Kurz und Bündig - Jens Förster: Kleine Einführung in das Schubladendenken

Vorurteile und Stereotypen marmorieren die Welt. Sie erleichtern die Urteilsfindung und dienen der effizienten Kontrolle der Umwelt. Sie wecken Erwartungen, Bilder und Assoziationen etwa zu bestimmten Gruppen – und vereinfachen damit die Kommunikation. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie der irische Dramatiker George Bernard Shaw, der bissig meinte: «Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider.

Vorurteile und Stereotypen marmorieren die Welt. Sie erleichtern die Urteilsfindung und dienen der effizienten Kontrolle der Umwelt. Sie wecken Erwartungen, Bilder und Assoziationen etwa zu bestimmten Gruppen – und vereinfachen damit die Kommunikation. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie der irische Dramatiker George Bernard Shaw, der bissig meinte: «Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer wieder die alten Maßstäbe anlegen aufgrund der Vermutung, dass sie auch heute noch passen.» Doch der Sozialpsychologe Jens Förster belegt: Die Existenz von Vorurteilen ist «Teil unseres menschlichen Wahrnehmungs- und Gedächtnissystems». Sind Vorurteile aber nun unveränderlich, positiv oder nur negativ, lassen sie sich unterhalb der Bewusstseinsschwelle revidieren? Förster, der an der Bremer International University lehrt, präsentiert seine Einsichten gänzlich unprofessoral. Er selbst taucht in diesem lesenswerten Buch gar nicht selten auf, als Objekt und Subjekt von Vorurteilsstrukturen: Sohn von Flüchtlingen in der ostwestfälischen Provinz, Chansonnier und Sänger, Homosexueller, weißer Europäer in Harlem. Hier fügt Förster einen wissenschaftlichen Exkurs ein, dort erinnert er sich an eigene Erlebnisse und kleidet Erkenntnisse in ein Gespräch mit einer Forscherin. Schritt für Schritt leitet er auf den Kulminationspunkt hin: die Wechselwirkung von Gesellschaft und individueller Vorurteilsstruktur. Mithilfe von Testergebnissen demonstriert er die Ambivalenz unserer Denk- und Sprachregelungen. Die Unterdrückung von Gedanken löst einen Bumerang-Effekt aus, das Ignorieren von Stereotypen aktiviert diese stärker als zuvor – was beispielsweise das Prinzip der «politischen Korrektheit» zweifelhaft werden lässt. Vorurteile zu verändern ist möglich, das steht für Förster außer Frage. Doch nicht-diskrimierende Denkmuster müssen bereits im frühen Kindesalter eingeübt werden. «Weil unser Gedächtnis und unser psychischer Apparat nach beschreibbaren Prinzipien funktionieren, sind gesellschaftliche Veränderungen enorm wichtig. Nur über den Weg eines gesellschaftlichen Wandels bewirken wir eine Änderung dessen, was wir im Gedächtnis haben, gerade weil wir Dinge gut behalten und nicht so schnell verlernen, solange sie bleiben, wie sie sind.»

 

Jens Förster
Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils
DVA, München 2007. 288 S., 16,95 €

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