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Thilo Sarrazin - Vom ewigen Opfer des Tugendterrors

Thilo Sarrazin kritisiert in „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ einen vermeintlich linksliberalen Meinungskonformismus in Deutschland. Sarrazin wähnt sich in der Opferrolle und dekonstruiert sich dabei selbst

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben, weil er sich geärgert hat. Das ist sein gutes Recht, es sind schon aus weit geringerem Anlass Bücher geschrieben worden. Außerdem scheint der Ärger über die bestehenden Verhältnisse der Hauptantrieb für Sarrazins Autorenschaft zu sein: „Deutschland schafft sich ab“ und „Europa braucht den Euro nicht“ waren ja beides kritische Werke, die jeweils große Resonanz gefunden haben. „Der neue Tugendterror“, Sarrazins jüngste Veröffentlichung, entspringt allerdings einer anderen Kategorie des Ärgernisses, nämlich dem in eigener Sache. Den ehemaligen Berliner Finanzsenator wurmt es offensichtlich immer noch ganz gewaltig, dass insbesondere „Deutschland schafft sich ab“ von vielen Medien kritisiert wurde (was, nebenbei gesagt, den außergewöhnlichen Erfolg dieses Buchs überhaupt erst ermöglicht haben dürfte). Kurzum: Sarrazin sieht sich als Opfer einer medialen Diffamierungskampagne – oder, um seine eigene Wortwahl zu gebrauchen, als Opfer eines „neuen Tugendterrors“.

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Wer sind diese neuartigen Tugendterroristen? Das sind vor allem jene, die ihre Macht dazu missbrauchen, um Sarrazin fertig zu machen, indem sie – mit welchen Argumenten auch immer – Kritik an seinen Thesen üben. Also Journalisten und Politiker. Ihnen wirft Thilo Sarrazin vor, seine Schriften entweder nicht gelesen oder nicht verstanden oder absichtlich missverstanden zu haben. „Ich glaube, dass aktuell eine herrschsüchtige, ideologisierte Medienklasse ganz informell und ohne großen Plan zusammenwirkt mit einer opportunistischen und geistig recht wenig profilierten Politikerklasse“, heißt es in seinem Buch. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens macht sich Sarrazin mit einem solchen Satz eine Methode zu eigen, die er ausgerechnet seinen Gegnern stets vorhält, nämlich das Fällen von statistisch nicht unterfütterten Pauschalurteilen. Und zweitens zitiert er ständig irgendwelche Passagen aus wichtigen Zeitungen und Magazinen, die genau das bestätigen, was Sarrazin denkt. Ein Medienkomplott stellt man sich wahrlich anders vor, aber egal.

Wichtiger ist die Frage, warum die Tugendterroristen in den Medien einen solch unbändigen Hass gegen Thilo Sarrazin hegen. Ganz einfach: Weil sie alle links sind und als Linke dem Kult der Gleichmacherei frönen. Sowie aus Neid: „90 Prozent der Medienberichte über Ungerechtigkeiten der Einkommens- und Vermögensverteilung oder das Fehlverhalten sogenannter Reicher sind Ausfluss von Neid“, schreibt Sarrazin allen Ernstes. Dass diese Zahl der blanke Unfug ist, liegt auf der Hand, denn wie will man so etwas je messen? Damit schürt Sarrazin vielmehr den Verdacht, es mit der Empirie auch sonst nicht allzu genau zu nehmen. Er dekonstruiert sich mithin selbst.

Thilo Sarrazin und die Selbstzufriedenheit


Mit „Deutschland schafft sich ab“ hat Thilo Sarrazin vor dreieinhalb Jahren eine Debatte angestoßen, die zu führen in Deutschland zwar nicht tabuisiert war, aber doch beargwöhnt wurde. Man kann zu seinen Thesen unterschiedlicher Fertilitätsraten bei Migranten und „autochthonen“ Deutschen mit Hochschulabschluss stehen, wie man will – der Erfolg des Buches macht zumindest deutlich, dass das Thema viele Menschen beschäftigt (auch wenn es der eine oder andere im Glauben gekauft haben dürfte, hier werde endlich mal ordentlich gegen Ausländer gewettert).

In „Der neue Tugendterror“ hingegen läuft Sarrazin ständig irgendwelche Türen ein, die längst sperrangelweit offen stehen. Dass der Begriff von der „political correctness“ inzwischen ubiquitär verwendet wird und deshalb kaum noch dazu taugt, das Aussprechen angeblicher Unaussprechlichkeiten zu legitimieren, hat auch der Autor selbst bemerkt. Das scheint Sarrazin allerdings nicht dazu angespornt zu haben, intellektuell tiefer zu schürfen. Er verharrt vielmehr in einer wenig überraschenden Grummelpose und wirft etwa dem FAZ-Feuilletonisten Nils Minkmar vor, dieser übe nur deshalb Kritik an Steuerhinterziehern wie Uli Hoeneß, weil er sich selbst unterbezahlt fühle. Mit solchen Unterstellungen verrät Thilo Sarrazin am Ende mehr über sich selbst als über die Geisteshaltung in deutschen Feuilletonredaktionen.

„Warum ich doch recht habe und alle anderen Idioten sind“ wäre der treffendere Titel für dieses Buch gewesen, das vor Selbstzufriedenheit nur so strotzt und sich dabei nicht entscheiden kann, ob es denn nun eine Polemik oder eine Analyse sein will. Darin ähnelt es in seltsamer Weise den Werken Alice Schwarzers. Das alles, liebe Genossen, ist aber auch diesmal wieder kein Grund, Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen glauben zu müssen. Nach der Lektüre seiner neokonservativen Agenda im sechsten Kapitel („Vierzehn Axiome des Tugendwahns im Deutschland der Gegenwart“) fragt man sich eher, warum Sarrazin diese Partei nicht längst aus eigenem Antrieb verlassen hat. Vielleicht deshalb, weil es sich mit entsprechendem Parteibuch medienwirksamer provozieren lässt?

Erleben Sie Thilo Sarrazin live: Der Buchautor ist am kommenden Sonntag, den 2. März 2014, um 11 Uhr zu Gast beim Cicero-Foyergespräch im Berliner Ensemble. Details zur Veranstaltung erfahren Sie hier, Tickets können Sie hier vorbestellen.

 

 

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