Kanzlerportraits - Deutschland ohne Pomp und Gloria

Es ist die Ahnengalerie, an der Angela Merkel tagtäglich vorbeikommt: Die Bilder aller Kanzler von Adenauer bis Schröder hängen im Bundeskanzleramt. Doch während französische Präsidenten bei offiziellen Bildern auf Patriotismus setzen, betonen deutsche Kanzler lieber ihre eigene Persönlichkeit

Sie repräsentieren unser Land. Und wenn sie es einmal nicht mehr tun, dann repräsentieren sie zumindest seine Vergangenheit. Als gewählte Vertreter des Volkes sind deutsche Bundeskanzler ein legitimierter Teil der deutschen Identität. Ihre Namen und Bilder gehen in die Geschichtsbücher ein. Und weil ihr Bild so lange Bestand haben wird, sollte es nicht irgendeines sein.

Doch schaut man die gemalten Portraits deutscher Bundeskanzler an, fällt auf, wie sehr sich die Kanzler als Persönlichkeiten und wie viel weniger als Repräsentanten darstellen. Gerade im ausländischen Vergleich – beispielsweise mit den Portraits französischer Präsidenten – bemühen sie sich, jeden symbolträchtigen oder gar pathosgeladenen Verweis auf ihr Vaterland, das sie einst regierten, zu vermeiden.

Seit der Kanzlerschaft Helmut Schmidts gibt es in Deutschland die Tradition der Kanzlerportraits. Die Bildnisse Konrad Adenauers, Ludwig Erhards, Kurt-Georg Kiesingers und Willy Brandts sind insofern zum Großteil nicht für diesen Zweck angefertigt, oder aber nicht von den Portraitierten selbst ausgewählt. Bleiben die drei Vorgänger Angela Merkels: Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder.

[gallery:Persönlichkeit statt Patriotismus – Die Ahnengalerie deutscher Bundeskanzler]

In den frühen achtziger Jahren ließ Helmut Schmidt sich vom DDR-Künstler und Mitbegründer der Leipziger Schule, Bernhard Heisig, portraitieren. Heisig – damals wie heute nicht unumstritten wegen seines ambivalenten Verhältnisses zur Kunstpolitik der DDR – fertigte mehrere Portraits des Bundeskanzlers a.D. an. Das Bild „Atelierbesuch“ von 1986 zeigte Schmidt als Kunstfreund und Kunstkenner; von diesem sehr persönlichen Portrait fühlte sich Schmidt selbst am besten getroffen. Dennoch entschied er sich für eine andere Darstellung aus dem selben Jahr. Darauf sitzt Schmidt leicht nach links gewandt.

Der Blick des Betrachters stoppt an Schmidts Schulter und fällt auf dessen Gesicht, das dem Betrachter mit geschlossenem Mund und schmalen Lippen direkt entgegenblickt. Die Schmidt umgebende Dunkelheit lässt sein helles Gesicht besonders hervorstechen. Im Kontrast zu seinem blauen Anzug steht das rote Einstecktuch im Sakko: Ein akzentuierter Verweis auf die Farbe der Sozialdemokranten – Schmidt steckt die SPD hier wortwörtlich in die Tasche. Der aufgestützte Ellenbogen betont seine herrschende Dominanz über die Papiere.

Das Bild demonstriert Schmidt – auch wenn er diese Bezeichnung selbst nicht gemocht hat – als den unabhängigen Macher. Die abgelegte Brille und die Zigarette in der lockeren Hand zeugen jedoch von getaner Arbeit. Es ist das Portrait eines Mannes, der darauf verweisen möchte, seine Arbeit mit viel Bestimmtheit erledigt zu haben. Dem entgegen steht nur seine linke Hand, die sich auf der Sessellehne kräftig aufstützt. Ist er im Begriff, aufzustehen? Ein Hinweis darauf, dass er das Bild – und damit seine Tätigkeit als Kanzler – nach rechts, in die Zukunft, verlassen wird.

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Helmut Kohl griff die Tradition auf und ließ sich ebenfalls von einem DDR-Künstler malen, dem Heisig-Schüler Albrecht Gehse. Das von blauen Farben dominierte Bild zeigt den Kanzler, dessen öffentliches Bild vor allem durch seine starke Körperlichkeit geprägt war, wie er fast mit dem Hintergrund verschmilzt. Nur seine Hände und sein Kopf sind stark ausgestaltet. Soll damit der Denkende und Handelnde betont werden? Über der rechten Schulter Kohls und somit praktisch in seiner Vergangenheit ist skizzenhaft das Brandenburger Tor angedeutet – ein Verweis auf die zweite Geburtsstunde der Bundesrepublik, die Deutsche Wiedervereinigung.

Für Gehse, der als Künstler den Untergang der DDR als Befreiung erlebte, ist Kohl ein Befreier und Landesvater. Dieser Hinweis auf die Wiedervereinigung, und damit auf ein emotionales nationales Ereignis in der jüngeren deutschen Geschichte, stellt den einzigen tatsächlich patriotischen Moment in der Galerie der Kanzlerportraits dar.

Das Portrait Gerhard Schröders bildet in vielerlei Hinsicht unter den Kanzlerportraits bis dato den Höhepunkt. Seine Freundschaft zum Künstler Jörg Immendorff hatte Schröder schon zu Amtszeiten gerne öffentlich zur Schau gestellt. Dass jener später sein offizielles Portrait anfertigte, verwundert insofern kaum. Starr, wie in Marmor gemeißelt, blickt das sehr exakte Frontalportrait Schröders von der Leinwand. Malerisch mehrfach gerahmt und mit leichtem Goldschimmer wirkt das Bild geradezu ikonenhaft. Erst auf den zweiten Blick fallen Affen auf, mit denen Schröder das rahmende Oval teilt.

Sie stünden für die Künstler, die Schröder zeitlebens gefördert habe, so Immendorff. Den etwas pummeligen Adler und die gebrochene Bildhauerfigur im Vordergrund lässt der Künstler dahingegen unkommentiert. Von den drei beschriebenen Kanzlerportraits feiert Schröders am unverfrorensten die Persönlichkeit des Dargestellten.  

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Neben dem individuellen Kunstgeschmack jedes Kanzlers und der reinen Dekorationsfunktion hat die Galerie der Kanzlerportraits vor allem eine politische Botschaft:  Häufig ist von der „Ahnengalerie“ die Rede. Obwohl dieser Begriff aufgrund der fehlenden genealogischen Zusammenhänge unkorrekt ist, verweist er doch darauf, dass die Kanzlergalerie und die Ahnengalerien adliger Familien des 18. Jahrhunderts sich im Zweck ähneln. Neben den absolutistischen Bedürfnissen nach Selbstdarstellung und Dekoration, waren die Gemälde der Vorfahren damals Teil der dynastischen Argumentationsstrategie, durch die Adelsfamilien sich legitimierten. 

Das trifft auch auf die Kanzlerbildnisse zu: So erinnerte Thomas de Maizière bei der Hängung des Kanzlerportraits von Schröder an die Intention Schmidts, die „Kontinuität der Demokratie“ mit Hilfe der Bilder sichtbar zu machen. Der Gedanke, eine rein bundesrepublikanische Tradition zu begründen, war für Helmut Schmidt von Beginn an essentiell: Aus diesem Grund lehnte er auch das Angebot eines sehr qualitätsvollen Portraits Otto von Bismarcks ab.

In den Akten des damaligen Bundeskanzleramts heißt es dazu: „Der Bundeskanzler hat sich nach Schilderung des Sachverhalts gegen das Lenbach-Bild von Bismarck ausgesprochen. Er habe Zweifel, ob es zweckmäßig sei, überhaupt einen Bismarck zu hängen. (…) Es stelle sich dann sofort die Frage, wie hinsichtlich anderer Reichskanzler verfahren werden solle“.

Die Linie der „Ahnen“ sollte nur so weit in die Vergangenheit reichen, wie die Bundesrepublik: Keinesfalls sollte der Eindruck entstehen, die Bundesrepublik und ihre Kanzler würden in der Folge von Kanzlern des Dritten Reichs oder auch nur des Kaiserreichs stehen und daraus ihre Legitimation erhalten. Auffällig ist außerdem, dass Schmidt die Galerie im eher traditionellen Medium des Leinwand-Bildes ins Leben rief, statt zur zeitgemäßeren Fotografie zu greifen.

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Im Gegensatz dazu steht die Tradition der offiziellen französischen Präsidentenfotos. Das dort gewählte Medium ist wesentlich moderner. Die symbolische Darstellung, die an bildnerische Präsentation von Monarchen erinnert, ist dagegen wesentlich rückwärtsgewandter als die Symbolik der Bundeskanzlerportraits: Vor edel wirkenden Büchern mit Golddruckeinband erscheinen Charles de Gaulle, François Mitterand und Nicolas Sarkozy als belesene Männer.

Auch ihre Machtsymbole sind auf den Fotos gezielt in Szene gesetzt: ob der Orden bei de Gaulle, die französische Verfassung bei Mitterand oder die Nationalflagge bei Sarkozy. Diese Präsentation der Symbole erinnert stark an die demonstrative Darstellung der Reichsinsignien französischer Könige. Alle drei Portraits sind ausdrücklich staatstragend und lassen kaum eine persönliche Note des jeweils Dargestellten zu.  Im Portrait hat die Person hinter dem Amt zurückzutreten, auf Pomp und Gloria wird nicht verzichtet.

Der Unterschied zwischen der Darstellungstradition französischer und deutscher Regierungschefs ist jedoch kaum verwunderlich. In Ästhetik und Symbolik erinnern die schlichten Kanzlerportraits an die Zurückhaltung des Bundeskanzleramts in Bonn. Nach der bis zur Utopie übertriebenen staatlichen Selbstdarstellung der Nationalsozialisten sollte auch in den Bildnissen Sachlichkeit vorherrschen. Auf nationale Symbole oder staatstragende Attribute wurde folglich verzichtet.

Mit der Wiedervereinigung und dem Umzug in ein von der Architektur her deutlich selbstbewussteres Kanzleramt in Berlin hat sich die repräsentative nationale Identität jedoch weiterentwickelt. Das vor Selbstbewusstsein strotzende Portrait Schröders zeugt bereits davon. Das auf den Punkt ausgebrochene deutsche Nationalgefühl bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Lande verstärkte diese Tendenz seitdem.

Um so spannender ist die Frage, wie die derzeitige Amtsinhaberin sich einiges Tages auf die Leinwand bannen lassen wird. Ihr Amtskollege François Hollande ist ihr traditionsgemäß voraus. Das offizielle Staatsportrait der französischen Präsidenten wird zu Beginn ihrer Amtszeit angefertigt, wohingegen sich die Bundeskanzler in der Regel erst nach ihrer Amtszeit portraitieren lassen. Hollandes Portrait weicht deutlich von denen seiner Vorgänger ab: Fort ist die altbackene Bücherwand, fort sind auch die herrschaftlichen Räume des Élysée-Palasts. Im Garten desselben ließ sich Hollande stattdessen ablichten, auf grüner Wiese unter sonnenbeschienenen Zweigen.

So ganz auf Staatssymbolik wurde dennoch nicht verzichtet, zieren den Seitenflügel des Palasts doch eine französische und eine europäische Flagge. Doch zu früh gefreut, wer da an gleichberechtigte französische und europäische Interessen denkt: Klein aber fein, auf dem Dach des Elysee-Palasts wird eine weitere französische Fahne sichtbar. Sie steht über allem. Oder: Fast allem – nur durch das Haupt des Präsidenten wird sie noch überragt. 

Vielleicht wird Angela Merkel sich am luftig-freien Charakter des Hollande-Portraits ein Beispiel nehmen und es der deutschen Darstellungstradition gemäß mit einer persönlichen Note verbinden: Die Bundeskanzlerin im Schatten einer Eiche in der Uckermark, das wäre doch mal was!

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