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Varoufakis‘ Vorschlag zur Eurorettung - Von wegen bescheiden

„Bescheiden“ nennt der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis seinen Vorschlag, mit dem er die Eurokrise lösen will. Sein nun auf Deutsch erschienenes Büchlein lässt jedoch ganz andere Schlüsse zu: dass er Deutschland zur Kasse bitten will. Eine Rezension des Ökonomen Daniel Stelter

Daniel Stelter

Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis ist Ökonom. Damit ist er theoretisch bestens in der Lage, Lösungsvorschläge für die Eurokrise zu erarbeiten. Und er tut dies auch. Gemeinsam mit zwei Kollegen legte er schon vor Jahren „einen bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ vor, der nun auch auf Deutsch erscheint.

Darin verspricht er eine schmerzfreie Lösung der Eurokrise ohne zusätzliche Belastungen für Deutschland und andere Geldgebernationen. Gleichzeitig soll die Krise im Süden überwunden werden. Die europäischen Verträge oder Institutionen will er dabei nicht verändern. Träfe all dies zu, so wäre Varoufakis gleich Kandidat für zwei Nobelpreise: den für Wirtschaft und viel wichtiger noch, den für Frieden.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht.

1. Die Bankenkrise


Diagnose: Europa leidet unter einer Bankenkrise – als Folge der amerikanischen Immobilienkrise und der unzureichenden Möglichkeit, internationale Banken ausreichend zu überwachen.

Zur Lösung der Bankenkrise schlägt Varoufakis vor, insolvente Banken in Zukunft auf europäischer Ebene durch den ESM sanieren zu lassen. Hier folgt er der auch von anderen Ökonomen aufgebrachten Idee, die enge Bindung von Staaten und Banken zu durchbrechen. Heute ist es so, dass eine Bankenkrise auch zu einer Staatskrise werden kann.

Was Varoufakis jedoch nicht erwähnt, sind die Dimensionen, um die es hierbei geht. Die Bankenkrise in Europa ist in Wahrheit eine Überschuldungskrise des privaten Sektors. Nach Einführung des Euros kam es zu einem Verschuldungsboom, weil die Zinsen für die meisten Länder deutlich zu tief waren. Zumeist waren es private Haushalte und Unternehmen, die sich deutlich verschuldeten. So stieg die Verschuldung zwischen dem Jahr 2000 und 2008 in Irland um 221 Prozent, in Griechenland um 149, in Spanien um 146 und in Portugal um 89 Prozent. Im selben Zeitraum haben die Banken mit immer geringeren Eigenkapitalquoten gearbeitet. Als die Blase platzte, war die Bankenkrise also keineswegs die Folge der amerikanischen Immobilienkrise, sondern hausgemacht.

Nach meiner Schätzung sind mindestens drei Billionen Euro an Schulden in der Eurozone nicht mehr einbringbar. Selbst nach vorsichtigen Schätzungen stehen die Banken vor Verlusten von mindestens einer Billion Euro. Erfolgt die Restrukturierung durch den ESM, müssten alle Euroländer nach ihrem Anteil am ESM für die Kosten aufkommen. Im Klartext bedeutet dies, dass Deutschland den Löwenanteil der Kosten zu übernehmen hätte.

Fazit: Varoufakis beabsichtigt letztlich nichts anderes als die Sozialisierung der faulen Privatschulden auf europäischer Ebene. Letztlich wird die EU nicht darum herumkommen, die Schulden gemeinschaftlich zu restrukturieren. Besser wäre jedoch ein Schuldentilgungsfonds, weil in diesem auch entsprechende Gegenleistungen der Schuldnerländer vereinbart werden können, und die Beträge von vorneherein feststehen. Varoufakis' Vorschlag hingegen ist ein Blankoscheck des ESM, der am Ende doch zu einem Vermögenstransfer zwischen den Finanziers des ESM führt.

2. Die Staatschuldenkrise


Diagnose: Die Staatsschuldenkrise ist für Varoufakis eine Folge fehlender europäischer Solidarität und somit auseinanderlaufender Anforderungen des Kapitalmarkts.

Zur Lösung schlagen Varoufakis und seine Kollegen vor, die Staatsschulden der einzelnen Länder bis zu einem Niveau von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf der Bilanz der EZB zu poolen. Selbige sollte für den Kauf der Staatspapiere eigene Anleihen begeben. Die Idee dahinter ist, die Zinskosten zu senken.

In anderen Worten: Die EZB kauft bis zu 60 Prozent der Staatsschulden jedes Landes. Um das zu finanzieren, „druckt“ sie kein Geld, sondern gibt etwa selbst Anleihen aus, die aufgrund der guten Bonität der Bank niedrige Zinsen haben. Diese tiefen Zinse könnte die Zentralbank dann an die Länder weitergeben.

Weil seit Draghis „Whatever it takes“ die Länder der Eurozone ohnehin so wenig Zinsen für ihre Staatsschulden zahlen wie seit Generationen nicht, hat Varoufakis die Idee in Interviews weiterentwickelt. Danach soll die EZB die Anleihen direkt kaufen und zins- und tilgungsfrei stellen. Dies entspräche faktisch einem Schuldenschnitt über die EZB-Bilanz. Würden alle Länder der Eurozone Schulden bis zur Grenze von 60 Prozent des BIP über die EZB abschreiben, hätte dies keine Verteilungswirkungen zwischen den Ländern. 

Fazit: Er ist nicht der erste, der diese Idee vorbringt. Schon vor mehr als zwei Jahren begann eine Diskussion dazu in England. Die Befürworter sehen keine Inflationsgefahren, weil das Geld bereits im Umlauf ist und keine neuen Staatsschulden finanziert werden. Kritiker befürchten jedoch einen Vertrauensverlust in den Geldwert, was in der Tat erhebliche inflationäre Folgen hätte. Obwohl niemand mit Bestimmtheit vorhersagen kann, welche Folgen dieses Vorgehen hätte, findet die Idee zunehmend Anhänger – zuletzt das McKinsey Global Institute.

3. Die Investitionskrise


Diagnose: In Folge der Krise kam es zu einem Einbruch von Nachfrage und Investitionen. Heute leidet Europa unter einer Investitionskrise.

Zur Lösung schlagen Varoufakis und Kollegen einen „New Deal“ für Europa vor. Auf europäischer Ebene soll ein Investitionsprogramm die Nachfrage beleben. Finanziert werden soll es von Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) über die Ausgabe von Anleihen. Diese Schulden sollten bei der Berechnung der Staatsverschuldung in Europa nicht mitgerechnet werden.

Die Investitionskrise, von der Varoufakis spricht, trifft sicher teilweise zu. Die Staaten und auch die privaten Unternehmen haben an Investitionen gespart, was die wirtschaftliche Stagnation verstärkt. Allerdings darf man als Maßstab für ein normales Investitionsniveau nicht die durch den Verschuldungsboom verzerrten Jahre bis 2007 heranziehen.

Mittlerweile hat die EU-Kommission ein 1300 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm aufgelegt. Gefördert werden sollen nicht ausschließlich Projekte, die eine Rendite oder Wirtschaftswachstum versprechen. Sondern auch solche Dinge, die sich Bürgermeister wünschen – etwa die Sanierung des Aachener Polizeipräsidiums. Ein FAZ-Bericht zufolge zweifelt selbst die EIB an der Sinnhaftigkeit einiger dieser Projekte. Eine Sprecherin der Bank sagte Cicero Online, noch nichts davon sei bisher in Stein gemeißelt.

Fazit: Ob es gerade ein staatliches Investitionsprogramm ist, das die von Varoufakis erwartete Rendite erbringt, muss bezweifelt werden. In Japan konnten wir über die vergangenen Jahrzehnte erleben, wie gering der Effekt von schuldenfinanzierten Investitionsprogrammen ist. Vielmehr besteht das Risiko erheblicher Fehlinvestitionen. Schulden nicht in den Schuldenstand einzuberechnen, ändert nichts daran, dass es weitere Schulden sind. Viel wichtiger wären Strukturreformen, die private Investitionen wieder rentabel machen.

4. Die soziale Krise


Diagnose: „Von Athen bis Dublin und von Lissabon bis Ost-Deutschland haben Millionen Europäer den Zugang zu einfachsten Gütern und ihre Würde verloren“, so Varoufakis. „Es grassieren Obdachlosigkeit, Hunger und Arbeitslosigkeit.“

Die Lösung soll hier ein von der EZB finanziertes europaweites Sozialprogramm schaffen. Dafür sollen die Zinserträge der EZB und der einzelnen Notenbanken des Euroraumes genutzt werden.

Die sozialen Konsequenzen für die Bevölkerung in den besonders betroffenen Ländern sind sicherlich erheblich. Allerdings ist die Lage im Osten Deutschlands längst nicht so dramatisch wie von Varoufakis beschrieben. Im Gegenteil: Das Niveau der Sozialleistungen in Deutschland ist immer noch hoch. Es besteht vielmehr die Gefahr, falsche Anreize zu setzen.

Fazit: Varoufakis will auch hier wieder Ausgaben steigern und eine europaweite Umverteilung vornehmen. Die deutsche Bundesbank erzielt die meisten Zinsgewinne, und diese würden nicht an den deutschen Staat ausgezahlt, sondern für Sozialprogramme in anderen Ländern verwendet werden.

Mit dem Geld anderer Leute


Giannis Varoufakis hat die dramatischen Auswirkungen des Versuchs, sich aus der Situation der Überschuldung heraus zu sparen, hautnah miterlebt. Er hat recht, wenn er feststellt, dass dies nicht funktionieren kann. Die Wirtschaft der Krisenländer – nicht nur Griechenlands – wächst nicht mehr und die Schuldenlast relativ zum BIP wächst weiter anstatt zu sinken. Die heutige Strategie zur Eurorettung ist gescheitert.

In der Diagnose der vier Krisen greift er jedoch zu kurz. So fragt er zum Beispiel nicht, wie es zur Überschuldung gekommen ist, sondern sucht die Schuld in der Rettung der Banken. Diese vereinfachte Wirkungskette wird auch durch häufige Wiederholung nicht wahrer: Die Schulden waren in allen Ländern außer Irland und Spanien bereits vor Beginn der Krise deutlich gewachsen. Und die Summen, die zur Rettung von Banken aufgewendet wurden, machen nur einen Bruchteil des Schuldenwachstums aus.

Notwendig wäre tatsächlich, bei der Überschuldung anzusetzen. Wir brauchen eine Bereinigung der faulen Schulden in einem geordneten Verfahren, in dem sowohl Solidarität gefordert ist und die EZB eine wichtige Rolle bei der Finanzierung spielen kann. Es muss darum gehen, Vergangenes zu bereinigen und die Grundlage für Reformen zu legen. Schuldenerlass gegen Reformen lautet die Devise.

Ganz anders der Ansatz von Varoufakis. Statt das Problem an der Wurzel zu packen, setzt er auf eine massive Umverteilung der Schulden durch die Hintertür (ESM für Banken) und eine offene Finanzierung durch die Notenbank. Es ist ein Blankoscheck zu Lasten der Geberländer.

Bescheiden ist an seinem Vorschlag nichts.

 

Yanis Varoufakis, James K. Galbraith, Stuart Holland: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise. Kunstmann, März 2015, 64 Seiten, 4,99 Euro.

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