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Alte Denkmuster - Identitätslosigkeit der linksliberalen Intellektuellen

Kolumne: Grauzone. In dieser komplizierten Welt macht es sich die linksliberale Intelligenzija einfach: Sie greift zu alten Denkschablonen. Und Schuld hat sowieso immer der Westen

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die Welt hat sich dramatisch verändert in den letzten zwanzig Jahren. Das mag eine Banalität sein. Angekommen ist diese Einsicht jedoch immer noch nicht bei allen.

Insbesondere im linksliberalen Juste Milieu mit seinen Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden, seinen Intellektuellen und Akademikern klammert man sich verzweifelt an lieb gewordene Erklärungen und alte Denkmuster. Das geht natürlich schief.

Besonders eindrucksvoll konnte man das in den letzten Wochen studieren. Etwa am Beispiel Islam und der Frage, ob die Ursache für die zynische und brutale Gewalt, die im Namen dieser Religion ausgeübt wird, nicht doch in ihr selbst liegt – etwa einem vollkommen überholten und unhistorischen Zugang zum Koran.

Zum Glück gab es sie, diejenigen, die darauf hinwiesen, dass das alles kein Zufall sein kann, dass es Gründe für diese Gewaltexzesse geben muss, die im Koran selbst liegen, in seiner Rezeption und einer erzkonservativen Theologie, die jede historische Forschung schon als Ketzerei empfindet.

Aber das konnte die tonangebenden linksliberalen Milieus dieser Republik nicht beeindrucken, im Gegenteil. Dort funktionierten die über Jahrzehnte konditionierten Reflexe noch prima: Nein, Schuld sei niemals der friedliebende und zutiefst tolerante Islam, Schuld sei die westliche Welt, die Machenschaften der CIA, der Kolonialismus, die kapitalistische Weltwirtschaft und natürlich Israel. Und die Attentate in Paris, nunja, waren die nicht irgendwie sogar verständlich? Die logische Folge von Rassismus und Diskriminierung?

Im linksliberalen Soziotop regiert die kultivierte Einfalt


Im Grunde ist es immer dasselbe. Für die linksliberale Intelligenzija ist stets nur einer Schuld: der Westen, die westliche Gesellschaft oder kurz: wir.

Wenn die Argumentationsmuster nicht so alt wären (und so langweilig), man wäre fassungslos. Über den Unwillen, sich der Realität zu stellen. Über die Borniertheit, mit der stets aufs Neue die gleiche ideologische Litanei vorgetragen wird. Über die Einfalt von Leuten, die meinen, besonders differenziert zu denken.

Doch nirgendwo pflegt man seine Vorurteile und gefühlten Gewissheiten so ausgiebig wie im linksliberalen Soziotop derjenigen, die vorgeben, vorurteilfrei und kritisch zu sein.

Deutlich wird das etwa bei den vergleichenden Religionsstudien, die man in diesen Kreisen kenntnisreich kultiviert. Denn schließlich habe das Christentum ja auch eine düstere Geschichte. Man müsse nur an die Kreuzzüge denken, die Hexenverfolgungen, den Kolonialismus.

Dass Jesus von Nazareth bis zur Selbstaufgabe jede Gewalt abgelehnt hat – was man von Mohammed nun wirklich nicht behaupten kann –, spielt dabei keine Rolle. Und für den Hinweis, dass es ein Unterschied ist, ob Menschen etwas trotz oder vielleicht aufgrund ihrer Religion tun, erntet man finstere Blicke.

Kulturrelativismus, der an Selbstaufgabe grenzt
 

Überhaupt neigt man in den linksliberalen Kreisen dieser Republik zu einer seltsamen Nachsichtigkeit gegenüber jeder Form von Gewalt, die von nichtwestlichen Kulturen ausgeht. Dafür ist man sogar bereit, Werte zur Disposition zu stellen, die man sonst mit Schaum vor dem Mund einklagt.

So trägt man im linksliberale Establishment zwar seine antifaschistische und feministische Gesinnung für gewöhnlich wie eine Monstranz vor sich her. Der islamistische Faschismus hingegen, der Sexismus und die Homophobie der islamischen Kultur laufen in diesen Kreisen jedoch unter Folklore.

Seit den 70er Jahren hat sich die Linke nebst ihrer linksliberalen Korona in einem Kulturrelativismus eingerichtet, der an Selbstaufgabe grenzt. Dabei sind einige grundlegende Koordinaten durcheinander geraten: Täter werden zu Opfern und Opfer zu Tätern, die Angegriffen sind eigentlich die Angreifer und die Aggressoren friedliebend. Man kommt sich vor wie bei Orwell.

Der Grund für diese Verwirrung ist das in einschlägigen Kreisen tradierte Wissen, dass die eigentlichen Täter immer im Norden sitzen und westlich sozialisiert sind. Weil man aber selbst im Norden sitzt, westlich sozialisiert ist und der kulturrelativistische Ansatz, der hinter diesem Denken steht, ein Produkt der westlichen „Tätergesellschaft“ ist, steckt man in einem Dilemma. Aus dem nur noch systematisch kultivierte Schizophrenie einen Ausweg bietet.

Verunsicherung wird kompensiert durch quasireligiösen Hypermoralismus
 

Etwa im Umgang mit Andersdenkenden: Da man sich im Milieu der kritischen Mahner im Besitz eines Demokratiepatents wähnt, sind demokratische Forderungen nur dann demokratisch, wenn sie in das eigene politische Raster passen. Kritisches Denken beweist sich dadurch, dass man die ewig gleichen Politphrasen reproduziert. Und der Multikulturalismus, den man predigt, hat mit Vielfalt nichts zu tun, er ist eine Einheitskultur, in der Bunt das neue Uni ist.

Was ist das? Selbstbetrug? Auch, aber nicht nur. Am Anfang stand der Wunsch der 68er-Generation, sich von allem zu emanzipieren, was auch nur im Entferntesten an die moralisch belastete Elterngeneration erinnerte.

Doch das ist fast 50 Jahre her. Geblieben ist eine tiefe Verunsicherung, vielleicht sogar eine Identitätslosigkeit. Sie wird kompensiert durch einen quasireligiösen Hypermoralismus, dessen mantraartige Selbstanklage Halt und Orientierung verspricht.

Doch für unsere Zukunft brauchen wir keine egophobe Selbsttherapie verunsicherter Sinnsucher, sondern nüchternen Verstand und Selbstbewusstsein.

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