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Affäre Böhmermann - Angela Merkel hat ein Stück Redefreiheit geopfert

Im Fall Böhmermann darf man Angela Merkel nicht einfach so mit einem Lob davonkommen lassen: Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Entscheidung ein Ungeheuer erschaffen, das genüsslich ein kleines Stückchen deutsche Meinungsfreiheit gefressen hat

Porträt Christoph Bietz

Autoreninfo

Christoph Bietz ist Fernsehredakteur und Medienwissenschaftler sowie Autor des Buchs "Die Geschichten der Nachrichten. Eine narratologische Analyse telemedialer Wirklichkeitskonstruktion".

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Genug gehabt vom ganzen Skandal um Böhmermann? Langsam könnten echt mal alle getrost zur Tagesordnung zurückkehren? Da der Fall nun dort liegt, wo er hingehört: bei der Justiz?

Falsch.

Denn die jüngste Hiobsbotschaft ist noch druckfrisch: Böhmermanns Sendung, das „Neo Magazin Royale“, wird auch in den nächsten Wochen entfallen. Egal wie der Fall nun juristisch ausgeht: Erdogan hat einen Etappensieg errungen, den ihm keiner mehr nehmen kann. Denn dem türkischen Präsidenten ist es tatsächlich gelungen, einen deutschen Satiriker zum Schweigen zu bringen, weil er sich von dessen Satire beleidigt fühlte. Und das mit freund(schaft)licher Unterstützung der deutschen Bundeskanzlerin.

Die Hand des türkischen Präsidenten, die im eigenen Land die Pressfreiheit gängelt und Journalisten gern mal ins Gefängnis schleift – sie reicht nun bis nach Deutschland und hat die Redefreiheit Böhmermanns und damit die von uns allen merklich einschränkt. Jan Böhmermann wird bedroht und bekommt Polizeischutz. All das ist höchst skandalös und nicht hinnehmbar. Vor allem auch, weil die deutsche Bundeskanzlerin eine Mitschuld daran trägt. „Geht’s noch eine Nummer dicker?“ fragt da die ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke. „Alles ist gut, zumindest juristisch.“

Angela Merkel hat eine Linie übertreten


Naja, geht so. Vielleicht lohnt es, einen Blick über den Tellerrand der Gesetzbücher zu wagen. Oder dem Juristenkollegen Stefan Engels zuzuhören, der „einen Fall in dieser Zuspitzung noch nicht erlebt“ hat und diesen schon in Karlsruhe sieht.

Es begann mit einem Fußfehler. Angela Merkel übertrat mit einer Meinungsäußerung deutlich die Linie und gelangte somit in ein Feld, in dem ein politisches Urteil nichts zu suchen hat: das Feld der Beurteilung von Kunst, in diesem Fall Satire.

Am 4. April ließ die Bundeskanzlerin ihren Regierungssprecher verkünden, die satirische Veräppelung des türkischen Staatspräsidenten durch einen deutschen Latenight-Moderator und TV-Blödelkönig, der bei seinen Zuschauern schon lange für seine grotesken Überspitzungen bekannt ist, sei „bewusst verletzend“ gewesen. Um sich als Kanzlerin ein solches Urteil überhaupt erlauben zu können, muss man die Satire Jan Böhmermanns für bare Münze nehmen und jede Kontextualisierung ignorieren, denn erst dann wird aus der Satire eine Beleidigung. Dabei lernt der aufmerksame Schüler schon in der Mittelstufe: Der Kontext ist entscheidend. Mindestens in der Kunst. Ganz sicher auch in der Politik.

Diesen ersten fatalen Fehler wollte die Kanzlerin weder zugeben noch einfangen. Stattdessen holte sie am Freitag zum zweiten Aufschlag aus. Merkel verkündete, höchstpersönlich, ihre Entscheidung, dem Strafverlangen Recep Tayyip Erdogans gegen Böhmermann nach dem Strafgesetz-Paragraphen 103 stattzugeben. Dieser stellt, auch noch im Jahr 2016, die ‚Majestätsbeleidigung‘ ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe; wirkt aber nur, wenn die Bundesregierung die Justiz zu einer entsprechenden Strafverfolgung ermächtigt.

Unionsvertreter dachten, Erdogan würde Einhalt geboten


Das hat Angela Merkel getan. Und, indem sie den Ball diesmal weit ins Aus schlug, einen bemerkenswerten Doppelfehler hingelegt. Zwar bemühte sich die Kanzlerin zu betonen, dass die Entscheidung nicht allein die ihre gewesen sei. Sie erklärte akribisch, welche Ressorts bei den Beratungen beteiligt gewesen waren. Doch man war sich offenbar nicht einmal innerhalb der Union einig. Zwei Polit-Talks hatten sich dem Thema gewidmet. In beiden Sendungen gingen die jeweiligen Vertreter der Union, Elmar Brok und Andreas Scheuer, fest davon aus, dass die Bundesregierung dem türkischen Halb-Despoten Einhalt gebieten würde. Pustekuchen.

Dann, kurz nach Merkels Erklärung, standen die beiden in diesem Zusammenhang wichtigsten Minister – für Justiz und fürs Auswärtige, beides SPD-Leute – vor den Kameras. Sie verkündeten: Wir hätten Erdogans Verlangen lieber abgelehnt! Dass Merkel und die SPD in einer Streitfrage, die eine zentrale Grundlage des Rechtsstaats betrifft, nämlich die Freiheit von Kunst und Presse, so deutlich auseinanderliegen, ist beunruhigend. Dem türkischen Autokraten Erdogan ist es offensichtlich gelungen, einen Keil in die deutsche Regierungskoalition zu treiben.

Merkel-Apologeten in allen Zeitungen


Doch dass es hier überhaupt um eine Entscheidung in der Sache ging, versuchte Merkel mit aller Macht zu negieren. Ihr Tenor: Die Bundesregierung wolle sich eine Entscheidung in der Causa Böhmermann nicht anmaßen, ja sie dürfe darüber gar nicht entscheiden, und gerade deshalb müsse man dem Strafverlangen stattgeben, denn es sei ja nun einmal Sache der Justiz, darüber zu entscheiden. Das süße Lied der Gewaltenteilung, das Merkel da singt, verfehlt seine Wirkung als Sedativum bei vielen Kommentatoren nicht. Ruft die Kanzlerin nicht das Fundament der Demokratie an und macht damit das einzig Richtige, indem sie sich raushält? Berthold Kohler für die FAZ, Heribert Prantl für die Süddeutsche, der Großteil der bewährten Journalisten und Beobachter teilen die Auffassung: „So ist es recht, so ist es richtig“ (Prantl) – denn „vor dem Rechtsstaat muss sich keiner fürchten“ (Kohler). Nein, vor dem Rechtsstaat sicher nicht. Aber vor der politischen Bewertung künstlerischen Ausdrucks durch eine Bundeskanzlerin. Die Kommentare lesen sich streckenweise wie eine Apologetik dieses fatalen Merkel‘schen Fehlverhaltens.

Was dabei nämlich schlichtweg ignoriert wird: Merkels Zustimmung zu Erdogans hanebüchenem Verlangen nach einer Bestrafung von Satire ist bereits ein politischer Eingriff in den Vorgang. Das sieht das vielzitierte Gesetz ausdrücklich so vor – und zwar in § 104a StGB. Die Regierung muss zustimmen, damit § 103 überhaupt bemüht werden kann. Indem sie genau das tut, stuft die Kanzlerin Böhmermanns Satire als strafverfolgungswürdig ein. Sie bewertet etwas, das leicht als künstlerische Rede zu identifizieren ist (Achtung: Kontext!), als Beleidigung. Das kann sie laut Gesetz zwar, hätte es aber nicht tun müssen.

Weshalb handelt Merkel, wie sie handelt?

Da Angela Merkel sich schon vorauseilend zu einer Bewertung von Böhmermanns Satire hat hinreißen lassen, kann sie nun politisch nicht mehr hinter ihre Aussage zurückfallen. Merkels Kunstkritik, die ihr Parteifreund Elmar Brok bei Anne Will noch als die persönliche Meinung der Kanzlerin zu verkaufen versuchte, ist durch und durch eine politische Beurteilung. Denn sie gibt öffentlich ihre Ansicht zum Besten, dass der türkische Präsident beleidigt wurde. Folgerichtig muss sie nach dieser Logik auch Erdogans Antrag stattgeben, der sich auf den Beleidigungsparagraphen stützt. Ach Mist, diesen 103er hatten wir gar nicht mehr auf’m Schirm.

Darin einen Gewinn für den Rechtsstaat zu sehen, da nun endlich die Justiz mit all ihrer normativen Kraft für Recht und Ordnung sorgen könne und Merkel sich geschickt aus der Affäre gezogen habe, ist eine abenteuerliche Ansicht, und sie wird nicht stichhaltiger, wenn schlaue Köpfe wie Sascha Lobo oder Stefan Niggemeier sie vertreten. Dass das Ganze Sache der Justiz ist – was für eine Erkenntnis! Aber, liebe Leute, der Justizapparat läuft sich doch sowieso schon warm: Erdogan hat auch als Privatperson Strafanzeige erstattet. Das steht ihm nach deutschem Strafrecht zu, wenn er sich beleidigt fühlt. Merkel hin oder her, 103 hin oder her: Es wird so oder so eine juristische Aufarbeitung geben. Man hätte das Gesuch Erdogans also auch ablehnen können – mit Verweis auf das laufende Verfahren.

Merkel schafft eine Staatsaffäre


Doch dank Merkel wird die an sich schon lächerliche juristische Aufarbeitung einer noch lächerlicheren Lappalie zu einer Staatsaffäre aufgekocht, bei der dem unfreiwillig zum Tauschobjekt politischer Deals werdenden Protagonisten eine noch schärfere Strafe droht. Auch wenn daran niemand glauben mag: Den Weg dorthin hat die Kanzlerin theoretisch freigemacht.

Und an dieser Stelle wird es fast ein wenig perfide: Merkel weiß um diese Unverhältnismäßigkeit, und sie versucht davon abzulenken. Ihr banaler Trick: die Menschenrechtslage türkischer Journalisten anzumahnen. Die Absurdität dieser Nicht-Logik muss man sich einmal klarmachen. Merkel verurteilt, ganz prinzipiell in einem Aus-gegebenem-Anlass-Duktus, Erdogans katastrophalen Umgang mit der Pressefreiheit in der Türkei, um ihm dann, im gleichen Atemzug, in Deutschland gewissermaßen den Weg zu bereiten.

Übles Tauschmanöver


Ihre Motivation ist gleichsam verständlich: Da sie zur Erfüllungsgehilfin von Erdogans absurden Strafverfolgungsphantasien wird, muss sie ein Gegengewicht schaffen, um den Schein der Unabhängigkeit und moralischen Überlegenheit zu wahren. Das misslingt gründlich. Denn das Tauschmanöver hinter dem Täuschmanöver ist allzu leicht zu erkennen: In Wahrheit opfert Merkel die juristische Integrität eines vergleichsweise kleinen Rädchens im deutschen Medien-Getriebe auf Erdogans Gabentisch für den Flüchtlingskompromiss. Was ist schon die Androhung einer Gefängnisstrafe für einen kleinen deutschen Satiriker, wenn es doch ums große Ganze der Flüchtlingskrise geht! Da ist er nun, der politische Kontext.

Es ist am Ende wirklich zum Haare raufen: Die Kanzlerin eines freiheitlichen Rechtsstaats lädt einen Autokraten, der in seinem eigenen Land die Freiheit unterdrückt, dazu ein, auch in ebendiesem Rechtsstaat seine unterdrückerischen Maximen laut herauszuschreien und deren Gültigkeit auf Basis eines antiquierten Paragraphen einzufordern.

Ist doch super, hört man da schon wieder. Nun könne ein deutsches Gericht endlich das tun, was alle erwarten: Böhmermann freisprechen, Erdogan dabei in die Röhre der Meinungsfreiheit gucken lassen und ganz nebenbei noch ex negativo vorführen, dass dieser absurde Paragraph doch eigentlich nichtig und nutzlos sei. Das ist ja auch die erklärte Absicht Merkels: den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung endlich abzuschaffen.

Und das Gericht?


Hier erreicht die Argumentation den Gipfel der Absurdität, da beißt sich die Satirekatze sozusagen in den Erdogan-Schwanz. Denn Merkel formuliert einen Widerspruch in sich: Sie betont die Überholtheit und Inadäquatheit eines Paragraphen im deutschen Gesetz, nur um ihn noch zu einem allerletzten Mal zu entfesseln. Den zum Schutz der deutschen Pressefreiheit geknüpften Knoten des 103er kann nur sie lösen.

Noch einmal: Sie hätte das nicht tun müssen. Im Gegenteil: Justizminister Heiko Maas hat betont, auch die SPD halte den Paragraphen für abschaffungswürdig. Doch im Gegensatz zu Merkel will er ihn nicht noch einmal eben kurz ausprobieren, bevor er dann endlich abgeschafft wird. Weshalb auch, wenn man die Regelung doch für antiquiert hält – und die Justiz ohnehin schon ermittelt? Eine Nachhilfestunde des Justizministers in Sachen politisches Feingefühl. Merkel hätte besser auf ihn gehört.

Die Bundeskanzlerin hat ein Ungeheuer erschaffen, das genüsslich ein kleines Stückchen deutsche Meinungsfreiheit gefressen hat. Vielleicht auch, weil sie nicht bereit war, einen Fehler einzugestehen. Ganz sicher aber, weil sie zu mutlos war, Erdogan mitten in der Flüchtlingskrise die Stirn zu bieten und auf Gedeih und Verderb die Redefreiheit in Deutschland gegen einen autokratischen Staatspräsidenten am Rande der EU zu verteidigen.

Dieses Ungeheuer wird uns alle noch eine Weile verfolgen.

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