- „Linker Mainstream geht mir auf die Nerven“
Warum es eine moralische Tat ist ein Schnitzel zu bestellen, erklärt Jörg Thadeusz im Interview mit Cicero Online. Er spricht über seinen neuen Roman, Antiamerikanismus, linken Mainstream und darüber, dass Dieter Bohlen neben Dominique Strauss-Kahn auf einer Anklagebank sitzen sollte.
Herr Thadeusz, wen wollten Sie immer schon mal
interviewen?
Barack Obama. Aber auch mit George W. Bush würde ich gerne mal
sprechen. Aus nachvollziehbaren Gründen Jennifer Aniston. Irgendwie
gefällt sie mir. Auch deshalb, weil ich natürlich immer hoffe, dass
sie so ist wie in ihren Rollen.
Warum Barack Obama?
Ich finde seine Geschichte nach wie vor unglaublich faszinierend.
Ich wäre aber wahrscheinlich viel zu aufgeregt, würde nur
stammeln.
Was würden Sie ihn fragen?
Mich würde interessieren, was er in den Minuten macht, bevor er vor
die Weltöffentlichkeit tritt, die etwas ganz Bestimmtes und alles
Mögliche von ihm erwartet. Wie ist es beispielsweise in Berlin vor
250 000 Leuten zu sprechen, von denen ihn im Grunde keiner wählen
kann. Wie war das, als Obama und Kollegen in diesem berüchtigten
Raum saßen und sich angeschaut haben wie die Seals Osama Bin Laden
seiner gerechten Strafe überführten? Was hat er sich vorher
gedacht? Hat er sich vorher etwa eine Rücktrittsrede geschrieben?
Wie hätte er seinen Rücktritt erklärt?
Mit „Die Sopranistin“ haben Sie kürzlich ihren dritten
Roman veröffentlicht. In ihrer Dankesschrift danken Sie ihrer
Schwiegermutter dafür, dass sie Sie vor einem ursprünglich
angedachten ersten Satz bewahrt hat. Wie lautete dieser erste
Satz?
Er beschrieb eine Gewalttat. Es war ein ekelhafter Satz, der gleich
schocken sollte. Den genauen Wortlaut kenne ich nicht mehr, zumal
zwischenzeitlich auch mein Computer gestohlen wurde. Der Satz ist
verloren. Aber es war ein ekelhafter Einstieg.
Die Frauen in ihrem Roman sind in der Regel, klüger,
sensibler, zielstrebiger als ihre tollpatschigen, teils
draufgängerischen männlichen Pendants.
Ja, so erlebe ich viele Frauen. Ich finde Frauen außerordentlich
bemerkenswert. Ich saß einmal in einem Flugzeug als die Kapitänin
über Lautsprecher mitteilte: „Nicht ich werde sie fliegen, sondern
meine Kollegin“. Plötzlich befiel mich ein absolut politisch
unkorrekter Stress, weil ich mir dachte: Wie, da vorne sind nur
Frauen in dem Cockpit? Ich hab mich insbesondere auch deshalb
geschämt, weil ich umringt war von CDU-Bundestagsabgeordneten, die
das überhaupt nicht tangierte. Es konnte doch nicht wahr sein, dass
ich rückwärtsgewandter war als diese CDU Burschen. Dann hab ich
meine Mutter angerufen, die mich richtigerweise darauf hinwies,
dass das ein sehr unangenehmer Affekt von mir sei. Außerdem sagte
sie, ich hätte mich doch freuen sollen, denn dadurch sei doch
sichergestellt, dass da vorne keiner besoffen ist. Männer bauen
einfach mehr Scheiß und sind auch einfach dusseliger. Aber nichts
desto trotz ist auch die klügste Frau anfällig für Schmeicheleien,
wie wir alle. Selbst die klügste, zielstrebigste Frau lässt sich
verunsichern, wenn man sie einfach gehörig anbetet. Und gerade bei
klugen Frauen gibt es immer eine Menge Gründe, sie anzubeten.
Insofern wird dann auch diese Klugheit, diese
Überlegenheit der Frauen dadurch kontrastiert, dass sie sich nicht
selten mit äußerst dümmlichen Männern umgeben. In ihrem Buch
scheint das der Fall. Haben Sie in der Realität auch ähnliche
Erfahrungen gemacht?
Frauen gehen natürlich nicht so vor, dass sie sich Männer passend
zu ihren Eigenschaften suchen. Wenn beispielsweise zwei Figuren
meines Buches Hanna und Fabian der Blitz trifft, wenn sich Hanna in
einen Kerl verliebt, der sich als Terrorist entpuppt, dann hat sie
sich das natürlich nicht vorher ausgesucht. Genauso wie Männer
teilweise an viel zu anschmiegsame schmusige nervtötende Heulsusen
geraten, obwohl sie am Anfang den Eindruck gemacht haben, sie seien
wirklich selbstbewusste Frauen. Genauso geraten Frauen natürlich
auch an irgendwelche Chaoten, die sich von der Frau durchs Leben
ziehen lassen wollen.
Was ihre Charaktere auch so ein bisschen auszeichnet,
ist eine gewisse ihnen innewohnende Tragik, die ins Komische
tendiert. Ist das ihre Interpretation von Humor und von Heldentum?
Kann es den Helden nur als Antihelden geben, der immer etwas
Tragisches an sich hat?
Nicht, wenn es sich um einen Cartoon-Superhelden handelt. Ein
richtiger Mensch aber trägt immer Züge von Verzweiflung,
Melancholie oder Resignation. Jeder Mensch, auch die verwegensten
Charaktere haben das Zeug zum Heldenmut. Genauso haben Leute, die
eher vorhersehbar sind, die gewissermaßen kein aufregendes Leben
führen, trotzdem das Zeug dazu, gelegentlich auf die Eisfläche zu
gehen, um ein eingebrochenes Kind zu retten. Zu einem Menschen
gehört immer beides: Unbeugsamkeit und Verzweiflung. Und es kommt
toller Humor dabei raus, wenn man zumindest mal an der Verzweiflung
genascht hat.
Drei Tote, 250 Verletzte. Bei der der Verleihung eines
Fernsehpreises detoniert eine Bombe. Das ist das Krisenszenario,
das Sie in ihrem Buch beschreiben. Kommt da auch ein unterdrückter
Wunsch zum Vorschein? Schaut man sich solche sich
selbstbeweihräuchernde Preisverleihungen im TV an, kann einem ja
schon ein solcher Gedanke kommen.
Das hat mein Vater auch schon gesagt. Nein, ich wünsch den Leuten
nichts Schlechtes. Ich beschreibe eine Großveranstaltung, die ich
gut kenne, weil ich beispielsweise bei der Goldenen Kamera ein paar
Mal im Hintergrund arbeiten durfte. Die Leute sind so wie sie sind.
Veronika Ferres glaubt, sie sei die Königin von Deutschland. Lassen
wir sie in dem Glauben. Ich bin froh, wenn ich mit denen nichts zu
tun haben, mich mit diesen ganzen merkwürdigen Leuten nicht die
ganze Zeit umgeben muss. Deswegen wünsche ich mir aber um Gottes
willen nicht, dass bei denen eine Bombe explodiert. Ich wünsche mir
allerdings manches Mal, dass jemand kommt und dem ein oder anderen
einen gehörigen Arschtritt verpasst. Das wünsche ich mir am ehesten
bei Formaten wie Deutschland sucht den Superstar. Da wünsche ich
mir, dass alle Beteiligten an Handschellen abgeführt werden. Dass
Dieter Bohlen so wie Dominique Strauss-Kahn auf einer Anklagebank
sitzt und wegen unsittlichen Verhaltens zu lebenslang verurteilt
wird.
Hinter ihrem beschriebenen Terroranschlag steckt nicht
wie zunächst vermutet eine islamistische Organisation, sondern eine
kleine linke Gruppierung. Warum haben Sie sich gerade für linken
Terrorismus entschieden?
Weil mir ein gewisser linker Mainstream auf die Nerven geht. Weil
es mir auf den Wecker geht, dass Leute es - klammheimlich und mit
einem völlig unreflektierten Vergnügen - in Ordnung finden, wenn
ein Tuareg in Brandt gesteckt wird. Weil ich dieses Gewäsch leid
bin, weil ich Richard David Precht leid bin, als den Hohepriester
dieser Studienratsdenke. Es gibt Dinge, die Verlangen nach
richtigen Männern und richtigen Frauen, die wirklich einen Arsch in
der Hose haben. Und mit Richard David Precht und seinen
Warmduscherbeiträgen wird diese Welt nicht besser. Viele Leute
merken nicht, wie sehr sie auf einer mentalen Insel leben. Wir
Medienleute sind daran auch sehr massiv schuld. Medien sind zu
großen Teilen nichts anderes als Erweiterungen des Lehrerzimmers.
Das sind linksliberale Biotope.
Was genau meinen Sie mit linkem Mainstream?
Schauen Sie, ich will auch nicht vulgär-neoliberale Sachen
vertreten. Doch das Schlimme ist, dass mich diese weichgespülte
Mainstreamrhetorik nahezu dazu zwingt, die neoliberale Position
einzunehmen. Nehmen Sie beispielsweise die Berlinale. Wenn
irgendein Filmemacher kommt, der furchtbar ernst ist und
gleichzeitig nicht so gut riecht, können sie sicher sein, dass er
aber jederzeit seine dümmsten und plumpesten antiamerikanischen
Sätze loswerden darf. Oder nehmen Sie Karl Lauterbach, von dem ich
die nächsten drei Jahre eigentlich nichts mehr hören möchte, denn
ich kann alles was er sagt mitsprechen. Alles. Mit diesem
fürchterlichen Tonfall. Ein Radiomoderator fragte ihn kürzlich, ob
wir im Gesundheitssystem schon amerikanische Verhältnisse hätten.
Nein, aber wir sind auf dem besten Wege dorthin, lautete die
Antwort Lauterbachs. Und ich denke mir, natürlich Karl, völlig
richtig. Ich unterstelle diesen Linken nicht, dass sie linken
Terrorismus als Kavaliersdelikt hinnehmen würden. Nur ich finde,
dass das, was sie als Gedankengerüst, als Weltanschauung anbieten,
hermetisch und vorhersehbar ist. Es ist, wie Sven Regner sagt
„Bionade-Biedermeier“. Es ist trist. Und wenn man eine vielfältige
Gesellschaft will, wie es die Grünen ständig hinausposaunen, dann
muss es unterschiedliche Leute geben und keine Monokultur von
Kapuzenjackenträgern. Terrorismus ist immer falsch, egal, wer ihn
ausführt. Er wird nicht liebenswürdiger, wenn er von links
kommt.
Sie stört der gern und oft erhobene Zeigefinger
deutscher Kommentatoren in Bezug auf amerikanische
Politik?
Wenn ich diese ganzen Kommentatoren höre, dann wünsche ich mir mehr
Realismus: Diese Gesellschaft hat nun einmal Feinde. Viele der
größten Kritiker vergessen auch leicht, dass sie selber noch
Großväter haben, die mit Totenkopfkragenspiegel rumgelaufen sind.
In Deutschland gibt es eine Ordentlichkeit von A-Z. Das heißt,
Rechtsstaat machen wir auch ordentlicher als andere. In Deutschland
gibt es einen starken Wunsch nach einer Ordnung, einer Struktur.
Und immer ist diese Struktur aufgepumpt mit Moral. Alles ist
moralisch. Hätten wir uns jetzt ein Schnitzel bestellt, es wäre
eine moralische Tat gewesen, weil wir nicht auf das hören, was
Karen Duve oder Safran Foer geschrieben haben. Moralische Fragen
müssen mit moralischem Ernst behandelt werden. Und natürlich ist es
eine moralische Frage, die in Deutschland entschieden werden muss,
ob Bin Laden von den Navy Seals erschossen werden darf oder nicht.
Ich nenne das eine totale Relativitätsverkennung. Der Westerwelle
hat zu Recht Prügel eingesteckt, als er von der spätrömischen
Dekadenz sprach, weil er sich auf Leute bezogen hat, denen es
richtig schlecht geht. Genauso dekadent sind jedoch die Kommentare
in Bezug auf amerikanische Politik. Es machen sich sehr viele
Leuten einen ganz ganz schlanken Fuß.
Sie waren mal Liegewagenschaffner. Was haben denn
Liegewagenschaffner und Romanautoren gemeinsam?
Sie haben sehr viel Zeit mit sich selbst. Ein Liegewagenschaffner
sitzt im Dienstabteil und wartet bis die Zeit rum ist. Ein
Romanautor sitzt zuhause und denkt sich auch, du bist ja immer noch
nicht weiter.
Herr Thadeusz, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein
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