Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Das Liebesleben der Deutschen - „Sado-Maso ist Mainstream“

Das deutsche Liebesleben ist aufregender als gedacht: Für sein Buch „Sex im Kopf“ hat Gerhard Haase-Hindenberg 1445 Deutsche zu ihren Vorlieben im Bett befragt. Ein Interview über Lack und Leder, Gruppensex und warum Blümchensex trotz allem beliebt bleibt

Autoreninfo

Bergmann, Lena

So erreichen Sie Lena Bergmann:

Gerhard Haase-Hindenberg ist Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller. Er schrieb schon über afrikanischen Hexenglauben, ägyptische Grabkultur und jetzt: „Sex im Kopf. Die erotischen Phantasien der Deutschen."

Herr Haase-Hindenberg, wie haben Sie die Menschen dazu gebracht, Ihnen ihre erotischen Fantasien zu erzählen?
Ich habe über Facebook und andere soziale Netzwerke, aber auch über Zeitungsannoncen Menschen gesucht, die mir für dieses Buchprojekt von ihren geheimen sexuellen Sehnsüchten erzählen. Immerhin haben sich 1445 Menschen bei mir gemeldet. Davon waren über 40 Prozent Frauen. Zunächst ging es darum, Fragebögen zu beantworten, der weitere Austausch fand dann per E-Mail oder am Telefon statt. Nur 202 Bekenntnisse haben es in das Buch geschafft. Der flotte Dreier ist eine der stärksten Männerfantasien. Frauen träumen mehrheitlich von einem dominant auftretenden Mann, der klare Anweisungen und mehr gibt.

Einige Frauen schildern sogar Vergewaltigungsfantasien. Wie passt das bitte zum modernen Frauenbild?
In der Fantasie ist die Frau die Beherrscherin der Situation. Sie bestimmt, wo die Vergewaltigung stattfindet, wann und mit wem. Sie wählt auch aus, auf welche Weise. Sie hat die Macht, den Mann so wahnsinnig zu machen, dass er nicht anders kann, als über sie herzufallen. Man muss aber bitte im Hinterkopf haben: Eine Vergewaltigungsfantasie kann nicht ausgelebt werden, denn inszenierte Vergewaltigung wäre einvernehmlicher Sex. Das wäre dann eine Sado-Maso-Situation, in der die Frau devot auftritt.

Ist Sado-Maso Mainstream?
Ja. Dass sich Reizmuster wie Sado-Maso ausbreiten, hat auch damit zu tun, dass die Pornografie inzwischen die Alltagsfantasien bestimmt. Noch vor wenigen Jahren musste jemand, der Pornografie sehen wollte, sein Gesicht zeigen. Heute kann sich das jeder anonym auf dem Rechner ansehen. Die Leute stoßen im Internet dann auf Szenen und Praktiken, von denen sie gar nicht wussten, dass es sie gibt. Und plötzlich spüren sie eine Erregung. Neue Reizmuster entstehen. So kamen auch sadomasochistische Praktiken stärker in den Fokus.

Ob in der Fantasie oder als Inszenierung, jede ordentliche Feministin würde sagen: Da findet eine Identifikation mit männlichen Erwartungsmustern statt.
Im Buch kommt auch der Sexualpsychologe Christoph J. Ahlers zu Wort. Seiner Meinung nach erschöpft sich das Phänomen Sado-Maso nicht darin, dass Frauen alles Mögliche mitmachen, um Männern zu gefallen. Die Erregung entsteht hier durch Ausgeliefertheit und Verantwortungsabgabe. Es geht darum, dass man sich fallen lassen kann. Übrigens auch bei Männern mit devoten Fantasien. Mir ist sogar aufgefallen, dass überwiegend starke Persönlichkeiten in ihrer Fantasie unterdrückt werden wollen. Menschen, die sich im Alltag ohnehin schon unterdrückt fühlen, haben solche Fantasien eher seltener.

Besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was in Deutschland so fantasiert und was ausgelebt wird?
Es werden schon verrückte Dinge ausgelebt, da war ich überrascht, wie akribisch und kreativ Fantasien umgesetzt werden. Aber keine der Frauen, die ich befragt habe, wollte ihre Vergewaltigungsfantasie ausleben. Bei Gangbang-Fantasien ist das etwas anderes.

Ist die Gangbang nicht ein schreckliches Unterklasse-Phänomen?
Auch in akademischen Kreisen gibt es Gangbang-Fantasien. Eine promovierte Biochemikerin hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie bei ihrem nächsten USA-Aufenthalt einen Zwischenstopp in New York einlegen will und einen auf Gangbangs spezialisierten Club aufsuchen will, dort teilen sich bis zu zehn Männer eine Frau. Eine Krankenschwester berichtet, dass sie per Anzeige Gangbang-Partner sucht. Die Gangbang ist im Kommen.

Was veranlasst Sie denn zu dieser kühnen These?
Ich denke, dass die Menschen in ihren Fantasien grundsätzlich gerne etwas Unmoralisches tun, etwas „Versautes“. Viele Dinge, die vor einer Generation noch unmoralisch und „versaut“ waren, sind heute akzeptiert. Denken Sie nur an Oralsex – das war noch vor 25, 30 Jahren eine unmoralische Sache, alleine das Ansinnen. Heute ist er eine gängige Praxis, bei beiden Geschlechtern übrigens und jeder sexuellen Orientierung. Und die Fantasie sucht sich neue unmoralische Formen. Im Moment liegt der Analsex im Trend.

Spielen bei der Normalisierung von sexuellen Praktiken Internetpornos wirklich so eine große Rolle?
Nicht ohne Grund gibt es im Buch auch das Kapitel „Generation(en) Porno“. Das Problem bei vielen jungen Menschen ist, dass sie durch die Pornografie sexualisiert werden. Mir hat kürzlich eine Lehrerin von einem elfjährigen Jungen erzählt, der bereits Pornofilme auf seinem Smartphone hat. Kinder und Jugendliche, die selbst noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht haben, lernen dann, dass in Pornofilmen immer die gleiche Dramaturgie stattfindet, wie in einer fünfaktigen Oper: Zunächst stimuliert die Frau den Mann oral. Die Folge ist, dass Teenager sich nicht von ihren eigenen Reizmustern leiten lassen, sondern von dem, was sie denken, tun zu müssen. Im Buch berichtet ein 19-jähriger Junge, dass er sich gerne durch alle möglichen Pornokategorien klickt, dass er „reif“, „anal“ oder „Teen“ anschaut, aber auch „Shemales“, „Ladyboys“ oder „Sado-Maso“. Und dass er alles erregend findet und alles in der Zukunft auch einmal ausprobieren will. Dieser Junge hat sich durch den typischen Aufbau einer Pornoseite sexuell gebildet. Aber er geht von einer falschen Realität aus, der holt sich wahrscheinlich eine blutige Nase.

Gibt es bei den erotischen Fantasien der Deutschen eigentlich ein Stadt-Land-Gefälle?
Nein, gar nicht. Ob Sie in Berlin oder Hildesheim leben, die sexuellen Fantasien sind die gleichen. Es gibt aber Fantasien, die nur Männer haben. Doch es gibt keine Fantasien bei Frauen, die Männer nicht haben.

Träumt noch jemand von Blümchensex?
Ich glaube, dass sogar die Mehrheit der Frauen romantische Fantasien hat. Aber diese Frauen haben sich nicht bei mir für dieses Buchprojekt gemeldet, weil sie denken, ihre Fantasien seien zu unspektakulär. Bei mir haben sich Leute gemeldet, die denken, sie haben ausgefallene Fantasien und das waren oft devote Fantasien. Aber das ist nicht repräsentativ für die Gesellschaft.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.