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(picture alliance) Europa kann sich keinen weiteren Vertrauensverlust leisten

Europa - Kein Vertrauen mehr in den Euro, nirgendwo

Noch im Frühjahr hätte die Schuldenkrise in der Eurozone gelöst werden können. Nun, da auch Italien taumelt, ist es vielleicht schon zu spät. Ein Kommentar

Nun ist also das eingetreten, was nie eintreten durfte. Die Schuldenkrise, die aus der Finanzkrise hervorging, ist zu einer wahrhaftigen Eurokrise herangewachsen. Nun wanken nicht mehr nur kleine EU-Länder wie Griechenland, Irland und Portugal. Die Märkte spekulieren auf Zahlungsprobleme in Italien und Spanien und bringen damit zwei Länder in die Bredouille, die viel zu groß sind, als dass sie von Deutschland und den anderen EU-Mitgliedern aufgefangen werden könnten. Die Eurozone steht mit dem Rücken zur Wand; die Eurogruppe hat sich als unfähig erwiesen, die Krise einzudämmen.

Wie konnte es so weit kommen? Noch Ende März, nach dem EU-Frühjahrsgipfel, hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy stolz verkündet, man habe die Schuldenkrise eingedämmt; eine Ausbreitung auf Spanien oder Italien sei nunmehr ausgeschlossen. Die zunächst befristeten Euro-Rettungsschirme wurden aufgestockt und zu einer Dauereinrichtung gemacht. Zugleich verpflichteten sich alle Mitglieder der Eurozone, strikt zu sparen und ihre Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Das, so glaubte Merkel, werde ausreichen, die Krise zu beenden.

Was für ein Irrtum! Denn beendet war gar nichts – im Gegenteil: Nun ging die Tragödie erst richtig los. Die EU-Granden hatten nämlich zwei entscheidende Faktoren vergessen: Zum einen war die Griechenland-Krise noch immer nicht gelöst. Die vor einem Jahr eingeschlagene Strategie des Sparens um jeden Preis ist gescheitert, eine neue ist nicht in Sicht. Zum anderen haben sich die Märkte nicht – wie gehofft – von den EU-Beschlüssen blenden lassen. Die Rettungsschirme wirken schon längst nicht mehr abschreckend auf Spekulanten, im Gegenteil: Sie fordern geradezu dazu heraus, die Entschiedenheit der Euro-Chefs zu testen.

Und genau hier liegt das Problem. Die Chefs, allen voran Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, aber auch Eurogruppenpräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Van Rompuy, gehen nicht mit der nötigen Entschiedenheit ans Werk. Fast drei Monate ließ Merkel die Eurogruppe vor einem Jahr warten, bevor sie endlich in den ersten Hilfsplan für Griechenland einwilligte. Weitere sechs Monate dauerte es, bevor sie einem dauerhaften Rettungsschirm zustimmte. Das Feuer am vergleichsweise kleinen Brandherd Griechenland war inzwischen schon auf Irland übergesprungen, auch Portugal saß auf heißen Kohlen.

Als die Kanzlerin, die wegen ihres Zögerns bereits den Spitznamen „Madame Non“ trug, endlich die Initiative ergriff und gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zur Gegenoffensive blies, war es fast schon zu spät.

Denn die Märkte hatten die Lunte gerochen und attackierten bereits Portugal und Spanien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, im Frühjahr 2011, hätte man wissen müssen, dass die Eurogruppe sich keine Blöße mehr geben darf. Stattdessen scheuchte Schäuble die Märkte mit unausgegorenen Plänen für eine Umschuldung Griechenlands und eine Beteiligung privater Gläubiger erneut auf.

Mittlerweile sind diese Pläne im Papierkorb gelandet – die unverhohlene Drohung der Ratingagenturen, Griechenland für zahlungsunfähig zu erklären, hat genügt. Doch neue Pläne hat die Eurogruppe nicht parat, wie die letzte ergebnislose Krisensitzung in Brüssel gezeigt hat. Mittlerweile fehlt es nicht mehr nur an Entschlossenheit, sondern auch an Vertrauen. Man vertraut Griechenland nicht mehr, dass es seine Probleme jemals in den Griff bekommt. Man vertraut Deutschland nicht mehr, dass es die Eurozone entschlossen aus den Turbulenzen führt. Und man glaubt der gesamten EU nicht mehr, dass sie die Kraft aufbringt, die Krise zu lösen.

Die Vertrauenskrise hat nicht nur die Märkte erfasst, die mit der Angst vor der Pleite glänzende Geschäfte machen. Sie hat längst auch die Bürger erreicht, die – wie in den Niederlanden oder Finnland – europhobe Parteien wählen oder sich – wie in Deutschland – enttäuscht von der Politik abwenden. Selbst im Bundestag ist das Vertrauen beschädigt. In den Regierungsparteien formiert sich eine Gruppe von Abgeordneten, die genug von den einsamen Beschlüssen Merkels und Schäubles haben und Rechenschaft fordern. Spätestens im Herbst dürfte es zum Schwur kommen.

Ob bis dahin das Schlimmste vorbei ist? Derzeit kann dies niemand sagen. Der Großinvestor George Soros hält eine Pleite in Griechenland bereits für unvermeidlich; auch in der Eurogruppe wird  über den Ernstfall diskutiert. Ein „Plan B“, wie ihn Soros für den Fall der Fälle fordert, ist aber nirgendwo zu erkennen. Und neues Ungemach steht ins Haus, wenn demnächst die derzeit laufenden Stresstests für die europäischen Banken veröffentlicht werden. Man kann nur hoffen, dass Merkel, Schäuble & Co. dann einen wasserfesten Plan in der Tasche haben – und auch daran festhalten.

Vertrauen kann man nämlich nur gewinnen, wenn man in der Krise zusammensteht. Einen weiteren Vertrauensverlust kann sich Europa nicht mehr leisten. 

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