindet sich nicht weit entfernt in einem Bauhaus-Bau.

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Vor ein paar Wochen hatte ich Yoram Kaniuks gerade auf Deutsch erschienenen autobiografischen Roman „1948“ gelesen und ihm geschrieben, fasziniert von einem literarischen Werk, das in erster Linie kein Kriegsbuch ist, vielmehr ein Entwicklungsroman gleich im doppelten Sinn: im Hinblick auf die Entstehung des Staates Israel, zugleich aber auch auf die Geschichte eines jungen Mannes, der unversehens im Kampf um die Existenz seines Landes erwachsen wird.

„1948“ also. Was hierzulande nur eine Zahl ist, die die Zeit der mühsamen Rückkehr der Deutschen vom Zivilisationsbruch des Holocaust zur Zivilgesellschaft markiert, klingt in Israel wie ein Fanfarenstoß: Es ist das Jahr der Staatsgründung, dem ein so tollkühner wie verlustreicher Kampf gegen die Übermacht der umliegenden arabischen Staaten vorausging – das Jahr des zentralen nationalen Mythos.

Als ich dem Autor am Tag vor unserem Treffen am Telefon gesagt hatte, ich würde mir jetzt die verschiedenen Tel Aviver Museen anschauen, die aus der Perspektive der paramilitärischen Untergrundorganisationen die Entwicklung bis hin zum Staat Israel dokumentieren, war vom anderen Ende der Leitung nur ein trockenes Lachen zu hören gewesen: Die Legenden um die Staatsgründung und deren Voraussetzungen soll „1948“ ja gerade torpedieren. „Und?“, sagt Kaniuk amüsiert, als wir einander dann gegenübersitzen. „Waren wir nicht enorm heldenhaft? Konnten Sie das im Museum sehen?“ Er kichert. „Genau darum musste ich dieses Buch unbedingt noch schreiben: Die Leute sollen lesen, wie es wirklich war – von einem, der dabei war.“

 

 

Und tatsächlich: Wer das Museum der terroristischen Gruppierung „Etzel“ mit seinen einsam im Halbdunkel einstaubenden Exponaten, wer das wiederum ganz fabelhaft gemachte Museum der Untergrundorganisation „Hagana“ und schräg gegenüber dann die „Independence Hall“ besucht, dort Vorträge über die Staatsgründung gehört und einen beeindruckenden Film über die Entstehung von Tel Aviv angeschaut hat, der hat ein doch deutlich anderes Bild vor Augen, als Kaniuk es in seinem Roman zeigt – hier geht es nicht um die aufbauende Botschaft vom Abwehrkampf gegen eine Übermacht von Angreifern, hier wird vor allem von einem Leben erzählt, das früh mit dem Tod in Berührung kam, einem mehrfach wundersam oder auch nur zufällig geretteten Leben.

„Wir alle, die wir dabei waren, sind durch diese Erfahrung traumatisiert», sagt Yoram Kaniuk. „Morgens, bevor wir in den Kampf zogen, hoben wir erstmal Gräber aus – wir wussten, mindestens zwei von Fünfen würden nicht zurückkehren. Wir kommen alle aus einem Alptraum, dessen Bilder auch mich jahrzehntelang verfolgt haben. Und das wollte ich aufschreiben, gleich 1949 schon, dann später in Amerika und schließlich hier. Aber es ging nicht. Ich wollte ja nicht über den Krieg schreiben, ich wollte den Krieg schreiben – und ich wollte herausfinden, wie Erinnerung funktioniert, dieses schleichende Gift. Erst nach einer Nahtod-Erfahrung im Zusammenhang mit meiner Krebsoperation vor wenigen Jahren ist es mir endlich gelungen, und das war wunderbar: Ich konnte in das Alter von 17 Jahren zurückkehren und unsere Welt von damals sehen. Und ich konnte mich sehen: Ich war ein Abenteurer.“

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Ein Abenteurer von großer Arglosigkeit. Sohn aus gebildetem Haus, in dem Bach, Schubert und Monteverdi gehört, ganz selbstverständlich Goethe, Schiller und Heine gelesen wurden, der entsetzt ist, als er im Krieg Zeuge von Verbrechen an der Zivilbevölkerung wird, und erfolglos dagegenzuhalten versucht, wenn die seit Generationen hier lebenden Bosnier vertrieben werden, weil sie angeblich ja auch Araber seien. Der sich mit einem Freund duelliert, als der ein palästinensisches Kind erschießen will, und am Ende ist beiden Duellanten unklar, wer von beiden denn nun dabei das Kind erschossen hat.

Ein Draufgänger und überzeugter Zionist, der erschüttert vor gerade verlassenen Häusern steht, in denen der Tee noch warm ist, das Brot noch auf dem Tisch, derweil der Besitz der Flüchtenden verstreut daliegt. Einer, der mit ansieht, wie eine Schar Holocaust-Überlebender, die gerade vom Schiff gekommen sind, mit selbstverständlicher Rigorosität das Zurückgelassene in Besitz nimmt, und dies so richtig wie befremdlich findet. Der erlebt, wie die besten Kommandeure sich für ihre Leute opfern, während andere mit frisch gebügelten Uniformen in requirierten Hotels sitzen.

Einer, der weder für den Krieg ausgebildet ist, noch über taugliche Waffen verfügt oder auch nur über Brot und Wasser. Der schließlich beim Kampf um Jerusalem um ein Haar getötet wird und doch, nachdem dies einmal zu seinem Lebensinhalt geworden ist, nicht aufhören will zu kämpfen: Noch mit eingegipstem Bein meldet er sich zum nächsten Einsatz, bis die Untergrundarmeen nach dem Waffenstillstand aufgelöst und in die neu gegründete Armee integriert werden. Da geht er als Matrose auf die „Van York“, um Holocaust-Überlebende zu bergen.

Draußen haben sich tagelang anhaltender Sturm, Regen und das plötzlich durch die Wolken brechende Gleißen der Sonne verzogen, ungetrübtes Licht strahlt über Tel Aviv. Wir hier drinnen aber können nicht aufhören zu reden. „Und doch war es ein heroischer Kampf“, sage ich. „In Ihrem Buch kann man es lesen, ohne dass Sie etwas davon hermachen würden: Man sieht durch die Augen des 17-Jährigen, was es bedeutete, diesen Staat gegen Widerstand von allen Seiten – auch gegen die eigenen, humanistisch begründeten Widerstände – ins Leben zu bringen. Aufs Sinnlichste lernt man verstehen, von welchen Zerrissenheiten das Leben hier seither begleitet und bedroht ist. Und darin schließlich hat dann doch auch die Darstellung in den Museen wieder nicht unrecht. Oder?“

Yoram Kaniuk schaut mich aus seinem Sessel eine kleine Weile aufmerksam schweigend an. „Krieg bedeutet für Soldaten zunächst mal nichts anderes als zu töten, um nicht selbst getötet zu werden“, sagt er dann. „Daran ist nichts Heroisches. Und weder waren wir alle tapfere Helden, wie es die Legenden derer behaupten, die damals gar nicht dabei waren, noch hatten wir, wie der arabische Mythos es will, nichts anderes vor, als die Araber auszulöschen. Dieser Krieg war eine Etappe in einer langen Geschichte, einer Tragödie – obwohl auch dieses Wort allenfalls halb richtig ist: Es suggeriert, alles hätte unausweichlich so kommen müssen.“

Ich muss an die Geschichte seiner Familie denken. An den Vater, der im Ersten Weltkrieg zunächst für die Österreicher ins Feld zog, dann als Leutnant im deutschen Heer diente – „etwas, was Adolf Hitler ja nicht geschafft hat!“, Yoram Kaniuk triumphiert ironisch. In Heidelberg hatte Mosche Kaniuk studiert und bis 1928 in Berlin gelebt, bevor er witterte, dass sein geliebtes Deutschland zum Schauplatz einer Katastrophe für die Juden werden würde; er bestieg ein Schiff nach Tel Aviv, ging in einen Kibbuz. Und lernte die als Kind mit ihrer Familie aus Odessa ins Land gekommene Sarah kennen, Lehrerin und spätere Schulinspektorin, mit der er 1929 noch einmal eine Reise nach Deutschland unternahm.

„Ich wurde zwischen Weimar und Buchenwald gezeugt“, sagt Kaniuk und grinst, „wenn das nun nicht bedeutungsvoll ist! Mein Vater war durch und durch germanophil. Deutsche Musik, deutsche Bücher, und die ganze Zeit hier dachte er an Berlin, wo er am glücklichsten gewesen war. 1938 noch war es ihm gelungen, seine Eltern aus dem galizischen Tarnopol herauszubringen, und auch sie sehnten sich nur zurück. Nur meine Mutter war eine israelische Patriotin. Ich aber wurde an der Pariser Kunstakademie aufgenommen – das Zweite, das Adolf Hitler nicht gelungen ist! – , ging nach New York und wurde ein Mann des Jazz. Das kann man in meinen Büchern bis heute hören: Jazz!“ Zu Günter Grass, der in den siebziger Jahren nach Tel Aviv kam und dort auch Kaniuks Vater und dessen geschliffenes Deutsch kennenlernte, sagte er: „Ihr werdet uns den Holocaust nie verzeihen“; das war es dann mit Grass.

Nein, unausweichlich war nichts an all den Wegen, die in dieser Stadt der Geflohenen und Geretteten zusammengelaufen sind, kein Gott, der hier ein Verhängnis verfügt hätte. Die Menschen selbst hätten in ihrer Geschichte alles anders machen können und konnten schließlich doch nur noch versuchen, sich aus ihren Kata-strophen, so gut es eben ging, zu retten. Diese bis auf den heutigen Tag prägenden Prozesse aufgezeichnet, all den Hoffnungen, den Niederlagen und der Verzweiflung eine Sprache gegeben zu haben, ist das Werk dieses Schriftstellers – „1948“ darin sein Vermächtnis. Denn hier ist zu sehen, wie Geschichte gemacht wird, weshalb und zu welchem Ende. Und die Botschaft heißt: Verabschiedet euch von den Legenden, fragt nach, seht selber hin!

Damit erreicht er auch uns unmittelbar, mit unserer deutschen Geschichte, die mit derjenigen seines Landes unauflöslich verknüpft ist. „Im Krieg von 1948“, hatte Yoram Kaniuk ganz nebenbei gesagt, „spielte natürlich auch der Holocaust eine Rolle. Irgedwo mussten sie ja hin, die Juden, die in Europa keiner haben wollte.“

Yoram Kaniuk: 1948. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Aufbau, Berlin 2013. 248 S., 19.99€

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Das Portrait erschien in Literaturen - Die Zeitschrift für Leser, Ausgabe Sommer 2013

 

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