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Köln-Debatte und Flüchtlingspolitik - Deutschland ist peinlich

Kisslers Konter: Die Ereignisse in der Silvesternacht haben den Salon-Ressortleiter Alexander Kissler fassungslos, traurig und wütend gemacht. Er erkennt seine Bundesrepublik nicht mehr wieder. Ohne eine sofortige Abkehr von Merkels Politik der offenen Grenzen werde es so bleiben, schreibt er

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ich habe immer gerne in Deutschland gelebt. Doch nun begreife ich meine Heimat nicht mehr, meine Regierung nicht mehr. Der Rechtsstaat wurde ausgehöhlt, nun wird er verhöhnt. Der Staat kann die Sicherheit seiner Bürger an immer weniger Stellen garantieren. Die Demokratie wird gedehnt, das Ausland spottet über uns. Deutschland zu Beginn des Jahres 2016: das taugt für einen Witz, eine Prise Schadenfreude und eine große Portion Unverständnis. Die Bande zur Weltgemeinschaft werden täglich dünner. Wir isolieren uns.

Ich begreife nicht, was die Kanzlerin antreibt bei jenem einzigartigen Sozialexperiment, dem sie die Bevölkerung unterzieht. Es ist ein Experiment mit sehr ungewissem Ausgang, aber exorbitanten Kosten, ein Experiment, für das sie als Chefin der Exekutive bedingt legitimiert ist. Deutschland entwickelt sich im zehnten Regierungsjahr der Angela Merkel zu einem innerlich gespaltenen Land, in dem die Nerven blank liegen und die Gewalt in den Alltag kriecht, Gewalt von rechts, Gewalt von links, Gewalt von Migranten. Man schläft schlecht in diesen Tagen. Deutschland wird peinlich.

Asylbewerber für den Arbeitsmarkt meist unqualifiziert
 

Womit hat man uns nicht die Sinne benebelt! Erst erzählte man uns, die abertausend Menschen, die aus fernen Ländern hierher kommen, seien eine große Chance für die Wirtschaft, ein einmaliger demografischer Jackpot, der Fachkräftemangel sei bald perdu. Nun hören wir, neun von zehn Migranten seien für den Arbeitsmarkt möglicherweise nicht qualifiziert. Ist es ein Wunder? Musste man damit nicht rechnen?

Dann hieß es, die Aufnahme und Integration könne ein reiches Land wie Deutschland auf jeden Fall stemmen. Nun überfordert schon die Organisation die Länder und Kommunen. Es werden immer mehr Turnhallen zweckentfremdet, Immobilien beschlagnahmt und Provisorien auf Dauer gestellt. In Berlin soll der Aberwitz im Bruch eines Volksentscheids kulminieren. Auf dem Tempelhofer Feld, einem ehemaligen Flughafengelände, gegen dessen Bebauung die Bevölkerung erst 2014 in einem Plebiszit votierte, will der Senat ein Flüchtlingsdorf für bis zu 7000 Personen errichten. Damit hätte Deutschland beste Voraussetzungen, an die Tradition der französischen Banlieues anzuknüpfen.

Attentatsversuch in Paris
 

Weiterhin hieß es von Seiten der Regierung und weiter Teile der Presse, auf keinen Fall dürfe man die Flüchtlings- und die Terrorfrage miteinander verknüpfen. Es kämen dankbare Menschen zu uns auf der Flucht vor Krieg und Terror. Für die Mehrheit gilt dies ohne Frage – aber natürlich nicht, wie mit hohem moralischem Gewissensdruck erklärt wurde, für alle, die da einreisen.

Nun wurde aus einem Flüchtlingsheim heraus ein Terroranschlag geplant. Ein beim Attentatsversuch in Paris getöteter Islamist hatte im Asylbewerberheim Recklinghausen gewohnt und dort offen dem „Islamischen Staat“ gehuldigt – ohne dass es die Behörden gekümmert hätte. Unter mindestens sieben falschen Identitäten soll er kreuz und quer und weitgehend unbehelligt durch Deutschland und Europa gezogen sein. Asylbewerberheime sind oft staatsferne Räume der Gewalt, fast täglich werden Schlägereien, Kämpfe, Tötungsdelikte unter deren Bewohnern gemeldet. Die Konflikte aus der Heimatregion potenzieren sich in der Fremde.

Dankespflichten sind eine heikle Sache, doch dass ein hierher geflohener Mensch sich friedlich und gesittet benimmt, sollte man erwarten. Diese Hoffnung kollabiert. Über 500 Anzeigen sind bisher nach der Frauenhatz an Silvester vor dem Dom zu Köln eingegangen. Die Tatverdächtigen sind derzeit vor allem Nordafrikaner, mehrheitlich Asylbewerber.

Übergriffe von Nordafrikanern und Arabern häufen sich
 

Ebenfalls an Silvester wurden im baden-württembergischen Weil am Rhein zwei minderjährige Mädchen vergewaltigt. Unter den vier Tatverdächtigen befinden sich ein Asylbewerber und ein anerkannter Flüchtling aus Syrien. Kaum gesitteter ging es auf der Reeperbahn in Hamburg zu. Hier liegen nach sexuellen Attacken auf Frauen über 130 Anzeigen vor. In Frankfurt am Main wurden wegen desselben Vergehens zehn Verdächtige festgenommen, allesamt Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber. In Bielefeld bedrängte, auch an Silvester, „eine ungewöhnlich hohe Zahl von Arabisch sprechenden Männern mit Aufenthaltsbescheinigungen“ eine Diskothek, von 400 bis 500 Männern ist die Rede. Frauen wurden belästigt, Wachleute angegriffen. Nach Silvester wurde es kaum besser: Zwei Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan sollen auf der Insel Fehmarn einen französischen Juden „beschimpft, bedrängt und beraubt haben“, in Schwetzingen hat ein Mann von „nordafrikanischem Erscheinungsbild“ eine Frau „unsittlich angefasst und getreten“, in Hamburg wurde eine junge Frau  von einer 30 bis 40 Mann starken Gruppe „Südländern“ in einem Bus sexuell belästigt und eine Rettungsassistentin von einem Eritreer „auf sexueller Basis beleidigt“. Die Liste ist nicht vollständig.

Effektivere Kontrollen der Bundesgrenzen
 

Das Entsetzen über die Untaten ist deshalb so groß, weil sie die Merkel'sche These aushebeln, in einem Land mit Willkommenskultur benähmen sich alle Hinzugekommenen wie freundliche Gäste. Dem ist nicht so. Der Rücksturz in die Realität ist schmerzhaft – und hat noch immer nicht zur Abkehr vom hartnäckigsten Selbstbetrug überhaupt geführt, von jenem Fatalismus, der besagt, Deutschland könne seine Grenzen nicht schützen. Jedes Land der Welt kann es, die Bundespolizei könnte es. Auch die ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio und Hans-Jürgen Papier plädieren für effektivere Kontrollen der Bundesgrenzen. Stattdessen soll Deutschland aber nach Merkels Wille eine Anomalie unter den Völkern sein, zum Schaden für diese wie für Deutschland selbst. Europa ächzt unter der unverminderten Sogwirkung, die von Deutschland ausgeht. Nach über einer Million Asylbewerbern 2015 und unverändert täglich über 3000 Neuankömmlingen spricht nichts dafür, dass es 2016 in der Summe deutlich weniger werden. Schon Novalis wusste, was Merkel sich nicht eingestehen mag: „Ein Wort bewegt Nationen“. Die Kanzlerin muss nun das Gegenwort aussprechen.

Wird sie es tun? Wird sie uns und der Welt sagen, dass es kein Recht gibt auf ein gedeihliches Leben in Deutschland für alle Bedürftigen dieser Erde? Dass Grenzen und Grenzkontrollen und Grenzschließungen auch im 21. Jahrhundert ihren Sinn haben, will ein Gemeinwesen nicht zugrunde gehen am verantwortungslosen Altruismus seiner Exekutive, der eine gewaltige Identitätslücke bemäntelt? Es wäre die Kehrtwende ihrer bisherigen und bisher gescheiterten Flüchtlingspolitik. Hoffentlich besiegt nicht Merkels Sturheit ihre Einsichtsfähigkeit, zum Nachteil für uns und andere.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, doch irgendwann stirbt sie.

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