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(picture alliance) Er hat die Autorität, sie die Verhinderungs-Macht.

Wolfgang Schäuble - Der Fast-Kanzler

Jüngst hat Wolfgang Schäuble ein EU-Referendum für Deutschland vorgeschlagen. Die Kanzlerin hat diese Idee flugs wieder eingefangen. Unser Kolumnist Gunter Hofmann geht der Frage nach, ob sich Schäuble nochmals zum heimlichen Kanzler aufbäumen kann

Plötzlich sieht man ihn wieder, den anderen Wolfgang Schäuble. Zuerst hat er davon gesprochen, die Politik der kleinen Schritte – Angela Merkels Credo! - reiche offenbar nicht, man müsse möglicherweise schon bald in Europa einen großen Integrationsschritt wagen.

Im Zweifel solle per Volksabstimmung das Abgeben von Souveränitätsrechten an Brüssel und die Wahl eines Präsidenten gebilligt werden. Dann spekulierte er laut darüber, solange wir keine gemeinsame Finanzpolitik hätten, könnten keine Eurobonds eingeführt werden – da er aber auf eine solche gemeinsame Finanzpolitik drängt, hieß das im Umkehrschluss, er gehe auch in dieser zentralen Frage auf Anti-Merkel-Kurs.

Denn sie hatte jüngst apodiktisch beteuert, Eurobonds werde es nicht geben, solange sie lebe (offenbar in der Erwartung, ihre Kanzlerschaft dauere lebenslänglich). Ich will hier nicht die Debatte über Eurobonds und die „Vergemeinschaftung der Schulden“ führen – als wären nicht auch die Rettungs-Milliarden für die Banken bereits eine solche „Vergemeinschaftung“ auf dem Rücken der Steuerzahler - , es geht mir nur um die Frage, was Schäuble umtreibt.

Wie erklärt es sich, dass er mal ganz souverän und eigenständig erscheint, als habe er das ständige Rücksichtnehmen und Taktieren schlicht satt, sich dann aber wieder brav einreiht und den Europa-Kurs der Kanzlerin rigoros verteidigt, als vollstrecke sie nur, was er will?

Berlin hat nach einem erstaunlich verbreiteten Medienurteil eine starke Kanzlerin, die jetzt ihre Macht in Europa leider unversehens teilen müsse. Mir scheint, diese „Stärke“ war zu großen Teilen schon vorher eine Projektion, die daraus resultierte, dass in Europa starke, überzeugende Führungsfiguren fehlen, die das Ensemble der 27 Staaten im Blick haben und nicht nur nationalegoistisch denken.

Zudem hat die Bundesrepublik eine enorme Veto-Macht: Wegen ihrer schieren Größe und der zur Zeit noch komfortablen wirtschaftlichen Verfassung kommt niemand an ihr vorbei. Das brachte Angela Merkel bekanntlich den Namen der „Madame Non“ ein.

Wenn man unter Stärke auch „Autorität“ versteht, sieht das Bild gleich ganz anders aus, und das spricht sich herum: Deutschlands Schwäche, sprich: die Schwäche Angela Merkels, bestehe darin, urteilte jüngst ein Wirtschaftsprofessor der London School of Economics in der ARD, dass das Land nicht „positiv“ führe.

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So ist es! Berlin agiert seit zweieinhalb Jahren aus der Defensive heraus, lässt sich Schritt für Schritt Konzessionen in der Euro-Krise abringen und behauptet, ein Ziel zu verfolgen – aber das „Wohin“ wird einfach nicht klar. Eine eigene Vorstellung vom künftigen Europa hat die Regierung nicht entwickelt, oder jedenfalls nicht verraten – und konnte sich dennoch bisher immer feiern lassen als „Führungsmacht“, weil Europa dem „Powerhouse“ zustimmen musste.

Das hat sich geändert wegen des wirtschaftlichen Desasters, in das praktisch ganz Südeuropa geraten ist, und seit den Wahlen in Frankreich. Überdeutlich wird plötzlich, was insgeheim schon immer so war: Da die Deutschen Europa (und den Euro) um keinen Preis scheitern lassen wollen, sind sie in Wahrheit als bloße Negativ-Macht schwächer als behauptet. Kompromisse müssen sie ohnehin schließen, das wusste man auch vorher.

An der Stelle kommt Wolfgang Schäuble ins Spiel. Grundsätzlich hätte er das Zeug dazu, um „positiv“ zu führen. Er hat Erfahrung, Kompetenz, Autorität. Im kleinen Kreis, gelegentlich sogar öffentlich vermittelte er den Eindruck, für sich wirklich entschieden zu haben, dass Europa einen großen Integrationsschritt wagen müsse.

Einmal, weil ein vereintes Europa das richtige Ziel sei, dann aber auch, weil es sich nur mit solcher Entschlossenheit befreien könne aus der Gefangenschaft der Finanzmärkte, die beliebig gegen den Euro oder seine schwächsten Mitglieder spekulieren.

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Ich entsinne mich, wie er bereits in einer frühen Phase der Euro-Krise – gesundheitlich ging es ihm damals erbärmlich schlecht – darüber räsonierte, ob sich nicht wenigstens einige Kernländer Europas darauf verständigen sollten, den ganz großen Integrationsschritt zu wagen.

Er kam damit auf jenen legendären Vorschlag zurück, den der große europäische Kopf, der autonome und kluge Karl Lamers, 1994 entwickelt und gemeinsam mit Schäuble veröffentlicht hatte. Paris und Berlin fühlten sich überfordert. Ein solches Europa der zwei Geschwindigkeiten dürfte ihm jetzt wieder vorschweben.

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Bedenkt man, wie gerade der britische Premier Cameron „weniger Europa“ predigt (aber zugleich strenger vorschreiben möchte, wie die Euro-Länder gefälligst ihre Krise zu lösen haben!) und welche Fliehkräfte sich auch andernorts zeigen, erscheint eine Wiederbelebung der Idee tatsächlich   aktuell.

Schon häufig hat Schäuble – der auch halsstarrig sein kann und nicht immer berechenbar ist - den richtigen Zeitpunkt getroffen mit Einmischungen. Erinnert sei nur daran, wie er gegen Kohls Status-quo-Haltung in der ersten Hälfte der 90er Jahre der Bundesrepublik auch eine polit-ökonomische Generalüberholung empfahl.

Sie scheiterte an seinem Kanzler, der rachsüchtig 1998 denn auch verhinderte, dass Schäuble als sein Nachfolger in die Wahlauseinandersetzung ging. Lieber ließ Kohl sich abwählen. Die Rundum-Erneuerung, die Schäuble wollte, exekutierte später dann der sozialdemokratische Kanzler, Schröder, mit seiner Agenda 2010.

An diesen „anderen Schäuble“ kann man allerdings nicht erinnern, ohne auch über die Alltagsseite dieses Politikers zu sprechen. Sooft er auch kreative Anstöße lieferte, so oft zuckte er zurück. Ein geradezu irritierendes Beispiel lieferte der Finanzminister, als er, gleichfalls nach dem jüngsten EU-Gipfel, demonstrativ in Interviews päpstlicher als Frau Merkel behauptete: Von einem Nachgeben der Deutschen oder einem Kursschwenk könne keine Rede sein, die Opposition rede halt viel, das dürfe man nicht ernst nehmen.

Von Kursschwenk sprechen aber die Fachleute – und seine eigenen Parteifreunde. Ausgerechnet der Mann, von dem man denkt, er könnte ein Kanzler mit Autorität sein, verbiegt sich, als wäre er ein kleiner Sprecher der Kanzlerin, der dafür bezahlt wird, sie brav zu verteidigen.

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Woher dieses stop and go? Sorgt er sich, von den Medien als heimlicher Kanzler illuminiert zu werden und damit in Ungnade bei Angela Merkel zu fallen? Traut er sich die Kraft – in jeder Hinsicht – nicht zu, einen solchen Konflikt auszuhalten? Ist er seiner Sache doch nicht sicher genug?

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Wolfgang Schäubles Drama will schier nicht enden: So lange ist er schon fast Kanzler – aber immer nur fast. Das war bei Kohl so, das ist bei Angela Merkel nicht anders. Eine gewisse Tragik, scheint mir, verrät sich darin. Man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt: Dringend gesucht werden im heutigen Berlin Politiker, denen es nicht um ihre eigene Karriere geht und die im Zweifel auch wagen, sich nicht zum Spielball demoskopisch ermittelter Ängste und Ressentiments zu machen. Die Schritt-für-Schritt-Politik, die den nächsten Tag überstehen will, die Schäuble für richtig, aber nicht ausreichend hält – sie ist in Wahrheit gescheitert.

Gut möglich, dass die Kanzlerin Schäuble den Schneid abgekauft hat und er sich deshalb nur gelegentlich kleine Freiheiten nimmt. Denn immer, wenn er höher hinaus wollte – und man hätte es ihm gegönnt - , funkte „Madame Non“ dazwischen. Kanzlerin wollte sie selber werden, okay, aber er durfte auch nicht ins Präsidentenamt emigrieren – vermutlich aus Sorge, man werde sie dann messen an der Kompetenz und Autorität des Mannes im Schloss Bellevue.

Angela Merkel, die es bekanntlich schaffte, sich im Generationenkonflikt von „Papa“ Kohl zu emanzipieren, domestizierte also auch Wolfgang Schäuble; bis sie hinreichend unangefochten war und es sich leisten konnte, ihn als Innen- und -Finanzminister in ihr Kabinett zu holen. Entgangen ist ihr trotzdem ganz sicher nicht, dass in der Großen Koalition von „drei Kanzlern“ unter ihr die Rede war, Steinmeier, Steinbrück – und Schäuble.

Auch heute, in den verflixt niveaulosen Zeiten der schwarz-gelben Koalition, ertappt man sich häufig bei dem Gedanken, Schäuble könne es besser, die Politik verliere die Übersicht im Krisen-Dschungel. Besonders in Sachen Europa sind es nicht viele, denen man zutraut, auf der Basis eines eigenen Koordinatensystems abzuwägen, ein „europäisches Deutschland“ statt eines „deutschen Europa“ anzuvisieren und primär gesamteuropäisch zu denken.

Aber es wird wohl so bleiben: Dem Mann, der 1972 in den Bundestag kam und den 1990 die Kugel eines Geistesgestörten lähmte, wird die Energie, die Lust, vielleicht auch der Wille fehlen, darüber den großen Konflikt mit Angela Merkel zu wagen.

Er hat die Autorität, sie die Verhinderungs-Macht. Nach vierzig Jahren im Parlament, zweiundzwanzig Jahre nach dem Attentat, wird er weiterhin gelegentliche Andeutungen wagen wie jüngst, die klar machen, dass es eine Alternative zur Politik der Kanzlerin gegeben hätte, die sie für alternativlos erklärte; und, dass die Politik auf ein Ziel zusteuern sollte, das sie nicht nur verbrämen und verschleiern darf.

Kanzler durfte er nicht werden, als er es wollte. Aber auch der „heimliche Kanzler“ wird er vermutlich nicht mehr, der einer unsicheren Politik Orientierung gibt und sie auflädt mit Autorität. Nein, mit seinen gelegentlichen Interventionen erinnert der andere Wolfgang Schäuble schlicht daran, was an der Spitze fehlt. 

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