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() Das Thema Stasi hat Konjuntur - so entstehen Filme wie
Das Stasi-Netzwerk lebt

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Der rote Teppich hat Wolfgang Schmidt gefallen. Seine Mundwinkel tanzen fröhlich, während der Rentner von der pompösen Filmpremiere erzählt, die er vor ein paar Monaten mit seiner Frau besucht hat, von der persönlichen Einladung durch den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck und dem namentlichen Dank an ihn im Abspann. Wolfgang Schmidt hat den Regisseur des Films „Das Leben der Anderen“ beraten, er hat ihm aus dem Alltag des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR berichtet, Details aus dem Amt geschildert.

„Gut gemacht“, antwortet Wolfgang Schmidt auf die Frage, ob ihm der preisgekrönte Film gefallen habe, „spannend, dramaturgisch dicht und exzellente Schauspieler“. Doch dann fällt dem 66-jährigen Rentner wieder ein, wo er herkommt, und er richtet sich auf. „Gut gemacht“, sagt er noch einmal. Und fügt hinzu: „Wenn man nicht persönlich betroffen wäre.“ Wolfgang Schmidt ist persönlich betroffen, er hat 33 Jahre lang für den DDR-Geheimdienst gearbeitet, als 17-Jähriger wurde er rekrutiert, 1989 schied er als Oberstleutnant und Leiter einer Analysegruppe aus. Ein Leben für die Stasi. Wolfgang Schmidt fühlt sich also betroffen, und deshalb fällt er ein anderes Urteil über den Film: „Er zeigt nicht die Realität“ und enthalte „reichlich inhaltliche Fehler“, obendrein denunziere er die DDR. „Das Leben der Anderen“ reihe sich damit ein in die seit 1989 andauernde Geschichte der „pauschalen Diffamierung des MfS und seiner Mitarbeiter“.

Diffamierung, das ist eines der Lieblingswörter von Wolfgang Schmidt, Ausgrenzung ein anderes. Auch Schmidt hat diesen monotonen Grundton, mit dem sich ehemals führende MfS-Mitarbeiter seit 1990 an allen Diskussionen über die Stasi beteiligen. Seit der Wiedervereinigung klagen sie über Siegerjustiz, Strafrenten und die systematische Delegitimierung der DDR. An einer kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur beteiligen sie sich nicht. Selbstkritik? Fehlanzeige! Oder lediglich floskelhaft. „Ja, aber“ heißt ihre Rede. „Ja, wir haben Andersdenkende verfolgt“, sagt Wolfgang Schmidt, „aber wir haben uns an Recht und Gesetz der DDR gehalten.“ Ja, das Ministerium für Staatssicherheit sei überdimensioniert und einflussreich gewesen, schreibt der letzte Stasi-Chef und kurzzeitige Mielke-Nachfolger Wolfgang Schwanitz, aber die Mehrheit der Bürger der DDR habe sich in ihrem Land sicher gefühlt. „Ja, aber“, sagen sie alle, „was ist mit dem BND und seinen Akten?“. Und schließlich sei doch Kalter Krieg gewesen.

Das Thema Stasi hat Konjunktur. Wieder einmal. Die Debatte darüber ist eine der zentralen Auseinandersetzungen im Vereinigungsprozess. Diskutiert wurde in den vergangenen 16 Jahren über die Akten und ihre Aussagekraft, über IMs und Verrat, über moralische Verstrickung und juristische Schuld, über die Macht der Stasi im Osten und ihren Einfluss auf die westdeutsche Politik. Alle Debatten über die Stasi und ihre Akten waren auch Ost-West-Debatten. Die Westdeutschen wollten es besser machen als bei der Aufarbeitung der NS-Zeit, die Ostdeutschen fühlten sich fremd im eigenen Land, weil plötzlich Menschen mitredeten, die nicht dabei gewesen waren. Die alten Generäle und die vielen kleinen Spitzel waren dabei, und so können sie immer wieder einer ostalgischen Schicksalsgemeinschaft das Wort reden. Frei nach Mao bewegen sie sich unter den Ostdeutschen wie Fische im Wasser. Kein Wunder also, dass ostalgische Verklärung der DDR und ihres Geheimdienstes noch weit verbreitet ist.

Ortstermin Zittau. Markus Wolf, der legendäre einstige Chef der DDR-Auslandsspionage, hat eine Buchlesung. Das Interesse ist riesig, der Saal der Stadtbibliothek bis auf den letzten Platz gefüllt, das Publikum gespalten. Da gibt es diejenigen, die es als Zumutung empfinden, dass Wolf überhaupt öffentlich auftreten darf, und dennoch gekommen sind, und die anderen, die der DDR nachtrauern.

Markus Wolf ist eine schillernde Persönlichkeit. Schon 1987 schied er auf eigenen Wunsch aus der HVA aus, er überwarf sich mit Stasi-Chef Mielke und schrieb noch vor der Wende ein Buch, das sich kritisch mit der realsozialistischen Realität in der DDR auseinander setzte. Er galt als Hoffnungsträger, hätte ein ostdeutscher Gorbatschow werden, selbstkritische Reflexionen befördern können. Doch nach dem Fall der Mauer geriet er ins politische Abseits. 1997 wurde er vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Freiheitsberaubung in vier Fällen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, vom Vorwurf des Landesverrates wurde er freigesprochen.

Markus Wolf ist viel zu intelligent für billige Rechtfertigungen der DDR. Der 83-Jährige spricht über Unrecht in der DDR, über „Momente des Stalinismus“, die es in der DDR gegeben habe, und er sagt: „Die Unterdrückung und Überwachung Andersdenkender hat nicht zur Sicherheit der DDR beigetragen, sondern eher zu ihrem Ende“. Wolf lobt das Grundgesetz, sagt, der Erhalt der DDR sei eine Illusion gewesen. Aber gleichzeitig stellt er sich vor seine ehemaligen Mitarbeiter, stimmt ein in das Klagelied der ehemaligen DDR-Eliten, spricht vom „Stasi-Syndrom“. Natürlich müssten sich ehemalige MfS-Verantwortliche kritischer mit ihrem früheren Tun auseinander setzen, sagt er, doch dann kommt gleich sein Aber: „Aber wenn man ständig in die Ecke getrieben und diffamiert wird, sind viele nicht mehr so leicht dazu bereit“.
Das Thema Stasi polarisiert, die Debatte in der Stadtbibliothek von Zittau ist hitzig, den meisten Beifall erhält ein Zuhörer, der lautstark verkündet, „die DDR war besser als alles, was wir jetzt haben“. Markus Wolf wird von beiden Seiten kritisiert, die einen werfen ihm vor, den Weg von 1989 nicht konsequent weitergegangen zu sein, die anderen fragen ihn, warum er in der DDR in die innere Immigration gegangen sei, ob es nicht besser gewesen wäre, „im MfS für den Erhalt der DDR zu kämpfen“.

Markus Wolf wundert sich ein wenig über die heftigen Debatten, zuletzt hatte er vor allem unter Gleichgesinnten gelesen, nur hat dieses neue Interesse an der DDR-Geschichte wenig mit einem beeindruckenden Film eines Jungregisseurs zu tun. Eines Filmes über die Überwachungsmethoden der Stasi und deren Eingriffe in die Privatsphäre, eines Filmes, der nicht nur eine Geschichte von Widerstand und Resignation, Ehrgeiz und Verrat im Kulturmilieu erzählt, sondern auch einen völlig ungewohnten Blick auf das Innenleben der Stasi wirft. Und dabei parabelgleich die Metamorphose eines Tschekisten beschreibt, eines „100-Prozentigen“, der beim heimlichen Lauschen eine andere Welt kennen lernt und zum Saboteur wird. Die Figur des Stasi-Hauptmanns Gerd Wiesler beeindruckt, auch wenn es sie in der Realität nicht gegeben hat, aufgrund der internen Strukturen des MfS nicht geben konnte.

Der Film „Das Leben der Anderen“ kam zum rechten Zeitpunkt. Denn die Aufarbeitung der DDR-Geschichte steht vor einer Zäsur. Die Birthler-Behörde hat wesentliche Aufgaben erledigt, ab Ende des Jahres dürfen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nicht mehr auf eine Stasi-Tätigkeit überprüft werden. Straftaten sind abgesehen von Mord verjährt, mit großen Enthüllungen über IMs ist nicht mehr zu rechnen. Der Streit um die Zukunft der Aufarbeitung ist voll entbrannt, es geht um neue Schwerpunkte, politischen Einfluss und um Deutungshoheit. Gerangelt wird auch um Pfründe und um viel Geld für Archive, Gedenkstätten und Universitäten.

Kein Wunder, dass sich auch die ehemaligen Tschekisten wieder zu Wort melden. Für sie ist dies vermutlich die letzte Gelegenheit, ihre ideologisch geprägten Überzeugungen zu verteidigen. Selbstbewusster und frecher denn je melden sie sich zu Wort, beschimpfen Historiker, bestreiten ihre Verantwortung, relativieren Verbrechen. „Manche ehemaligen MfS-Mitarbeiter geraten in Panik, weil sie spüren, dass sich ihre Weltsicht nicht durchsetzen wird“, sagt die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen -Marianne Birthler.

Vor allem erleben die inzwischen ziemlich alten Herren, dass sie immer weniger werden. Von den einst 90000 Mitarbeitern des MfS, von den etwa 250000 Volkspolizisten und Volksarmisten sowie den vielen Staatsanwälten und Richtern sind nur noch einige Tausend in der „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“ (GRH) oder der „Initiativgemeinschaft zum Schutz sozialer Rechte ehemaliger Angehöriger der Bewaffneten Organe der DDR“ (ISOR) organisiert. Die Arbeitsteilung dieser Vereine funktioniert. Die GRH kümmert sich um die vermeintlichen Opfer einer „politischen Strafjustiz“, ISOR kämpft für die Renten der Mitglieder der Bewaffneten Organe der DDR sowie die Anerkennung ihrer in Sonderversorgungssystemen verankerten Privilegien.

Ideologisch kämpfen beide Vereine für die Rehabilitierung der DDR, das heißt für ihre eigene Rehabilitierung. Nicht nur das Ende der DDR haben sie schwer verkraftet, parallel verlief auch ihr gesellschaftlicher Absturz. Aus den meisten machtvollen Staatsdienern mit Privilegien waren quasi über Nacht einfache Bürger geworden, die beruflich zunächst ganz unten wieder anfangen mussten. Vielen Jüngeren ist es gelungen, manche Ältere leben mental immer noch in ihrem privaten Paradies, und das heißt weiter DDR.

„Ich betrachte mich als Kommunisten“, sagt Hans Bauer, Vorsitzender der GRH. Der 65-Jährige war Staatsanwalt, zuletzt stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR, er hat Ladendiebe genauso selbstverständlich angeklagt wie Republikflüchtlinge, heute arbeitet er als Rechtsanwalt. Und so sitzt er in seiner kleinen Kanzlei zwischen bürgerlichen Gesetzestexten, redet über Rechtspflege in der DDR und über Unrecht im vereinten Deutschland. Die DDR war für ihn „ein Staat, in dem es sich gut leben ließ, nicht nur für die Eliten“, und das MfS war „ein Untersuchungsorgan, das ordnungsgemäße Verhaftungen vornahm“. Wenn es in der DDR Unrecht gegeben habe, und dies sei ohne Zweifel der Fall gewesen, dann sei dieses Unrecht „juristisch nicht zu fassen“. Doch auch jenseits der Frage nach juristischer Schuld, bei der Frage nach moralischer Schuld und historischer Verantwortung findet Bauer keine selbstkritischen Worte, er bleibt gefangen in seinem ideologischen Gefängnis. „Wir haben keine Veranlassung, darüber mit den westdeutschen Eliten zu diskutieren“, sagt er, „solange wir als Täter behandelt werden, ist dies unmöglich.“

So sehr Hans Bauer und seine Mitstreiter der DDR nachtrauern, so gut beherrschen sie mittlerweile die Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft und die Tricks der Mediendemokratie. Von der Demut und Verunsicherung der Nachwendezeit ist nichts mehr zu spüren. Die Öffentlichkeitsarbeit ist professionell, ihr Internetauftritt entspricht dem Stand der Technik. Selbst auf indirekte staatliche Unterstützung verzichten sie nicht. Ihre Spenden können die alten Tschekisten seit Anfang des Jahres von der Steuer absetzen. Die GRH wurde vom zuständigen Finanzamt als gemeinnütziger Verein anerkannt. Laut Satzung tritt sie „für die umfassende Gewährleistung der Menschenrechte“ sowie „für eine breite objektive und geschichtskonforme Information der Bürger“ ein. Politik spiele dabei keine Rolle, heißt es in der zuständigen Berliner Senatsverwaltung, das Finanzamt prüfe nur die formalen Voraussetzungen, eine „Gesinnungskontrolle“ gebe es nicht.

Das Netzwerk der alten Eliten ist gut geknüpft. GRH und ISOR sind Mitglieder im „Ostdeutschen Kuratorium“ der Verbände, in dem die unterschiedlichsten Interessengruppen zusammengeschlossen sind. In Zeitschriften wie der PDS-Postille Neues Deutschland oder dem ehemaligen FDJ-Organ Junge Welt kommen sie ausführlich zu Wort, regelmäßig diskutieren sie auf Veranstaltungen ihre Weltsicht, veranstalten Vortragsreihen, Buchlesungen, Kongresse. Finanziert unter anderem von der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mehrere Verlage verdienen mit den Lebenserinnerungen und Rechtfertigungsschriften Geld. Der Verlag „Das Neue Berlin“ gehört dazu und auch der „Spotless-Verlag“, vor allem der Verlag „edition ost“.

Bereits im Jahr 2002 erschien dort das Buch „Die Sicherheit – zur Abwehrarbeit des MfS“. Es ist so etwas wie die Bibel der alten Stasi-Eliten. Auf fast 1200 Seiten waschen die 20 Autoren, angeführt von Generalleutnant a.D. Wolfgang Schwanitz und Generalmajor a.D. Gerhard Niebling ihre Hände kollektiv in Unschuld. Zusammen geben die beiden die Generallinie vor. Sie denken noch immer in den Kategorien von Freund und Feind und schreiben über „Kräfte, die sich regelrecht gegen das MfS verschworen haben“, werfen einzelnen Mitarbeitern „opportunistische Feigheit“ vor, sprechen gar von „Verratsfällen“. Der demokratische Zentralismus lebt, der Corpsgeist funktioniert. Den Tschekisten-Typus Gerd Wiesler, der sich vom Saulus zum Paulus wandelt, ihn gibt es bis heute nicht, weil der ideologische Druck von oben kaum nachgelassen hat.

Das Netzwerk der alten DDR-Eliten würde allerdings nicht funktionieren, gäbe es nicht die PDS, in der trotz vieler offizieller Distanzierungen der Parteiführung an der Basis viele Fäden zusammenlaufen. Und es würde nicht funktionieren, gäbe es nicht Prominente, die mit ihren Haltungen und Thesen die alten Seilschaften bestärken und ihnen Glaubwürdigkeit verleihen. Zwei Schlüsselfiguren sind der Rechtsanwalt und CDU-Politiker Peter-Michael Diestel sowie der Fraktionschef der Linkspartei/PDS im Bundestag, Gregor Gysi. Gysi wehrt sich seit 16 Jahren mit allen juristischen und politischen Mitteln gegen jeden Versuch, ihn und seine Rechtsanwaltstätigkeit in der DDR mit der Stasi in Verbindung zu bringen. An Gesprächen über die widersprüchliche Rolle eines Rechtsanwalts in dem von der SED und ihrem Geheimdienst kontrollierten Rechtssystem beteiligt er sich nicht, meist tut er so, als hätte er in der DDR genauso unabhängig arbeiten können wie Rechtsanwälte im Westen. Was dem Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi recht ist, ist vielen kleinen mutmaßlichen Spitzeln billig. Immer häufiger klagen vermeintliche und tatsächliche Zuträger der Stasi gegen Veröffentlichungen über ihre Person, und einer der bevorzugten Anwälte ist Peter-Michael Diestel. Als letzter Innenminister der DDR besitzt er eine hohe Reputation. Diese nutzt er, um sich schützend vor die ehemaligen Mitarbeiter des MfS zu stellen, nicht nur im Gerichtssaal. So schrieb Diestel das Vorwort zu der Rechtfertigungsbibel der alten MfS-Generäle, nimmt sie gegen die „bis heute anhaltende Verleumdungskampagne“ in Schutz und spricht sie kollektiv von Verbrechen und von der juristischen Verantwortung für Repression in der DDR frei. Schuld war demnach allein die SED, der das MfS als Schild und Schwert diente.

Es gibt also noch einiges zu tun beim Thema Aufarbeitung, und es deutet sich eine Neuausrichtung an. Kürzlich legte dazu die noch von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzte Sabrow-Kommission ihren Bericht vor. Er ist umstritten, vor allem die vorgeschlagene Hinwendung zum Alltag in der DDR. Kritiker nennen den Kommissionsleiter Martin Sabrow einen „Weichzeichner der SED-Diktatur“, werfen ihm vor, diese zu historisieren und die Opfer an den Rand drängen zu wollen. Der Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung verteidigt seine Vorschläge. Sabrow will die „Widersprüchlichkeit der DDR-Gesellschaft“ in die Forschung einbeziehen, um einer ostalgischen Alltagsverklärung entgegenzutreten. Dazu benötige die Erinnerung „Orte, an -denen Regimecharakter und Lebenswelt zusammenkommen und die tagtägliche Anpassung, Auflehnung, Begeisterung und Gleichgültigkeit fassbar werden“, schreibt dieser. Marianne Birthler findet den Ansatz richtig. Wer den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie beschreiben wolle, dürfe nicht nur auf die Mauer und die Stasi schauen, sagt sie: „Der Verlust von Freiheit und Recht war überall und tagtäglich zu spüren“. Wer mit Blick auf die DDR nur von Tätern, Widerstand und Opfern spreche, kenne nur die Farben Schwarz und Weiß, ergänzt der Theologe Richard Schröder. Die Wirklichkeit im DDR-Alltag sei zu vielschichtig gewesen, um es beim Verweis auf die Gefängnisse zu belassen.

In der Politik, den Medien und in der Wissenschaft wird genauso munter wie kontrovers über die Neuausrichtung diskutiert, allein daran zeigt sich, wie differenziert DDR-Vergangenheit in Deutschland aufgearbeitet wird. Doch für GRH-Chef Hans Bauer ist das alles „Geschichtsfälschung“, sich nicht daran zu beteiligen, ist für ihn „eine Frage des Anstandes“. Der Corpsgeist zeigt seine Macht.

Es ist eine ideologische Konfrontation, eine wirkliche politische Gefahr stellen die alten Kader nicht dar, Nachwuchs haben sie nicht. Dabei sind die meisten ehemaligen Mitarbeiter des MfS heute noch nicht einmal von Arbeitslosigkeit betroffen. Der Typ Gerd Wiesler aus dem Film „Das Leben der Anderen“, der vom Verteilen von Flugblättern lebt, den gab es vielleicht unmittelbar nach der Wende, er ist inzwischen aber die Ausnahme. Das weiß auch Wolfgang Schmidt. Der ehemalige Oberstleutnant hat sich vor einiger Zeit mit seiner alten Abteilung getroffen. 54 Mitarbeiter hatte diese 1989, ein Drittel war 15 Jahre nach der Wende in Rente, zwei Drittel hatten einen Job. Sie sind nicht mehr so privilegiert wie in der DDR, doch niemand muss von Hartz IV leben. Wolfgang Schmidt wundert das nicht: „Unsere Leute waren gut ausgebildet“, sagt er, „und Disziplin kann heute auch nicht schaden“.

Christoph Seils ist Politologe und arbeitet in Berlin als freier Journalist.Er schreibt seit vielen Jahren über Ost-West-Themen

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