Blick aus der Wohnung vom israelischen Illusionisten Uri Geller, aufgenommen am 23.11.2016 in der Altstadt von Tel Aviv in Jaffa.
Den Wahlabend erlebte Sarah Stricker in ihrer Stadt Tel Aviv bei 30 Grad / picture alliance

Wahlabend in Tel Aviv - Das Gegenteil von Netanjahu

Kolumne: Brief aus Tel Aviv. Während ihre deutschen Freunde erschüttert auf das gute Abschneiden der AfD reagieren, verbringt unsere Autorin den Wahlabend in Israel. Dort sieht man den Einzug der Rechten jedoch weitgehend gelassen. Stattdessen überwiegt eins: Merkel-Begeisterung

Autoreninfo

Die Schriftstellerin Sarah Stricker lebt seit acht Jahren in Tel Aviv. Ihr Debütroman „Fünf Kopeken“ (Eichborn) wurde unter anderem mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet, dem höchst dotierten Preis für ein deutschsprachiges Erstlingswerk, und wird derzeit in mehrere Sprachen übersetzt.

So erreichen Sie Sarah Stricker:

Als Jörg Schönenborn den AfD-Balken hochzieht, läuft unter dem Balkon gerade ein kleines Mädchen vorbei und trommelt ihrem Bruder mit dem Schnorchel auf den Kopf, während sie einen hebräischen Popsong vor sich hin kräht. Der deutsche Wahlsonntag fällt in Israel zwischen zwei Feiertage; viele Menschen haben frei, die Straßen sind voll, auch jetzt am Abend fallen die Temperaturen kaum unter 30 Grad. Es hat etwas Absurdes: unter mir heiteres Urlaubstreiben, oben auf dem Balkon Grabesstimmung. Mein deutscher Nachbar, mit dem ich mich spontan zum Livestream-Gucken getroffen habe, schaut kopfschüttelnd auf den Laptop; auf dem Bildschirm sieht man entsetzte Gesichter; mein Facebook-Feed wechselt zwischen „Nicht mein Land“ und „Wer die AfD gewählt hat, soll mich bitte entfreunden“.

„Noch mal vier Jahre Vagina-Hands!“

Noch absurder scheint mir jedoch die Whatsapp-Nachricht, die ich von einer israelischen Freundin bekomme. „Glückwunsch“, schreibt sie, dahinter Sektflaschen-, Blumenstrauß-, Klatschehände-Emoticons. 
„???“, schreibe ich.
„Merkel rules!“, antwortet sie.

Eine Stunde später beim Essen im Stammrestaurant will mir der Nächste gratulieren.
„Noch mal vier Jahre Vagina-Hands!“, sagt der Besitzer, den ich seit Jahren kenne, und formt grinsend eine Raute vorm Körper, „Masseltov!“ Warum sich eigentlich alle so sicher seien, dass ich für die CDU gestimmt hätte, will ich fragen. Aber bevor ich etwas sagen kann, beginnt er schon, von Merkel zu schwärmen, wie vernünftig sie sei, wie besonnen, wie klug, vor allem aber: frei von Skandalen „Das Gegenteil von Netanjahu!“ Gut, ihre Entscheidung gegen die Ehe für alle nehme er ihr noch etwas übel. Aber es sei schon bewegend, dass gerade eine deutsche Kanzlerin Herz zeige, während sich die anderen Europäer mehrheitlich wegduckten…

Aber ob er denn auch von dieser neuen rechten Partei gehört habe, unterbreche ich ihn.
„Ach, von dieser abgespeckten Alt-Right-Truppe mit ihren zehn Prozent?“
„Um die Dreizehn“, korrigiere ich.
Er zuckt unbeeindruckt die Schultern.

Keine Angst vor der neuen Rechten

„Pfff, das sei doch gar nichts“, pflichtet ihm eine Frau vom Nebentisch bei, die den Besitzer vielleicht ebenfalls kennt, oder sich vielleicht auch einfach nur so beteiligen will; in Israel braucht man für eine politische Diskussion keine gesonderte Einladung.
Tatsächlich habe sie gerade erst ein Interview mit der Chefin dieser „Alternativa le Germania“ gesehen. Nein, sympathisch habe sie die nicht gefunden, vor allem, wie sie sich an die israelische Reporterin rangewanzt habe, von wegen, man säße in Sachen islamistischer Terror ja im selben Boot. „Widerlich! Aber in anderen Ländern sieht es doch genauso aus. Le Pen, Wilders, Orbán…“
„Ja schon“, räume ich ein, „aber macht euch ein Comeback der Rechten in einem Land wie Deutschland nicht mehr Angst?“
Die Frau lacht. „Ach Kindchen, wir reden hier von einer Partei, deren Spitzenkandidatin lesbisch ist und mit einer Frau aus Sri Lanka zusammenlebt. Wenn das das Rechteste ist, was ihr zu bieten habt, bringt mich das erstmal nicht um den Schlaf.“

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Peter Lieser | Di., 26. September 2017 - 13:04

Drei oder Vier Israelis finden Merkel gut. Jewiki die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum in deutscher Sprache hat vor der Wahl empfohlen mit 1 + 2 Stimme die AFD zu wählen. Es gibt halt immer verschiedene Meinungen.

Meine Frau war erschrocken, als unsere jüdischen Freunde sich zur AfD bekannten. Meine Erklärung wurde dann aber von diesen Freunden bestätigt. Antisemitische Äußerungen und auch Belästigungen haben diese in den letzten Jahren zunehmend durch Zugewanderte aus dem muslimischen Kulturkreis erfahren. Das macht ihnen Angst. In Berlin wurden Juden die Kippa vom Kopf gerissen, "Jude" gilt an manchen Schulen mit hohem Migrationsanteil als Schimpfwort, es kursiert selbst bei "gut integrierten" muslimischen Mitbürgern das "Wissen um die jüdische Weltverschwörung". Nicht zuletzt waren die Juden in Frankreich das Ziel von islamistischen Terroristen und nicht von Anhängern von Le Pen.

martin falter | Di., 26. September 2017 - 13:12

man findet immer noch etwas schlimmeres. Und da kann Israel mit ihren ultrarechten Regierungsmitgliedern sicher einiges bieten. Und sonst irgendwelche Einsichten bzw. Ergebnisse aus dem Artikel die für Deutschland relevant sind?

Markus Michaelis | Di., 26. September 2017 - 13:19

Zitat: „Ach Kindchen, wir reden hier von einer Partei, deren Spitzenkandidatin lesbisch ist und mit einer Frau aus Sri Lanka zusammenlebt. Wenn das das Rechteste ist, was ihr zu bieten habt, bringt mich das erstmal nicht um den Schlaf.“

Das denke ich auch manchmal. Bei aller Abscheu gegenüber der AFD (und als nationale Identität sind solche Fixpunkte auch wichtig): wir wollen ja ein buntes, weltoffenes Deutschland. Wenn ich so in die Welt rausschaue (jenseits meiner immer gleichen kleinen Blase in München, Joburg, Schanghai und Dubai), sehe ich eine ziemlich bunte Welt, auch sehr viele ziemlich rechte Dinge, aber auch vieles Anderes ziemlich buntes. Wenn wir da schon mit der AFD Probleme haben - wie wollen wir es da schaffen weltoffen und bunt zu werden? Das will in meinen Kopf nicht rein.

Heidemarie Heim | Di., 26. September 2017 - 13:55

Ich liebe den der älteren Generation Israelis eigenen Humor seit ich Kishon in jungen Jahren las. Wie geradezu erfrischend lesen sich solche Alltags-Satiren wenn ich außer an Vagina-hands (herrlich!!!)an ein Stockwerk höher denke.Nicht wenige in der Politik leiden momentan an dieser Fehlstellung der Mundwinkel.
Danke der Frau vom Nebentisch,die mit einem
Satz erinnerte, "doch die Synagoge mal im Dorf zu lassen"! MfG

Caroline Spofford | Di., 26. September 2017 - 14:04

Ich lebe seit vier Jahren in Californien und bekomme ganz ähnliche Reaktionen. Die meisten finden, Merkel mache einen tollen Job und verstehen ehrlich gesagt nicht, warum sie nicht die absolute Mehrheit kriegt. Ja, der Einzug einer Partei, die klar nationalistische Tendenzen hat und immer wieder mit antisemitischen Äußerungen auffällt, ist besorgniserregend, aber 87 Prozent der Deutschen haben nicht die AfD gewählt. Man muss nicht gleich ein neues Drittes Reich beschreien.

... die mit antisemitischen Äußerungen auffällt"

Danke für Ihren Textbetrag aus Californien liebe Caroline.
Doch nun sollten Sie auch noch Ihre persönliche Sicht aus dem o.g. Zitat stützen und wenigstens ein Beispiel einer antisemitischen Äußerung aus Reihen der AfD Spitzenriege der Glaubwürdigkeit wegen hier hinzufügen.

Die Rede ist nicht etwa von irgendwelchen Anhängeren und Hinterbänklern die auch in dieser Partei ggf. antisemitischen Unsinn von sich geben. Wie übrigens auch und gerade aus Reihen die Partei DIE LINKE gelegentlich zu hören sind.

Dank vorab liebe Caroline und weiterhin viel Spass in wie mit Californien.

Dank an Sie für Ihre Mühe.

Ihre ersten zwei Links sind einngutes Beispiel dafür, wie man argumentativ sicher daneben liegen kann.
Ihr drittes Beispiel, Dumpfbacke Höckeund seine Mahnmalzweideutigkeit. Gut Caroline, Sie hätten recht, wenn die Deutung eindeutig wär. Ist denn Höcke an der Spitze dieser Partei? Meines Wissens nicht.
Was auch Sie wissen könnten, neue Parteien müssen sich finden oder sie gehn unter. Ältere Beispiele aus Deutschland: Die Grünen-sind da, Die Piraten-sind weg, aus der SED=PDS wurde Die Linke-immerhin, gut im Rennen.
Bei der AfD gilt: Abwarten was wird.
Glauben Sie bitte nur nicht, dass etwa die Strategie diese Partei und deren Wähler sämtlichst den Brand Nazis, Rassisten, etc.pp zuzuordnen auif Dauer zum Erfolg führt und sie in die Bedeutungslosigkeit versenkt.
Mir kommt`s vielfach so vor, als wüssten heutige Kritiker nicht mal mehr wer Nazis waren. Wen die wann, wo, in Millionenzahl, mordeten. Natürlich wissen sie`s, sie gleichen nur leicht, dümmelnd ab.

... wurden nicht auch schon Netanjahu, Scharon und einige weitere reflexartig als Nazis beschimpft?
Absurd, nicht wahr? Das war an dieser Stelle meinerseits keine Wertung der genannten, als sog. politische Persönlichkeiten.

Hermann Burckhard | Di., 26. September 2017 - 14:14

... das trifft den Nagel auf den Kopf. Die AfD tut gerade alles, um sich so schnell wie möglich selbst zu zerlegen. Damit erinnert sie erstaunlich an das Köpfe-Rollen rund um die Trump-Administration und den Zerfall der Ukip nach dem Brexit. Man kann Ihnen bei der Selbstmontage nur alles Gute wünschen!

Michael Lang | Di., 26. September 2017 - 18:52

Auch ich war am Wahlabend in Tel Aviv und habe mit vielen Freunden gesprochen. Keiner hat mir zu Merkel gratuliert - ich bin ja auch kein Deutscher - aber ich musste den Leuten erklären, was die AfD ist; Die Israelis interessieren sich wenig für Parteien in Deutschland, weil es sie ja gottseidank nicht tangiert. Hingegen wird Merkel hoch geachtet, da sie das Gegenteil des polternden Netanyahu ist und als Bollwerk gegen die ausufernde Anti-Israelische Hetze in EU und UN-Gremien angesehen wird.

Wilhelm Maier | Di., 26. September 2017 - 19:11

Einzigartiger -schreibstil!. Ein Schreibstil, humorvoll, der immer noch da ist. Weit weg von auk­to­ri­ale Berichten.
Gefällt mir sehr. Danke.

Kim-Sophie Ohlsen | Di., 26. September 2017 - 19:46

Zitat: "....„Nicht mein Land“ und „Wer die AfD gewählt hat, soll mich bitte entfreunden“.

Ich würde ihm gerne eine Freundschaftsanfrage schicken, nur damit ich ihn dann entfreunden kann. Würde ich mit Wonne tun und auch gerne ein Paar mal wiederholen.
Ich finde solche Aufrufe klassen, denn besser können sich falsche Freunde nicht outen. :-)

Jürgen Lehmann | Mi., 27. September 2017 - 12:01

Bevor man allein der AFD Antisemitismus vorwirft, sollte man noch einmal den Beitrag von Bassam Tibi (3.Juli 2017) lesen:

Antisemitismus im Islam - Nie wieder!?
Auszüge:
„Aus meiner Forschung weiß ich, dass ein hoher Prozentsatz der Araber und Muslime eine antisemitische Weltanschauung vertritt; dieser Denkansatz lässt sich auf die Flüchtlinge übertragen.“

"Gegen islamische Lebenslügen und Propagandabegriffe wie „Islamophobie“ führt die Jüdische Rundschau den Bericht eines Forschers an, wonach in Europa seit 2000 alle ermordeten Juden von Islamisten getötet wurden."  

"In der deutschen Presse liest man seit einiger Zeit Berichte über die Zunahme von Antisemitismus in Deutschland, jedoch stets ohne eine Spezifizierung der Nachricht, also ohne Angaben über die Täter, die Muslime sind….“

Diese Muslime wurden letztendlich durch die „Willkommenskultur“, d.h. Frau Merkel angelockt.