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Günther Jauch - Themensimulationsrunden in der ARD

Schamlos griff Günther Jauch den Grusel des vorangegangenen Krimis "Polizeiruf" in seiner Talkrunde auf. Mit viel Mut zur Hysterie sollte der erweiterte Suizid aus dem Drehbuch in die Realität geholt werden. Die Zuschauer sollten verweilen, um jeden Preis

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es war ein Trash-Talk allererster Güte, eine perfekte Schnittmenge aus Elend, Voyeurismus und PR. Chapeau, liebe Programmplaner, so schnittig kann Formatfernsehen sein. Nur leider ist „Günther Jauch“ noch kein Unterprodukt der „RTL 2 news“, von „RTL explosiv“ oder den „24 Stunden“ bei Sat1. Nein, der gestrige „Günther Jauch“ lief im öffentlich-rechtlichen Gebührenfernsehen und war darum nicht weniger als der Inbegriff des Sinnwidrigen, Frechen, Schamlosen.

Zuvor wurde ein „Polizeiruf“ mit einem sonntagabendüblichen Plot gesendet: Mann dreht durch und tötet seine Familie. Solche Drehbücher gibt es zuhauf. Wahrlich nicht zuhauf gibt es solche Fälle in der Wirklichkeit, sonst taugten sie nicht zum Krimigrusel. Gastgeber Jauch musste denn auch einräumen, „kein Massenphänomen in unserer Gesellschaft“ werde nun eine Stunde lang unter seiner Gesprächsführung behandelt, „aber es gibt solche Fälle“. Gewiss. Ebenso gibt es Menschen, die Großkonzerne mit vergifteten Konservendosen erpressen. Gäbe es dazu einen „Tatort“, ließe Jauch dann talken: „Kaufhausdrama – Wenn Gauner nach dem schnellen Geld zielen“?

„Hier wirbt die ARD für sich“
 

Das Schielen nach dem Mitnahmeeffekt war plump und effektiv: Die erste Frage musste sich natürlich der Darsteller des Mörders gefallen lassen, der famose Andreas Schmidt. Er plauderte aus dem Nähkästchen seiner Profession, zur Sache hat er naturgemäß und glücklicherweise nichts beizutragen. Schauspieler, erfuhren wir, verstünden sich als Anwalt ihrer Figur, sonst wäre diese nicht darzustellen. Allen Ernstes raunte die Stimme aus dem Off dazu den grenzdebilen Satz: „Für ihn ist klar: Auch Arne Kreuz ist kein Mensch, der auf die Welt gekommen ist, um zu töten.“ Arne Kreuz aber gibt es nicht. So heißt die Figur, die ein Drehbuchautor sich ausdachte, die ein Regisseur inszenierte und die Andreas Schmidt spielte. Zur Kompetenz einer politischen Talkshow soll es demnach gehören, sendereigene Drehbücher auf Spielbarkeit und Realitätsgehalt abzuklopfen. Ist es da ein Wunder, dass Politik von immer mehr Menschen für Boulevard gehalten wird?

Schweigen wir von den tränenziehenden Einspielfilmchen unter Fahrstuhlmusik, schweigen wir von der penetranten Methode, „Polizeiruf“-Szenen als Thesen an die Gäste weiterzureichen. Warum wurde nicht einfach der Drehbuchautor ins Studio gebeten? Es muss sich um einen Universalexperten in Sachen „erweiterter Suizid/erweiterter Mord“ handeln. Nicht schweigen aber können wir von der bedenklichen Tendenz, die politische Gesprächsrunde zum Anhängsel quotenträchtiger Spielfilme herabzuwürdigen. Da ist der jüngste „Günther Jauch“ kein Einzelfall. Am 11. Mai ließ Jauch aus Anlass eines Kölner „Tatorts“ über Jugendgewalt reden, Anne Will musste am 1. Oktober und am 29. Januar ebenfalls „im Anschluss an den ARD-Film“ über Missbrauch beziehungsweise Justizirrtümer die Servierdame zum werbetechnischen Kehraus geben. Man sollte über solche Themensimulationsrunden den Hinweis setzen „Hier wirbt die ARD für sich“.

Die Aufhübschung solider deutscher Krimikost zu sozial relevanten Sujets ist einzig der Sorge um das goldene Kalb der Fernsehmacher geschuldet, den „audience flow“. Das nackte Kalkül erhofft sich Zuschauer, deren Verweildauer steigt, wenn sie durch keinen Themenwechsel überfordert werden. Da killt jemand Kinder? Ist ja herrlich schrecklich, da bleibe ich glatt noch ein Stündchen hängen: So denkt sich die Programmbehörde ihr Publikum. Mit Politik, mit Bildung, mit Information, mit Aufklärung, mit all dem also, womit die Sender ihre Medienabgabe rechtfertigen, hat das so viel zu tun wie Kim Jong-un mit dem Friedensnobelpreis. Wie lange noch?

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