Pläne der EU-Kommission - Der ganz normale Terror

Brüssel empfiehlt „diskrete Barrieren“ zur Gefahrenabwehr in den Innenstädten. Der islamistische Terror gilt als europäische Realität. Warum wird er nicht ebenso stark an den Grenzen bekämpft?

Betonbarrieren rund um den Breitscheidplatz in Berlin – schon bald Normalität in deutschen Innenstädten? / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Reiner Wein gehörte bisher nicht zu den Brüsseler Exportschlagern. Die Europäische Kommission schnitzt sich den Kontinent gern regulierend zurecht. Insofern taugt zur Sensation, was die Kommission an diesem Mittwoch laut der Tageszeitung Die Welt verkünden wird: Ihr Bürger Europas, ihr fürchtet euch zu Recht vor dem islamistischen Terror. Bitte gewöhnt euch an ihn, denn er wird nicht aus euren Städten verschwinden.

Wörtlich wird man diese Erkenntnisse nicht im „Aktionsplan zum verbesserten Schutz öffentlicher Räume“  finden. Wohl aber bildet eine solche Bestandsaufnahme die Grundlage, die alle Brüsseler Maßnahmen erst erzwingen kann. Wodurch von europäisch höchster Warte festgestellt und bekräftigt wird, dass es nicht die „Sorgen“ und „Nöte“ und „Ängste“ der jeweiligen Bevölkerung sind, die einen politischen Kurswechsel nahelegen. Nein, die Fakten haben sich geändert, die Realität ist eine andere, das 21. Jahrhundert markiert ein neues, ein bitteres Kapitel in der Geschichte der öffentlichen Sicherheit, und zwar aufgrund der islamistischen Bedrohung.

Rührend hilflos, utopisch naiv

Konkret schlägt der „Aktionsplan“ vor, dass sich Behörden und Betreiber von Einkaufszentren und Sportstätten miteinander vernetzen; dass Züge als „Hochrisikoziel“ besser geschützt werden; dass man Angriffe mit „chemischen, biologischen, radioaktiven und nuklearen Substanzen“ stärker ins Kalkül zieht. Außerdem empfiehlt die Kommission „innovative und diskrete Barrieren, um Städte zu schützen, ohne ihren offenen Charakter zu ändern“. Städte müssen also geschützt werden durch Betonpoller in Fußgängerzonen und auf Markplätzen, damit es kein zweites Nizza, kein zweites Stockholm, keinen zweiten Berliner Breitscheidplatz geben wird – längst sind Städtenamen verkürzt zu Sprachzeichen des Grauens.

Der Ausnahmefall von gestern ist die Normalität von heute. Und von morgen, übermorgen, überübermorgen. Die Europäische Kommission stimmt die Bürger auf eine Periode von unbefristeter Dauer ein, in der sich die Bewegungsfreiheit drastisch reduzieren wird. Denn natürlich ist es rührend hilflos, Barrieren einerseits für diskret, andererseits für effektiv im Angesicht sterbebereiter Terroristen zu halten, ist es utopisch naiv, Städte mit einem engmaschigen Netz an Betonkübeln oder Sperrwänden überziehen und dennoch an deren „offenem Charakter“ festhalten zu wollen. Das wird nicht funktionieren. Die neue Realität wird der Einkaufsbummel als Hindernisparcours sein, die Slalomfahrt durch Sicherheitsschleusen. Der hochgerüstete Mainzer Festtag am 3. Oktober war ein Vorgeschmack, das kommende Silvester wird ein bundesweiter Belastungstest sein, nicht nur in Köln. Und wo die Sicherheitskosten ins Uferlose schießen, wird es Absagen geben, wie unlängst bei der Bamberger „Sandkerwa“.

Abwehrkampf muss an den Grenzen geführt werden

Auch diese bittere Pointe mutet die Kommission uns zu: Der Kampf wider den Terror muss in den Innenstädten ausgetragen werden. Sie sind das Herzstück der Angriffe, sie sollen Räume des besonderen Schutzes werden. Pragmatisch ist eine solche Sichtweise, doch eben auch unvollständig. Natürlich wäre es denkbar, den antiislamistischen Abwehrkampf an den Grenzen zu führen. Die Bewegungsfreiheit der Bürger wird schließlich eingeschränkt, weil und nachdem die Bewegungsfreiheit der Terroristen sich ausgeweitet hat. Man lese zu diesem traurigen Zusammenhang nur den Bericht des Sonderermittlers im Fall Anis Amri.

In einem Europa, in dem multiple Identitäten beiläufig entdeckt werden, einem Europa, in dem die passlose Einreise toleriert und der Aufenthalt ausreisepflichtiger Ausländer geduldet wird, sind unsere Innenstädte Ausdruck unserer inneren Verfassung. Insofern löst die Europäische Kommission auf bittere Weise ein, was der deutsche Bundespräsident der Politik ins Stammbuch schrieb: Sie macht sich ehrlich. Gute Nachrichten sind das nicht.

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