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Parteiendemokratie in Gefahr? - Das Beben wird ausbleiben

Kolumne Grauzone: Selbst ein AfD-Sieg bei den Landtagswahlen erschüttert das Parteienspektrum nicht derart, wie es Politikbeobachter derzeit befürchten. Der Niedergang der Volksparteien ist im Grunde nichts anderes als eine Ausdifferenzierung des großen sozialdemokratischen Blocks

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Morgen wird die Welt untergehen. Soviel scheint klar zu sein. Zumindest wenn man dem stetig anschwellenden Mediengetöse glauben mag. Seit Wochen steigt die Fieberkurve, befeuert durch immer neue Umfragen. Im Stakkato prasseln die Umfragewerte auf uns ein: vom Sinkflug der CDU in Baden-Württemberg, vom Aufstieg Winfried Kretschmanns, vom knappen und immer knapperen Vorsprung Julia Klöckners, vom unaufhaltsamen Triumph der AfD.

Es droht also ein historischer, ach was: eine epochaler Wahltag. Danach wird nichts mehr sein wie zuvor. So oder ähnlich brüllen die Schlagzeilen auf uns ein. Ein Land in Schnappatmung.

Nehmen wir mal an, es kommt tatsächlich so, wie die Umfrageinstitute prognostizieren: Die AfD ist die Gewinnerin der Abends. Die SPD ist – ob Dreyer nun Ministerpräsidentin bleibt oder nicht – die große Verliererin. Die Grünen feiern einen Kretschmanntriumph, der ihr ansonsten schlechtes Ergebnis kaschiert. Die Werte der CDU sind alarmierend – gleichgültig, ob es Julia Klöckner schafft oder nicht. Und die FDP, die freut sich. Nur interessiert das keinen.

Die AfD erinnert an die frühen Grünen
 

So in etwa wird’s wohl ausgehen. Und dann? Wo genau ist jetzt die Katastrophe? Schauen wir genauer hin: Zählt man den linken und den bürgerlichen bis rechten Block zusammen, summieren sich beide auf etwas über 40 Prozent. So ist das seit Jahrzehnten. Revolution? – Fehlanzeige.

Aber das Abschneiden der AfD? Abgesehen davon, dass es nicht besonders überraschend kommt: Die AfD erinnert an die Grünen der frühen 80er. Sonderliche Gestalten, ein paar Radikale, ein paar Spinner, ein paar Vernünftige. Ob sich der Realoflügel durchsetzen wird oder die Wirrköpfe die Partei versenken, werden wir sehen. Und was die programmatische Ebene angeht: Ein parlamentarisches System, das eine linkssozialistische Partei verkraftet, sollte auch eine nationalkonservative aushalten.

Die CDU? Die steht vor ihrem Abstieg. Wo der enden wird, ob in der 30er Zone oder darunter, das werden die nächsten Monate und Jahre beweisen. So oder so: Die CDU holt nach, was die SPD seit Jahrzehnten vorexerziert: das Ende der Volksparteien. Das ist zwar ein politischer Kategorienwechsel, nur ist der schon seit geraumer Zeit im Gange.

Und auf der linken Seite der parlamentarischen Sitzordnung? Dort werden die Grünen auf Vor-Fukushima-Niveau zurechtgestutzt und ein beliebter Landesvater wird trotz, nicht wegen seiner Parteizugehörigkeit wiedergewählt. So was kommt vor.

Das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters?
 

Bleibt die SPD. Die befindet sich im freien Fall. Allerdings nicht erst seit morgen. Und das Problem ist, dass es keine erkennbare Lösung aus diesem Elend gibt. Weiter nach links? Oder nach rechts? Mehr Antikapitalismus wagen? Stärker die nationale Karte spielen? Oder die internationale? Die Altangestammten bedienen oder doch lieber die Akademikerlinke? – Es ist vertrackt. Alle Positionen sind schon besetzt. Die SPD kann sich wenden, wohin sie will. Es gibt kein programmatisch freies Plätzchen. Und wo sie im Moment steht, weiß sie selber nicht.

1983 verkündete Ralf Dahrendorf das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters. Seine damalige Begründung: Die Sozialdemokratie habe sich zu Tode gesiegt, sie verliere ihre Unverwechselbarkeit, weil ihre Ideen inzwischen Allgemeingut seien.

So falsch lag der Lord nicht. Tatsächlich ist das gesamte Parteienspektrum inzwischen sozialdemokratisiert. Der Niedergang der Volksparteien ist im Grunde nichts anderes als eine Ausdifferenzierung des großen sozialdemokratischen Blocks von nationalkonservativ über liberalkonservativ, linksliberal bis linkssozialistisch. Darunter leidet naturgemäß das Original. Nicht auszuschließen, dass von der Partei Bebels dauerhaft nicht mehr übrig bleibt als ein Juniorpartner für die Grünen und die CDU.

Politik nicht mit Parteien verwechseln
 

Das ist tragisch für die SPD. Die große Zeitenwende ist es aber nicht. Die stünde erst an, wenn der sozialdemokratischen Phalanx etatistischer Parteien von AfD bis Linke eine gesellschaftspolitische Alternative erwüchse. Die ist aber nicht in Sicht.

Die politische Landschaft in Deutschland wird sich verändern? Gemach. Wir leben zwar in einer Parteiendemokratie, doch man sollte Politik nicht mit Parteien verwechseln. Was sich ändern wird, ist der Parteiproporz. Den sozialdemokratischen Grundkonsens eines allzuständigen Versorgungsstaates erschüttert das nicht, er sortiert sich lediglich neu. Das mag einigen Parteifunktionären unruhige Nächte bescheren und Medienleute in sprachliche Superlative treiben. Ein gesellschaftliches Beben sähe jedoch anders aus.

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