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() David Remnicks Bibliographie über Präsident Barack Obama erscheint erst am 2. Oktober im Berlin-Verl
Dem Präsidenten auf den Fersen

Knapp tausend faktengetränkte Seiten zu Leben und Aufstieg von Barack Obama – aus der Feder von Pulitzer-Preisträger und New-Yorker-Chefredakteur David Remnick. Was sagt das über den Zustand der amerikanischen Medienlandschaft aus? Protokoll einer Begegnung.

Ob Irak, Afghanistan oder Ölpest – nach gut einer Stunde hat sich der Eindruck verfestigt, dem Pressesprecher von Barack Obama gegenüberzusitzen. Liegt es an der hohen Formulierungskunst, am stets moderierenden, ins Gelangweilte gleitenden Tonfall des Befragten? Oder schlicht an dessen Status? David Remnick weiß um das Gewicht seiner Worte. Er ist nicht irgendein Journalist. Nicht irgendein Chefredakteur. Seit mehr als einer Dekade leitet der 51-jährige Pulitzer-Preisträger das Magazin The New Yorker – und damit das intellektuelle Leitmedium der freien Welt. Insbesondere die investigativen Reportagen der Zeitschrift stellen eine Art Goldstandard der globalen Zunft dar. In T-Shirt und Kakihose sitzt der dreifache Familienvater im Esszimmer seines Apartments in Manhattan, keinen Steinwurf vom Central Park entfernt, und zupft an einer Banane. Keine Allüren. Ehrensache. Dass er, wenn möglich, nichts über die Inneneinrichtung seiner Wohnung lesen wolle, bemerkt er einleitend und bringt dem Besucher einen New Yorker Bio-Apfel aus der Küche. Selbstverständlich. Es gibt Wichtigeres. Remnick hat eine Biografie über den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten geschrieben. Knapp tausend faktengetränkte Seiten zu Leben und Aufstieg des Barack Obama. Nächsten Monat wird sie auch auf Deutsch erscheinen. Die Wahrheit. Endlich. Gerade in Europa werde Obama ja vor allem als mitreißender Redner wahrgenommen. Dabei neige der Präsident im persönlichen Umgang, erklärt Remnick, viel eher dazu, kühl, ja indifferent aufzutreten. „Wenn Obama jetzt hier mit uns im Raum säße, würde er gaaanz laaangsaaam spreeechen, im Puls-Tempo eines Marathonläufers“, imitiert er. „Aber Sie verstehen, das kommt jetzt aus dem Mund eines Menschen, dessen Magazin sich ausdrücklich für Obamas Kandidatur ausgesprochen hat.“ Verstanden. Ob es sich bei dieser Eigenart um eine bewusst gewählte Dominanzstrategie handele? „Nein, das ist einfach sein Charakter. Die Vorstellung, Politiker könnten gewisse Persönlichkeitsmerkmale einfach anklicken, ist doch verrückt.“ Man will es ernst nehmen. Denn Naivität ist gewiss das Letzte, was David Remnick nach drei Jahrzehnten Spitzenjournalismus vorzuwerfen wäre. In den Perestroika-Jahren arbeitete er als Moskau-Korrespondent der Washington Post. Für seine preisgekrönten New-Yorker-Reportagen blieb er den Großen der Welt oft monatelang auf den Fersen, und als studierter Literaturwissenschaftler der Eliteuniversität Princeton ist er auch mit den formalen Finten politischer Selbstdarstellung bestens vertraut. Remnick und Obama trennen biografisch nur zwei Jahre. Sie gehören zur gleichen Generation. Beide sind seit langem und glücklich verheiratet, haben Kinder gleichen Alters. Weder Hippie noch Yuppie. Weder altes Geld noch Straßenkampf. Ein neuer Ton. Eine neue Vision. Das ist auch das Leitthema der Biografie. Unter Remnicks Händen wird Obama zur paradigmatischen Verkörperung eines neuen Politikertypus, zu einer Brückengestalt, die den Übergang von den Heroen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zur Utopie eines postethnischen Amerikas ermöglicht. Die Idee ist bekannt. Sie stammt vom Präsidenten selbst, genauer, aus dessen millionenfach verkaufter Autobiografie „Ein amerikanischer Traum“. Ob Remnick es als Problem empfunden habe, dass Obama den Zugang zu dessen eigener Biografie bereits monopolisiert hat? „Nein. Meine Aufgabe als Journalist bestand darin, dieses Werk unter das Mikroskop zu legen.“ Das ist zweifellos geschehen. Remnicks auf Hunderten von eigens geführten Interviews basierendes Werk zeichnet sich durch einen ungeheuren, bisweilen erschlagenden Faktenreichtum aus. Von der Wiege bis ins Weiße Haus wird der wundersame Aufstieg des Präsidenten detailliert beschrieben und in den Kontext der amerikanischen Geschichte gestellt. „Im Kern bestätigt Ihr Buch aber Obamas eigene Erzählung?“ „Sagen wir, seine Übertreibungen waren eher poetischer Natur“, zwingt sich Remnick ein Lächeln ab. Bei der Frage aber, ob es ihm, als weißem New Yorker, bisweilen schwergefallen sei, die Geschichte des schwarzen Emanzipationskampfes „von innen“ nachzuzeichnen, weicht alle obamahafte Coolness: Dieser Vorwurf sei bisher nicht an ihn gerichtet worden. Und irgendwie sei dieses Bedenken doch selbst etwas veraltet, nicht wahr? Nun. Ist das nicht gerade die Frage? Wie auch immer, die Stimmung ist dahin. Im Herbst beginnt der Wahlkampf von neuem. „Er hat bereits begonnen“, korrigiert Remnick. Und vor diesem Hintergrund bietet sich wohl am ehesten eine symptomatische Lesart des Gesprächs an – wie auch des Buchs: Remnicks Haltung steht beispielhaft für eine ganze Generation durch die Bush-Jahre gründlich traumatisierter Leitstimmen, die mit Leib und Seele an Obama glauben. Unbedingt an ihn glauben wollen. Darin liegt das eigentliche Faszinosum der von Remnick vorgelegten Biografie, und, wenn man will, auch des Phänomens Obama selbst.

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