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Sterbehilfe - Atheisten rüsten zum Suizid

Kisslers Konter: Ein Lobbybündnis wirbt für die Sterbehilfe. Es sind die gleichen, die früher für die Abtreibung mobil machten: Atheisten. Daran wird deutlich, dass es beim begleiteten Suizid weniger um den Tod als um die Gottesfrage geht

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der brachiale Selbstmord des Udo Reiter war der Auftakt zu einem heißen Herbst des Sterbens. Genauer: der Sterbehilfe, denn um diese wird im November der Deutsche Bundestag ringen. Soll wie bisher alle „Suizidbeihilfe“ straffrei bleiben? Generell oder nur dann, wenn Ärzte sich ihrer ausnahmsweise annehmen? Mit welchen Regularien müssen „Sterbehilfe-Vereine“ rechnen, mit Verbot oder Minderem? Ohne Fraktionszwang wollen die Volksvertreter in diesen schwierigen Fragen ihrem Gewissen folgen.

Seit Anfang dieser Woche machen die Befürworter passiver und indirekter Sterbehilfe mobil. Das „Recht der Ärzte, (…) Suizidwilligen zu helfen,“ stehe unter dem Schutz der Verfassung und dürfe nicht eingeschränkt werden. Auf Bussen und an Bahnstationen wirbt ein „Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende“ für die Losung „Mein Ende gehört mir“ – ein Slogan, so direkt wie einst das Motto der Abtreibungsverbotsgegner.

Damals war es einigermaßen absurd, den schwangeren Bauch zum Eigentum zu erklären und darüber dessen Bewohner, das werdende Kind, zu vergessen. Heute erweckt der Spruch den Anschein, als sei ein autonomes, sanftes Sterben zum gewünschten Zeitpunkt realisierbar, das keine Dritten bindet. Wer aber nicht zur Pistole greift wie der ehemalige MDR-Intendant Reiter – auch er posthum ein Kampagnengesicht – und den Nachlebenden Schock und Blut hinterlässt, ist auf Mitwirkende angewiesen. Auf Cocktailmischer, Katheterleger, Spritzenansetzer, Ärzte, Partner, Freunde, die das Sterben ins Werk setzen.

Das ist der Kern der Sache, die zum Streit werden wird: Inwieweit muss der Gesetzgeber für Strukturen sorgen oder diese zumindest nicht behindern, innerhalb derer dem Recht auf einen pünktlichen Tod ein Mitwirkungsgebot Dritter entspricht? Zwar stellt das Bündnis klar, Ärzte seien „selbstverständlich nicht verpflichtet, diese Hilfe zu leisten“: Lässt sich aber ein flächendeckendes, diskriminierungsfreies Angebot sichern, wenn dessen Garanten je subjektiv handeln dürfen?

Wer soll das Sterben ins Werk setzen?


Frappierend am „breiten Bündnis humanistischer Organisationen“ sind weniger dessen Forderungen, die ein weitverbreitetes Unbehagen an der Apparatemedizin artikulieren. Frappierend ist die Stoßrichtung. Die „humanistischen Organisationen“ sind atheistische Lobbyverbände. Dass Atheisten sich verbünden, ist ebenso ein Beitrag zur Zivilgesellschaft, wie ihn die alles in allem mächtigeren Religionsgemeinschaften leisten. Der monochrome Schulterschluss aber von „Giordano-Bruno-Stiftung“, „Atheistischer Hochschulgruppe Berlin“, dem „Bund für Geistesfreiheit Bayern“ und fünf vergleichbaren Gruppierungen gibt dem Einsatz für die Suizidbeihilfe eine starke weltanschauliche Färbung.

Dahinter verbirgt sich nicht nur eine interessengeleitete Verkürzung des Humanismusbegriffs – als wäre dieser bloß der verlängerte Arm der Religionskritik, als hätte es einen Albertus Magnus, einen Erasmus, einen Melanchthon nie gegeben. Zudem zeigt die hier zu beobachtende atheistische Schlagseite, dass der Kampf ums richtige Ende ein Streit um das Jenseits ist. Mit der Sterbehilfe kehrt die Gottesfrage zurück.

Abgesehen von versprengten Theologen wie Peter Hintze oder Hans Küng sind es in der Regel Vertreter monotheistischer Religionen, Christen, Juden, Muslime, die das Sterben des Menschen für unverfügbar halten, und es sind in der Regel Atheisten, die nach mehr Möglichkeiten für ein Ende auf Bestellung rufen. Moralisch rundweg zu diskreditieren ist weder das Eine noch das Andere. Kirchen sind nicht leidfixiert, Atheisten nicht herzlos. Wohl aber argumentieren beide aus absolut konträren Traditionen.

Wer glaubt, dass nach dem irdischen Leben nicht alles aus ist, der will auf dem Weg zu Gericht, Gnade und Erlösung weder Dritte binden noch eine technische Abkürzung wählen. Er hofft auf ein gutes Ende und Trost auf der Etappe. Wer hingegen, wie es in einem Buch des Vorstandssprechers der Giordano-Bruno-Stiftung heißt, das „Recht auf fremde Hilfen zur Gewährleistung eines (…) vorangezogenen Todes“ aus der Ablehnung sämtlicher „bestehender Religionen“ herleitet und in der biblischen Rede vom Endgericht gar „eine Art jenseitiges Auschwitz“ erkennt, ist weltanschaulich ebenfalls Partei. Nur eben im antireligiösen Gegenüber.

Ja, mit der Sterbehilfe kehrt die Gottesfrage zurück. Eine Antwort steht einstweilen aus.

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