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Kreative Küche - Gourmets verkleiden ihre Gerichte

Bisweilen treiben Spitzenköche mit ihren Gästen kulinarischen Schabernack, indem sie statt Kaviar Kugeln aus Melonensaft präsentieren. Die Gastronomiekritiker Julius Grützke und Thomas Platt vermuten Vorboten eines radikalen Umbaus der Ernährung

Autoreninfo

Julius Grützke ist Autor und Gastronomiekritiker. Er lebt in Berlin

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Der Karneval hat dem Gourmet wenig zu bieten. Weder die ollen Kamellen, die von den Festwagen unter die Gecken und Jecken gestreut werden, noch die alkoholischen Exzesse kurz vor der Fastenzeit sind etwas für den verfeinerten Geschmack. Doch das Schauspiel der Kostüme in Straßen und Sälen kann ihn erinnern an eine Travestie, die immer öfter auf dem Teller stattfindet. Vor allem in gehobenen Häusern treiben die Küchenchefs Allotria mit den Erwartungen der Esser.

Da mag ein Amuse-Gueule zunächst einmal wie Kaviar anmuten. Wer sich aber auf Fischeier freut, wird enttäuscht, weil diese Perlen von Molekularköchen mittels chemischer und physikalischer Prozesse aus Melonensaft hergestellt werden. Höchstens ein Algenpulver, das sie zur Gelierung des Saftes einsetzen, gemahnt noch ans Meer. Oder es wird eine Speise serviert, die wie ein postmodern angerichtetes Dessert aus Früchten mit einer etwas zu steif geschlagenen Sahne wirkt, die sich dann als ein verseiftes Öl auf Gartengemüse herausstellt. Um vorgetäuschte Anpflanzung geht es bei essbarer Erde aus Malz und Nussgranulat, die den Gästen jetzt allenthalben in Blumentöpfen vorgesetzt wird – ob nun darin Radieschen stecken oder Spargelstangen. Dieser Mummenschanz, der die Gourmets immer aufs Neue zu verblüffen sucht, scheint als bestimmendes Element in der Haute Cuisine Wurzeln geschlagen zu haben. Er steht für ein Spektakel, über das die Presse gern berichtet.

Die Kostümierung von Speisen und ihren Zutaten ist keine Neuigkeit, sondern zunächst einmal vor allem ein gern angewendeter Effekt aus der Confiserie. Ob Schokoladenzigaretten oder Spaghetti-Eis – Kinder hatten immer schon ihre Freude daran, dass die Dinge anders sind, als sie aussehen. Insbesondere bei Faschingsstreichen spielt die Antinomie von Schein und Wirklichkeit eine Rolle. Wer einmal in einen mit Senf gefüllten Berliner Pfannkuchen gebissen hat, weiß, dass dem Äußeren oft nicht zu trauen ist. Außerhalb der Sphäre von Scherz und Unterhaltung hatte die Camouflage aber bisher keinen Platz an der Tafel. Mit dem Essen spielte man nicht. Eine Hühnerbrust trägt den Speckmantel keineswegs, um als Schinken zu reüssieren, sondern weil er der Gefahr der Austrocknung begegnet, so wie ein Wintermantel der Kälte trotzt, ohne den Träger verkleiden zu wollen.

Auch wenn es in der Küche einmal tatsächlich um Täuschung ging, diente sie nicht dem Amüsement, sondern hatte handfeste Gründe. Maultaschen zum Beispiel umgingen der Legende nach die Fastenregeln, indem das Fleisch sich im Teig versteckte und so vor Kontrollblicken geschützt war – etwa wie der Tyrannenmörder mit dem Dolch im Gewande, der als Biedermann geht, um an den Palastwachen vorbeizukommen. Der Trend zum Karneval auf dem Teller hingegen entspringt einem Unterhaltungsbedürfnis, das den Esstisch zur Bühne macht.

Doch es könnte sich auch um den Vorboten eines radikalen Umbaus der Ernährung handeln. Will man genauer erfahren, was sich ankündigt, braucht man den Küchen der führenden Etablissements bloß einen Besuch abzustatten. Dort sieht es nicht umsonst aus wie in Laboratorien oder Operationssälen. Die Betreiber wollen diese Entwicklung auch gar nicht verbergen, im Gegenteil: Reagenzgläser, Erlenmeyerkolben und Petrischalen werden ungeniert statt Porzellan an den Tisch getragen: Die Retorte wird gesellschaftsfähig.

Synthetisierte Zutaten und Zubereitungen, die allzu lange als billige und manchmal bedenkliche Ersatzstoffe einen schlechten Ruf und im schlimmsten Fall ein Homunkulus-Image hatten, werden neu etabliert – zunächst bei der Avantgarde der Verbraucher. Daran hat die Lebensmittelindustrie ein Interesse, denn künstlich hergestellte Alternativen zu den traditionellen Nahrungsmitteln werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, um die Abhängigkeit von einer volatilen Landwirtschaft zu mindern und sich der moralisch bedenklichen und manchmal unappetitlichen Begleitumstände der Tierhaltung zu entledigen.

Nicht zuletzt deshalb lassen große Konzerne ihre Forschungen den einflussreichen Köchen zugutekommen und subventionieren sogar ihre Lokale. So wird eine vielleicht bittere Wahrheit mit Clownerie schmackhaft gemacht. Wenn diese Strategie Erfolg hat, könnte auch die Politik daraus lernen. Gerade bei der Erläuterung diffiziler Probleme aus dem Gesundheits- oder Finanzbereich böte eine Pappnase sich an. 

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