Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Akademiker in Deutschland – prekär, befristet, raus

Akademiker in Deutschland - Prekär, befristet, raus

Im Export sind wir Spitze. Mittlerweile zieht es aber auch immer mehr junge Akademiker ins Ausland. Denn in Deutschland werden sie schlecht bezahlt und haben selten Perspektive. Was ist los im Land der Dichter und Denker?

Deutschland ist ein reiches Land. Doch die Ausgaben für Bildung liegen weit unter dem Durchschnitt der westlichen Industrieländer, in einigen Bereichen sind sie sogar gesunken. Der neueste OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ rechnet vor, dass private und öffentliche Stellen im Jahr 2008 nur noch 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildungseinrichtungen ausgegeben haben. Im Jahr 1995 waren es noch 5,1 Prozent. Schuld ist der zu geringe private Anteil. Kaum schlagen Studiengebühren und Schulgeld zu Buch.

Nur Tschechien und die Slowakei lassen sich Bildung ebenso wenig kosten. Das Ergebnis: Es gibt zu wenig Hochqualifizierte in Deutschland. Diejenigen, die nach einer guten Ausbildung nicht in die freie Wirtschaft gehen, sondern als Wissenschaftler an Hochschulen arbeiten, sitzen auf befristeten Verträgen, sind vom Lehrstuhlinhaber abhängig und können weder ihr Leben noch ihre Karriere planen. Nicht wenige von ihnen wandern ins Ausland ab.

Was ist los im Land von Goethe und Schiller?

Die Bildungsmisere der Hochqualifizierten beginnt nicht erst am Ende ihrer Laufbahn. Meist deutet sie sich schon früh im Leben an, dann wenn die Kleinen gerade laufen können und neugierig die Türen in die Welt öffnen: im Kindergarten.

Doch Pustekuchen.

Denn hierzulande kümmert sich im Schnitt eine Erzieherin um 12 bis 13 Kinder. Mehr als aufpassen und die Kids verwalten, geht da kaum. Ganz anders sieht die Situation beispielsweise in Finnland aus: Dort scharen sich nur sieben Kleine um eine Erzieherin. Und auch in der Ausbildung gibt es große Unterschiede: Während skandinavische Staaten vorschreiben, dass die Erzieher praxisnahe Studiengänge absolvieren müssen, reicht als Qualifikation in Deutschland lediglich eine Lehre.

[gallery:Was macht eigentlich...]

In den Grundschulen setzt sich das mangelhafte System fort. Für einen ABC-Schützen werden in Deutschland gerade mal 4.336 Euro pro Jahr ausgegeben – andere Länder lassen sich die Kleinen 5.292 Euro kosten. Und dies, obwohl erfahrene Grundschullehrer in Deutschland auf das dritthöchste Verdienstniveau im OECD-Vergleich kommen. Die Folge ist, dass in Deutschland die Klassen größer sind, mehr Schüler auf eine Lehrkraft kommen und die Kinder weniger Unterrichtsstunden haben. Jungs und Mädchen aus sozial schwächeren Familien raubt das System Chancen.

In Deutschland liegt die Wahrscheinlichkeit für 15-Jährige aus bildungsfernen Schichten, Stufe 3 in der Lesekompetenz nicht zu erreichen - also den Hauptgedanken eines Textes nicht erfassen zu können - mehr als doppelt so hoch wie in anderen Ländern. Die Folge: Auch wenn die Abiturientenzahlen absolut gesehen steigen, machen in Deutschland im OECD-Vergleich deutlich zu wenige Kinder Abitur. Derzeit sind es rund 46 Prozent, im OECD-Durchschnitt sind es 59 Prozent. „Die Anzahl der Hochqualifizierten ist in Deutschland in den letzten Jahren vergleichweise langsam gestiegen“, rügt der OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher.

Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School of Governance in Berlin, bemängelt, dass nach der Grundschule zu wenig Schülern der Weg zu einer höheren Bildung ermöglicht werde. „Wir müssen neben dem Gymnasium möglichst viele Wege bis zum Abitur offen halten, damit die Quote steigt.“ Doch das sei in Deutschland ein „Tabuthema“. In einigen Bundesländern wie Bayern werde die Zahl der Abiturienten sogar bewusst niedrig gehalten. „Viele stellen bei mehr Abiturienten sofort die Qualität des Abiturs in Frage“, obwohl es inhaltlich keinen Zusammenhang gebe. Denn unter den Schülern gebe es durchaus mehr Potential. Das werde aber derzeit nicht ausgeschöpft.

Ein Modell, das neue und mehr Wege zum Studium eröffnet, beschreitet seit kurzem das Land Niedersachsen. Dort können jetzt auch Elektriker, Arzthelferinnen oder Buchhalter ohne Abitur und  Aufnahmeprüfung studieren. Die Anwärter müssen eine Berufsausbildung und drei Jahre Berufspraxis vorweisen. „Die Hochschulen werden attraktiver und zukunftsfähiger“, sagt die niedersächsische Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU). Vor allem bildungsferne Schichten, die sich nicht gleich im ersten Anlauf für Abitur und Studium entschieden hätten, profitierten von der Neuregelung, meint Wanka.

Aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das derzeitige System teilweise verbesserungswürdig. Die Arbeitslosenquote von Akademikern lag im Krisenjahr 2008/2009 bei nur 3,4 Prozent (insgesamt 7,6 Prozent), ihr Verdienst liegt sogar um 68 Prozent höher als das anderer Beschäftigter. Ein Vorteil, den nicht nur die Akademiker spüren, sondern vor allem auch der Staat. Bei weniger Arbeitslosengeld nimmt er gleichzeitig mehr Steuern ein. Außer den USA verdient ohnehin kein Land an seinen Hochqualifizierten so viel wie Deutschland: Der Bundesrepublik bleiben rund 126.000 Euro von seinen Investitionen – gerechnet auf ein Arbeitsleben eines Mannes.

Doch was für Akademiker in der Privatwirtschaft gilt, stimmt schon lange nicht mehr für diejenigen, die den Bildungsstandard und den Wissenschaftsstandort Deutschland auch in Lehre und Forschung erhalten sollen: die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen. Mehr als 90 Prozent der Nachwuchswissenschaftler müssen sich mittlerweile mit befristeten Stellen zufrieden geben, teilweise mit Laufzeiten von unter einem Jahr. Der Mittelbau an den Hochschulen wird zur Verschiebemasse, die Karrierewege der Doktoranden sind unsicher und schlecht bezahlt.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz, der zusammen mit seiner Fraktion einen Antrag zur „Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses“  im Deutschen Bundestag eingebracht hat, sagte vergangene Woche im Plenum: „Wir müssen teilweise sogar von nachgerade prekärer Beschäftigung im Wissenschaftsbereich reden. Für die Betroffenen besteht die reale Gefahr, im fünften Lebensjahrzehnt, also über 40-jährig, trotz höchster Qualifikation schlichtweg ausgemustert zu werden.“ Die SPD fordert 2500 neue Professorenstellen und 1000 Juniorprofessorenstellen. Sie sollen als Alternative zur Habilitation geschaffen werden. Der „Tenure Track“, also die Chance nach einer befristeten Bewährungszeit eine Lebenszeitprofessur zu erhalten, soll gestärkt werden.

Und auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Rupprecht fragte im Plenum, wieso trotz des jährlichen Zuwachses des Paktes für Forschung und Innovation von drei Prozent jährlich „diese Sicherheit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit nicht in den Arbeitsverträgen“ weitergegeben werde.

Obwohl die CDU nachjustieren will und der Forderungskatalog der SPD groß ist, klingt alles schnell zahm, wenn man sich die Worte des Schweizer Historikers Caspar Hirschi von der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich anhört. Er vergleicht die Situation angestellter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland mit der von Günstlingen an Fürstenhöfen: „Um sich im akademischen Betrieb zu halten, müssen sie den Ruhm ihres professoralen Patrons durch treue Dienste und wissenschaftliche Taten erhöhen. Ein entscheidender Unterschied zum Fürstenhof besteht jedoch darin, dass Gönner und Günstling im gleichen Feld agieren, womit sie, sobald sich der Günstling einen eigenen Namen gemacht hat, zwangsläufig in ein Konkurrenzverhältnis treten. Diese Konkurrenz zwischen etablierten Professorinnen und Professoren und dem innovativen Nachwuchs könnte beispielsweise durch die Aufhebung dieser

Hierarchien und ebenjener persönlichen Abhängigkeiten produktiv wirken.“ Seine Vorstellung: Die Nachwuchswissenschaftler sollten die Möglichkeit bekommen, vermehrt selbständig zu forschen.

Aber Hirschi macht noch auf einen anderen Punkt aufmerksam, der gerade dem deutschen Staat nicht gefallen dürfte. Viele  Wissenschaftler, die im System ausharren und dann irgendwann enttäuscht nach neuen beruflichen Wegen suchten, würden Deutschland ganz verloren gehen. Sie wandern irgendwann ins Ausland aus. „Der Titel des Exportweltmeisters ist im akademischen Personenverkehr teuer erkauft, denn zu verdienen gibt an der Massenexilierung tausender Wissenschaftler nichts“, mahnt Hirschi.  

Die gute Nachricht ist: Der Etat für Bildung und Forschung soll im Jahr 2012 auf 12, 8 Milliarden Euro steigen. Im Haushaltentwurf sind rund 1,15 Milliarden Euro mehr veranschlagt als in diesem Jahr.

Das Problem: Sie müssen richtig ausgegeben werden. 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.