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(picture alliance) Die Zahlen des DIW zeigen deutliche Missstände auf.

Arbeitslöhne - Dumpingrepublik Deutschland

Die Deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Der Aufschwung hat jedoch Schattenseiten. Deutschland verkommt zu einem Billiglohnland. Ein Kommentar

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem zahlt das Unternehmen Deutschland Dumpinglöhne, subventioniert mit Steuergeldern. Seine Exporteinnahmen erwirtschaftet es auf dem Rücken seiner Angestellten. Von seinen Gewinnen profitieren nur die wenigsten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat das gerade bestätigt: Seit 2000 sind die Reallöhne um 2,5 Prozent gesunken. Die größten Verlierer waren Minijobber und Leiharbeiter. Im unteren Einkommensbereich sanken die Löhne zwischen 10 und 22 Prozent. Dabei wuchs die Wirtschaft im gleichen Zeitraum real um 16,3 Prozent. Wer in der letzten Dekade mehr als 3000 Euro netto verdiente, der spürte in seinem Portemonnaie hingegen kaum einen Unterschied. Die oberen Einkommensgruppen konnten 2010 sogar ein leichtes Plus von 1,5 Prozent für sich verzeichnen.

Was in der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise dem deutschen Arbeitsmarkt ein Heilmittel war, zeigt sich nun von seiner sozialen Schattenseite: Zeit- und Leiharbeit. Das Mittel wirkte. Trotz Krise konnten viele Menschen ihre Jobs behalten, die Arbeitslosigkeit sank. Aber wie und um welchen Preis? Von etwa 40 Millionen Erwerbstätigen arbeiten sieben Millionen als Minijobber für 400 Euro oder weniger.

Dass hier „etwas aus dem Ruder gelaufen“ ist, findet auch DIW-Forscher Markus Grabka. Von 400 Euro im Monat kann niemand leben. Vor den Jobcentern füllen sich die Reihen mit Menschen, die statistisch betrachtet keine Arbeitslosen sind. Zum Überleben sind sie wegen der niedrigen Löhne auf staatliche Hilfe angewiesen.

Gerhard Schröders Hartz-IV-Reformen haben einen wahren Mini-Job-Boom ausgelöst. Viele Sozialdemokraten distanzieren sich heute von seinen Reformen, die in der Republik längst als Wahrzeichen für soziale Kälte gelten. „Die sinkende Arbeitslosigkeit geht zulasten der Qualität der neuen Jobs“, meint auch Bundestagsabgeordnete Anette Kramme (SPD). Der Löwenanteil der neuen Jobs sei prekär, schlecht bezahlt und biete keine sichere Zukunft. Über Hartz-IV, Leih- und Zeitarbeit fördern und subventionieren die Bundesrepublik und der Steuerzahler indirekt den Dumpinglohn-Sektor der Wirtschaft.  

Im europäischen Vergleich ist Deutschland längst zu einem Billiglohn-Land verkommen. Nur so kann die Bundesrepublik günstiger produzieren als ihre europäischen Nachbarn, Waren an sie verkaufen und weiter wachsen. Von außen betrachtet, ist Deutschland ein Erfolgsmodell. Höhere Lohnkosten würden diesem exportorientieren Wirtschaftskonzept sicherlich schaden. Gleichzeitig klagt die Wirtschaft über eine schwache Binnennachfrage. Die Deutschen konsumieren zu wenig. Aber womit auch?

Denn was nützen einer Friseurin ein Wachstum durch Export und eine sinkende Arbeitslosigkeit, wenn sich ihre Arbeit kaum noch auszahlt, ihre Kaufkraft sinkt? Wer im Jahr 2000 noch real 835 Euro verdiente, kam zehn Jahre später nur noch auf 705 Euro. Mit Wohngeld und einem monatlichen Regelsatz von 365 Euro hat ein Hartz-IV-Empfänger nur geringfügig weniger Geld zur Verfügung.

Eine hohe Exportquote und eine geringe Arbeitslosigkeit dürfen nicht zum reinen Selbstzeck verkommen. Wachstumszahlen sind nicht dazu da, dass sich Politiker mit ihnen brüsten. Ohne statistische Kniffe aber gerät die  niedrige Arbeitslosengquote schnell ins Wanken. Fast jeder fünfte Beschäftigte hat einen Minijob. Der Bürger merkt den Zahlenschwindel, denn der Aufschwung geht an ihm vorbei.

Die Firma Deutschland baut auf ihre Angestellten, die Bürger. Für sie muss sich Arbeit lohnen – nicht nur für den Top-Manager, sondern auch und besonders für jene Menschen, die nah am Existenzminimum leben. Dass trotz wirtschaftlichen Aufschwungs die Zustimmung zur Regierung abnimmt, ist deshalb verständlich. Die Bundesbürger lassen sich nicht mit geschönten Zahlen abspeisen. Deutschland befindet sich im Aufschwung. Die Aufgabe der Politik ist es, den wachsenden Kuchen gerechter zu verteilen.

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