Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
Harry Luck

Modernes Spiessertum - Fuck the trend!

Filterkaffee, Butterbrot und Schrebergarten machen glücklich. Zu dieser Erkenntnis kommt der Autor und Journalist Harry Luck in seinem neuen Buch „Wie spießig ist das denn?" – einer Enzyklopädie des Spießertums. Trotzdem bleiben bornierte Marotten auch immer eine Frage des Trends und nicht zuletzt des Alters

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

So erreichen Sie Julia Berghofer:

Sie sagen, Spießer sind glücklicher als andere Menschen. Wie kommt’s?
Das hängt davon ab, wie man „Spießer“ definiert. Es geht nicht um den engstirnigen Kleinbürger, sondern um das Selbstbewusstsein gegenüber Trendsettern, die einem erzählen wollen, was man zu tun und zu lassen hat, was man anziehen oder trinken soll, weil es gerade „in“ ist. Wenn man sich davon löst und das tut, was man gerne mag, egal ob es  im Trend ist oder nicht, dann gilt man oft als spießig oder uncool. Aber es geht einem besser damit.

Leben Spießer nicht auch gesünder – weil sie beispielsweise immer einen Schirm dabei haben, wie es so schön in Ihrem Buch heißt?
Oder auch weil sie sich immer die Hände waschen und Türklinken nicht anfassen. Das ist schon denkbar. Viele Dinge, die als cool gelten, sind ja möglicherweise ungesund. Gerade die Sache mit dem Schirm – wer nicht nass wird, erkältet sich weniger, es sieht aber uncool aus, wenn man immer mit einem Schirm herumläuft.

Gibt es Sachen, die eigentlich total spießig sind, aber mit einem Mal als cool gelten?
Ich habe bei der Recherche für das Buch festgestellt, dass es manchmal Dinge gibt, die auf der Kippe stehen. Das verläuft oft in Wellenbewegungen: plötzlich sind Sachen trendy, eben weil sie als spießig galten. Nehmen wir das Jeanshemd. Es gab Zeiten, da war es verpönt und ganz furchtbar, Jeanshemden zu tragen. Und auf einmal ist es wieder in, alle hippen Leute tragen Jeanshemden. Auch wenn man über bestimmte Dinge im Internet recherchiert, dann fangen die Artikel schon an mit „es galt lange Zeit als spießig, aber jetzt ist es wieder im Trend“. Bestes Beispiel: der Bausparvertrag. Auch der gute alte Filterkaffee ist wieder im Kommen.

Auf den Filterkaffee verweisen Sie besonders gern.
Mein Lieblingsbeispiel ist eigentlich das Kurzarmhemd, aber der Filterkaffee verfolgt mich , weil ich darauf häufig angesprochen werde. Viele Leute sagen zu mir: „Filterkaffee schmeckt doch viel besser“. Außerdem gehört Kaffee in Tassen und nicht in Pappbecher. Anscheinend gibt es da wieder einen Trend, weg von der To-Go-Mentalität mit Latte Macchiato und Cappuccino und hin zum guten Filterkaffee. Das beobachte ich in Cafés, aber auch bei Freunden, die ihre vollautomatische One-Touch-Hyper-Cappuccino-Maschine mit der Technologie eines Space Shuttles wieder einmotten und die alte Rowenta aus dem Keller holen, weil’s ihnen einfach besser schmeckt.

Würden Sie sich selbst als Spießer bezeichnen?
Das ist wieder eine Definitionssache. Ich würde mich nicht als kleinkariert und engstirnig oder als Kleinbürger bezeichnen. Aber ich bin letztes Jahr 40 geworden und würde sagen, Unspießigkeit ist das Privileg der Jugend. Wenn man älter wird, macht man sich frei davon, Dinge zu tun, die man nur macht, weil andere sie von einem erwarten und weil man es tun sollte. Ab einem gewissen Alter muss man nicht mehr hip und cool sein. Das Alter habe ich jetzt erreicht. Jetzt tue ich Dinge, die ich als junger Mensch nicht getan hätte.

Und Ihre Kinder, halten die Sie für spießig?
Die sind noch zu jung dafür,  um diese Unterscheidung zu machen. Aber was interessant ist: wenn man selbst  40 oder 50 ist, dann merkt man, dass man älter ist, als die eigenen Eltern waren, als man sie schon schrecklich alt fand und sie die ganzen spießigen Dinge getan haben – wie Pauschalurlaub machen oder Schlager hören. Heute gibt es Studien, die belegen, dass die 30-59-Jährigen richtige Spießer geworden sind. Das stand dieser Tage in vielen Zeitungen. Ab 30 sehnen sich die Menschen überwiegend nach Verlässlichkeit, sie gehen nicht mehr auf Studentenpartys, sondern auf Ü30-Feten und schauen, wie lang ihr Bausparvertrag noch läuft. Wenn man in der Jugend seine ganze Coolness ausgelebt hat, merkt man irgendwann, dass das Traditionelle gar nicht schlecht ist.

Urlaub ist ein gutes Stichwort. Wo geht es denn nächste Woche hin? In den Pauschalurlaub?
Nein, kein Pauschalurlaub. Aber auch spießig, nach Südtirol. Mit Geranien vorm Balkon. Wahrscheinlich ohne Internetanschluss und vielleicht auch ohne Handyverbindung. Ich habe im Buch ein Kapitel mit dem Titel „Handy aus!“ geschrieben. Das ist vielleicht nicht zeitgemäß, tut aber mal ganz gut. In diesem Punkt hat sich ja diese Woche das Bundesarbeitsministerium ganz spießig gezeigt, als es seinen Mitarbeitern nach Feierabend Mail- und Handyverbot für das Diensttelefon erteilte.

Wie kommt man denn überhaupt dazu, eine Spießer-Enzyklopädie zu verfassen? Ist das ein Bekennerschreiben oder eher Fremdbeobachtung?
Beides. Es fing damit an, dass ich beim gemeinsamen Essen mit anderen im Lokal immer wieder Apfelschorle oder alkoholfreies Bier bestellt habe. Wenn man keinen Alkohol trinkt, kassiert man gleich irgendwelche Sprüche oder wird gefragt „Bist du schwanger?“ und muss sich rechtfertigen. Jetzt mache ich das, egal was die anderen sagen. Es gibt noch viel mehr Verhaltensweisen, die schön und nützlich sind, die man aber nicht zugibt. Zum Beispiel, dass man eher lieblichen Wein mag als den staubtrockenen. Mir ist aufgefallen, dass man das gepflegte uncool-Sein auch zur Lebenseinstellung machen kann. Der Spießer ist eigentlich der Mutige, der sich über die Marschbefehle von Trendsettern und Modepäpsten hinwegsetzt. Wenn der Spießer cool wäre, würde er sagen: Fuck the trend!

Es gibt ja nun auch Dinge, die hierzulande als spießig gelten, woanders aber durchaus als geschmackvoll.
Das stimmt. Ich habe die letzten 16 Jahre in München gewohnt und bin seit einem Jahr in Bamberg. Das ist ein großer Unterschied. Mein Lieblingsbeispiel, das Kurzarmhemd, ist in München total verboten, das würde kein Mensch im Büro tragen. Hier in Bamberg kann man in der Fußgängerzone gar kein anderes Kleidungsstück kaufen. Hier trägt vom Bürgermeister bis zum Sparkassendirektor jeder Kurzarmhemden, am besten noch mit Krawatte. Das ginge in München gar nicht. Vielleicht wäre auch das Kurzarmhemd die Uniform des modernen Spießers, wenn es so etwas gäbe.

Sieht so der perfekte Spießer aus?
Vermutlich trägt er ein Kurzarmhemd und einen Aktenkoffer. Und in der anderen Hand einen Schirm.

Welche gesellschaftlichen Gruppen sind denn am spießigsten?
Das kann man pauschal gar nicht sagen. Ich glaube, Spießer gibt es überall. Dem Klischee zufolge würde man sie besonders oft in Beamtenstuben oder in Behörden vermuten – aber das stimmt auch nur zum Teil. Es gibt auch coole Beamte und ganz spießige Hip Hopper.

Zelebriert man das gepflegte Spießertum auch in anderen Ländern? Bei Franzosen oder Italienern etwa würde man nicht unbedingt an Spießer denken.
Ich denke schon, dass es in jedem Land so etwas gibt. Wenn der Engländer um fünf seinen Tee trinkt und keine Minute früher oder später – klar ist das auch irgendwie spießig. Oder wenn der Italiener nur mit Badekleidung in die Sauna geht, dann kann man das als prüde bezeichnen.  Da gibt es in jedem Land Eigenheiten. Der Wassersprudler, den ich in meinem Buch beschreibe, der kommt beispielsweise aus Israel. Man kann das nicht an der Ländergrenze festmachen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.