Japans Kaiser Tenno Akihito haben nur sehr wenige Staatschefs je persönlich getroffen
Selten anzutreffendes Paar: Japans Kaiser Tenno Akihito mit Frau Michiko bei einem Staatsempfang 2012 / picture alliance

Japan - Der Kaiser will abdanken, darf aber nicht

Kolumne: Leicht gesagt. Japans Kaiser möchte erstmals in der 1700-jährigen Geschichte seines Amtes zurücktreten. Sein Wunsch ist nachvollziehbar: So wie Tenno Akihito lebt, ist er der wahrscheinlich hochrangigste Gefangene der Welt

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Wer Kaiser ist, sagt nicht leicht: „Ich will nicht mehr.“ In Japan ist das nun erstmals geschehen seit mehr als anderthalb Jahrtausenden, sofern man weiß. Tenno Akihito will runter vom Chrysanthemen-Thron, auf den er 1989 kam. Seit einiger Zeit sucht er einen Weg in den Ruhestand. Doch das strenge Protokoll lässt das nicht zu, Gesetze dazu gibt es nicht und das Land ist schockiert.

Akihito ist nach traditioneller Zählweise der 125. Herrscher in Folge seit Gründung der kaiserlichen Dynastie vor etwa 1700 Jahren. Sein Vater, Tenno Hirohito, galt noch als Gott. Der Kaiser lebt hinter vielen Mauern und Gräben, verborgen und unzugänglich im Zentrum von Tokio.

Unerreichbar selbst für viele Staatsvertreter. Gewöhnliche ausländische Minister werden nicht zum Tenno vorgelassen. Selbst höchster Besuch, eingeladen vom Tenno selbst, darf nur strengst reguliert zu ihm. Wer dieses Zeremoniell erlebt hat, wird Akihitos Sehnsucht nach Flucht verstehen.

Merkel hat den Tenno zweimal besucht

Bundeskanzlerin Merkel war zwei Mal zu Besuch, 2007 und 2015. Es gibt wohl kein strikteres Protokoll auf der Welt als das am japanischen Hof. Die Besuche wirkten bizarr, liefen sie fast gleich ab: Der Oberzeremonienmeister und der stellvertretende Oberzeremonienmeister begrüßen die Bundeskanzlerin am Palasteingang. Sie führen sie in einen kargen Saal. Die beiden Herren sind informiert über die bisherige Asienreise von Frau Merkel. Auch politisch scheinen sie kundig zu sein und sprechen mit ihr über den vorausgegangenen Besuch in China.

Dann verlässt der Oberzeremonienmeister den Raum, um dem Kaiser seinen Gast anzukündigen. Eine Hofdame reicht ein Einweisungsblatt. Auf dem steht, wie sich der Fremde dem Tenno nähern darf. Exakt 20 Minuten soll die Audienz dauern. Der Gast muss das letzte Wort haben und hat sich dann zu erheben. Direkte Fragen sollten nicht an Seine Majestät den Tenno gestellt werden. Ein eigener Dolmetscher darf nicht mitgebracht werden, der Hof stellt seinen.

Striktes Protokoll

Der stellvertretende Oberzeremonienmeister führt die Bundeskanzlerin, begleitet vom deutschen Botschafter in Japan, ins Heiligste: Take no Ma, so heißt der Saal. Er ist groß, nicht sehr hoch und ebenso karg wie der Wartesaal. Fenster sind nicht zu sehen. Die Wände sind zwischen Zedernholz mit heller Seide bespannt, dicker beigefarbener Teppich bedeckt den Boden. Auf dessen Mitte stehen zwei Sessel, dahinter ein Holztischchen mit Rosengesteck und in der linken Ecke eine grüne, mannshohe Vase.

Die Tür wird geöffnet. Der Kaiser erscheint und verbeugt sich. Nach japanischem Ritual hätte die Kanzlerin sich nun sehr tief verneigen müssen. Der Grad bekundet den Status des Gegenübers: Je tiefer und länger sich der Gast bückt, desto größer ist sein Respekt. Doch von Ausländern wird das nicht erwartet. Der Kaiser streckt ihr die Hand entgegen. Merkel gibt die ihre.

So lässig ging es nicht zu, als Bundespräsident Scheel Ende der siebziger Jahre eine Audienz bei Tenno Hirohito hatte. Da war das deutsche Protokoll der festen Meinung, niemand dürfe dem Kaiser die Hand reichen. So schworen deutsche Protokollbeamten damals die hohen Japanfahrer ein, sich sehr tief zu verbeugen.

Die Sache mit dem Händedruck

Den Historiker Arnulf Baring, der damals dabei war, treibt sein Verhalten noch heute um. Denn als er vor dem greisen Tenno Hirohito stand, streckte auch der schon seine Hand entgegen. Baring machte das ganz fertig, erzählt er: Was nun? Schließlich verbeugte er sich und trat beklommen nach rechts ab, ohne aufzublicken, als habe er die heilige Kommunion erhalten. So beschreibt er es rückblickend. Er habe das Gefühl gehabt, seinem Vaterland keinen Dienst erwiesen zu haben. Denn der Tenno müsse doch die Deutschen danach für komische Wesen gehalten haben: Da reicht ihnen ein Halbgott einmal die Hand, und sie ergreifen die nicht.

Die Bundeskanzlerin ist kaum instruiert worden vom eigenen Protokoll. Warnend wurde allerdings aufgeschrieben: „Japaner sind jedoch oft nicht auf einen kräftigen Händedruck vorbereitet, daher sollten Sie nicht energisch zudrücken.“ Tenno Akihito ist noch dazu ein zierlicher Mann, kleiner als Frau Merkel und zwei Jahrzehnte älter. Als still gilt er, aber wissenschaftlich interessiert. So erkundigt er sich nach Energiepolitik und Klimaschutzmaßnahmen.

Nach 17 Minuten schreitet der Oberzeremonienmeister vor den Kaiser und seinen Gast, um sich zu verbeugen. Dies ist das nicht unaufdringliche Zeichen an den Besucher, zum Schluss zu kommen. Das aber ist gar nicht so einfach, wenn der Tenno einfach interessiert weiter fragt. Soll man schnell „ein andermal“ sagen, um wie vorgeschrieben das letzte Wort zu haben, und sich erheben?

Symbol der Einheit Japans

Nach 23 Minuten endet die Audienz. Die Bundeskanzlerin wird zu einer Treppe geführt, an deren Absatz sie sich noch einmal umzudrehen hat. Oben verneigt sich ein letztes Mal der Tenno. „Wir hatten ein freundliches und aufgeschlossenes Gespräch“, heißt es dann seitens der Kanzlerin. Was der Tenno von solchen Gesprächen hält, dringt nie nach draußen.

Er darf nicht die geringste Kontroverse auslösen, ist nach der Verfassung von 1946 „Symbol der Einheit Japans“. Seine Hoheit ist rein zeremoniell, er ist kein Staatsoberhaupt, sondern nur der Kronleuchter, der Tafelaufsatz am feinsten Tisch des Landes. Bis zum Jahresende will die Regierung Abe gesetzliche Grundlagen schaffen, dass Akihito den Thron vorzeitig an seinen Sohn übergeben darf. Dann wäre der 56 Jahre alte Kronprinz Naruhito der höchste Gefangene der Welt.

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Arndt Reichstätter | Mi., 3. August 2016 - 11:50

Das ist das Problem an jedem Staat, egal ob Monarchie, Theokratie, Diktatur oder Demokratie.

Sowohl Beherrschte als auch Herrscher sind niemals frei.

Deswegen bin ich Anarchist.

Ich will souverän sein.

souverän = lat. super regnum = über der Herrschaft

Es gibt eine Theorie, nach der das Wort "König" von "Kann ich" stammt. Und theoretisch darf jeder über sich selbst bestimmen. Jeder ist berechtigt zu sagen: Kann ich. Jeder von uns ist ein König.

Nicht nur weil es unmoralisch ist, sondern auch weil es machtpolitisch instabil ist, wird jedes System, welches auf Zwang und Gewalt beruht, irgendwann zusammenbrechen.

Wir sollten freien Markt nicht verteufeln, sondern stärken.

Deswegen bin ich Anarchist.

Herr Reichstätter, ohne Staat sind Sie vollkommen schutzlos.
In der von Ihnen befürworteten Anarchie kommt jemand vorbei, schießt Ihnen eine Kugel ins Bein, lässt Sie zusehen, wie er Ihre Frau vergewaltigt und erschießt dann beide. Daran gehindert oder bestraft wird er nicht, es gibt ja keinen Staat.
Der Staat schützt uns vor den "körperlich" Stärkeren.
Sollten Sie und Ihre Familie nicht vergewaltigt und ermordet werden, bekommen Sie eben eine schwere Infektionskrankheit und siechen langsam und elendig dahin. Moderne Medizin könnte das natürlich problemlos behandeln, aber es gibt keine Krankenhäuser und keine Ärzte.
Der Staat schützt uns vor Krankheiten und Seuchen.

Weiterhin steht es gerade in der Demokratie jedem frei, Teil des Systems zu werden, selber zu den "Zwangsausübenden" zu gehören. Man muss dafür natürlich mehr tun, als sich daheim vorm Computer oder Fernseher über Politik zu beschweren.

...die leider im deutschen Feuilleton nicht stattfindet.

Man könnte zum Beispiel anführen, dass die Schweizer und die Venezuelaner zueinander in anarchistischem Verhältnis stehen. Trotzdem hält sich die Gewalt zwischen ihnen in Grenzen.

Man könnte anführen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass sich Deutsche, Franzosen und Schweizer im Dreiländereck nicht gegenüber genauso friedlich verhalten, wie innerhalb ihrer jeweiligen Länder. Wäre Ihre Theorie richtig, müssten dann nicht die deutschen, französischen und schweizerischen bewaffneten Horden an der Grenze lauern und sich ständig ausrauben und vergewaltigen während sie im Landesinneren eine fröhliche Partei feiern?

Man könnte anführen, dass es ein Interessenkonflikt gibt, wenn ein staatlicher Richter über einen Konflikt entscheidet, in den ein Staatsbediensteter (z.B. ein Polizist) verwickelt ist. Würden Sie bei einer Firma kaufen, die im Konfliktfall über sich selbst entscheidet?

Frank Goller | Mi., 3. August 2016 - 14:21

Das Volk möchte die EU Königin nicht mehr, aber sie klebt förmlich am Thron.............

Martin Fritz | Mi., 3. August 2016 - 15:15

Was befähigt Herrn Schmiese eigentlich, als Hauptstadt-Korrespondent über dieses Thema zu schreiben? Nur weil er mal im Palast war? Schon die Ausgangsthese, dass es seit 1.700 Jahre keine Abdankung gegeben hat, ist völlig falsch: Das war in der vormodernen Zeit nicht unüblich. Von den 125 Kaisern trat rund die Hälfte zu Lebzeiten ab. Und natürlich gibt es ein Gesetz dazu - anders als im ersten Absatz behauptet -, nur dass es eben bisher keinen Rücktritt vorsieht. Meine Empfehlung: Erst mal vor dem Schreiben recherchieren. Kollegiale Grüße!

Walter Wust | Mi., 3. August 2016 - 15:46

Es ist eine sehr einseitige Sicht der Dinge, den Tenno als Gefangenen zu sehen. Sicher haben die Mitglieder von "Königsfamilien" nicht solche "Freiheiten" wie das gemeine Volk und die Zwänge des Protokolls mögen hin und wieder überholt erscheinen, aber die Queen Elizabeth oder sonstiger Hochadel tragen diese "Bürde" genauso und man hat nicht den Eindruck, daß sie daran verzweifeln. Vielleicht ist er nicht gesund?

Bernd Fischer | Mi., 3. August 2016 - 17:49

Ob das japanische „Problemchen“ in Europa das genug gewaltige "Probleme" im eigenen zerstritten Haus hat, Mittleidswellen auslöst bezweifle ich stark.

Na gut, man hat im "Sommerloch" ein Thema gefunden.

Ruth Falk | Mi., 3. August 2016 - 23:13

Etwas mehr Respekt vor unbekannten Kulturen und Sitten täte uns gut. Ob der Tennoh abdanken darf, und dazu eine Verfassungsänderung nötig ist, geht nur die Japaner etwas an, da er für sie eine nationale Ikone ist.
Es zeugt nicht gerade von Feingefühl, sich über
fremde Völker zu mockieren, nur weil man ignorant über deren Kultur ist.

thomas reuter | Fr., 5. August 2016 - 09:46

Antwort auf von Ruth Falk

Ich fand das interessant. Ich konnte in der Beschreibung dieser für mich ungewohnten Zeremonien jetzt nichts Herabsetzendes finden. Das Mokieren muss also im Leser entstanden sein, nicht im Autor.

peter hauser | Do., 4. August 2016 - 06:43

Hier werden Träume zur Realität.

Tradition wid zum erstarrten Theater, der einem Film mehr gleicht als der Wiklichkeit.
Es gibt Sinn, in der Vorstellung Beispiele zu haben , die Vorbild sind, aber sie "entkernen" sich duch Abwesenheit.

In England ist es bis jetzt gelungen durch Rituale eine Monarchie am Leben zu halten.....überflüssig aber wirksam. Menschen bedürfen Vorbilder und Orientierung als Halt und Gewissheit, doch zeitgemäß ist dieses wenig.Es wird wohl noch dauern bis auch "Kaiser" frei sein können.

Karola Schramm | Do., 4. August 2016 - 13:33

Andere Länder andere Sitten. Der Kaiser als "Symbol für den Staat" Japan, laut wiki und nicht "Symbol der Einheit Japans."

Aber es scheint doch Fortschritte zu geben, wenn die jap. Regierung jetzt an gesetzlichen Grundlagen arbeitet, damit der "arme alte Mann" endlich mit seiner Frau, frei sein kann.
Dann vielleicht noch mal 100 oder 1000 Jahre....für ein Symbol. Und das alles in einem technisch hoch entwickelten Land mit demokratischer Grundordnung. Vielleicht sollte man den Kaiser in Stein meißeln und in Tokio auf einen Sockel stellen, wäre auch ein Symbol, hätte auch Wirkung und wäre menschlicher.

Wolfgang Tröbner | Fr., 5. August 2016 - 12:13

"Der wahrscheinlich hochrangigste Gefangene der Welt" sollte nach Deutschland emigrieren. Hier bekommt er sicherlich Asyl. Es liegen ja triftige Gründe dafür vor. Im Rahmen der Familienzusammenführung kann er dann später seine Frau + Anhang nachholen.

Wir schaffen auch das.