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Thomas Victor

Syrische Flüchtlinge - Zwei Clowns im Kampf gegen die Kriegsangst

Was haben Clowns im Krieg zu suchen? Und funktioniert der Klaps auf den Hintern als Run­ning Gag in einem arabischen Land? Eine eindeutige Antwort geben die Eindrücke von den „Clowns Ohne Grenzen“, die an der syrisch-türkischen Grenze vor Flüchtlingen, Waisenkindern und Verletzten als lustige Pappnasen auftreten

Autoreninfo

Bigna Fink hat Soziologie und Philosophie studiert. Sie lebt und schreibt u.a. in Berlin.

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„Wir haben natürlich davor gefragt, ob es ok ist, wenn wir uns – der männliche und der weibliche Clown - im syrischen Flüchtlingslager gegen­seitig einen Arschtritt verpassen. 'Um Gottes willen', hieß es von allen Seiten, 'macht das bloß nicht.‘“ Denn Berührungen zwischen Mann und Frau sind in islamischen Ländern auf der Bühne eigentlich verboten. „Aber wir haben diesen Joke in Syrien dann trotzdem irgendwann gespielt. Die schmeißen sich einfach weg vor Lachen,” erzählt Heiko Mielke, wenn man ihn auf vermeintliche kul­turelle Lach-Grenzen anspricht. Und weiter begründet der zwei Meter große Clown aus Norddeutschland seinen körperlichen Einsatz in Syrien: „Wenn sich dein Clownskollege bückt, hast du den Impuls - du verbündest dich mit dem Publikum und wenn sich dann die Möglichkeit bietet - Zack!“

Die Möglichkeit bot sich diesen Frühsommer an der syrisch-türkischen Grenze. Mielke und seine Clownspartnerin, Miriam Brenner, traten dort zusammen mit ihrem Fotografen Thomas Victor als „Clowns Ohne Grenzen“ auf. Sie spielten in syrischen Flüchtlingslagern, in türki­schen Waisenhäusern und Reha-Kliniken, um kleinen wie großen Opfern des nun schon mehr als zwei Jahre andauernden Syrienkrieges ein paar fröhliche Momente zu schenken.

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Die erste „Clowns Ohne Grenzen“-Organisation rief 1993 der Clown und Pionier des modernen spanischen Zirkusses, Tortell Poltrona, ins Leben, nachdem sein Auftritt in einem kroatischen Flüchtlingslager von einer unerwartet hohen Anzahl begeisterter kleiner Fans bejubelt wurde. Mittlerweile zählen elf Nationen zur weltweiten Clowns-Without-Borders-Familie. Heiko Mielke gründete mit Kollegen 2006 einen deutschen Ableger des Vereins. Ihr Ziel: Menschen in Armutsregionen und Kriegsländern wie der Ukraine, Sri Lanka oder Kenia zum Lachen bringen. Ihre Waffen: Ziehharmonika, Pappnase und Hosenträger.

Und nun also Syrien. Mehr als 200.000 Flüchtlinge leben zur Zeit an der syrisch-türkischen Grenze. Während ihrer Reise zu den Kriegsopfern übernachteten die drei Aktivisten von Clowns ohne Grenzen in einem Hotel in der türkischen Grenzstadt Reyhanlı.

Das kleine Reyhanlı gilt als einer der wichtigsten Zufluchtsorte für Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg fliehen. Verletzte Rebellen und desertierte Soldaten werden in den dortigen Kliniken behandelt. Mehr als 100.000 Tote, darunter Tausende von Kindern, hat dieser Krieg bis jetzt gekostet. Die Angst vor Tod und Gewalt lässt viele Überlebende in Richtung Türkei fliehen.

Doch die Angst flieht mit. Zwei Wochen vor dem Clowns-Ohne-Grenzen-Einsatz explodierten in Reyhanlı zwei Autobomben und rissen mindestens 50 Menschen in den Tod. Medi­enberichten zufolge war der Bombenanschlag von Reyhanlı der schlimmste Terrorakt in der Geschichte der Türkei.

Die Komiker aus Deutschland hielt das nicht von ihrer Mission ab. „Wir haben uns auch überlegt, ob das jetzt wirklich Sinn macht, kurz nach dem Bombenanschlag nach Reyhanlı und Nordsyrien zu reisen. Brauchen die Menschen dort nicht eigentlich etwas anderes? Vor Ort war es dann wirklich unfassbar, wie die Leute auf uns reagiert haben.“

„Olive Tree Camp“ nennt sich das nordsyrische Flüchtlingslager nahe dem Dorf Atmeh. Unzählige Zelte stehen mitten in einem Olivenhain. Für die fast 4000 Flüchtlinge zeigt sich hier das Leben von seiner harten und trostlosen Seite. Kein fließendes Wasser bei 40 Grad im Schatten, keine Arbeit, kaum Schulen. Zwar ist die Notversorgung einigermaßen gesichert - Essen, Wasser, auch Matratzen und Kleidung bekommen die Menschen geliefert. Woran es im Flüchtlingslager aber wirklich mangelt, sind andere Grundbedürfnisse, sind sinnvolle Beschäftigung, Arbeit und ganz einfach: Unterhaltung.

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„Die Kinder lechzen danach, abgelenkt zu werden,“ erzählt Clown Miriam. „Die Lebensfreude, die die Menschen dort versprühen, haben mich und mein Team total umgehauen.“

Miriam Brenner ist eine hübsche Clownsfrau und Schauspielerin, die auch als Klinikclown in Kran­kenhäusern, Altenheimen und Hospizen in München und Augsburg Menschen zum Lachen bringt. Dabei fand sie Clowns früher total unlustig und sinnlos. Mag paradox klingen, aber nach Profi Mi­riam ist es für einen Clown sehr wichtig, authentisch zu sein. „Wenn ich mit so einer 'fiesen Grinse­fresse' herumlaufe, funktioniert das gar nicht."

In Syrien haben die Pappnasen überzeugt. Die traumatisierten Kinder dort brauchen diese Albern­heiten als Abstand zum Kriegsthema, zum schweren, persönlichen Leid. Sie sind arm an lustigen Mo­menten.

Im Vergleich dazu erscheint die ursprüngliche Funktion der Zirkusclowns als Luxusser­vice: Da den Zuschauern bei den waghalsigen Artistennummern ständig der Atem stockte, bot man ihnen als Ausgleich den schusseligen Clown zum Entspannen und Ausatmen. Denn Lachen wirkt bekanntlich als befreiender Reflex. Die Sauerstoffzufuhr wird verbessert, der glucksende Körper schüttet Glückshormone wie Serotonin und Endorphine aus, die Stress mildern, Schmerzen lindern und den Blutdruck senken.

Um niemanden zu provozieren, haben die beiden Clowns aus Deutschland ihre Show in Syrien in­haltlich und äußerlich den Gepflogenheiten in dem arabischen Land angepasst, zumindest anfangs. “Aber irgendwann, während unserer Auftritte haben wir uns mehr getraut, und dann war das auch ok, wenn ich den Bauch meines Partners anstupse, weil er davor einen fikti­ven Luftballon gegessen hat", erzählt Brenner.

Und die Clownin berichtet über den Slapstick mit Luftballons: „Vor der Reise bezweifelten wir vor allem, ob wir die eine Nummer in Syrien über­haupt spielen können, bei der wir einen Luftballon solange aufpusten, bis er platzt. Da hatten wir schon Bedenken, ob das nicht zu stark an eine Bombe erinnert.“ Und vor Ort? Der Luftballon weite­te sich, und die Kinder schrien „Akhbar, akhbar" (größer, größer auf arabisch). Die wollten einfach auch, dass der platzt.“

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Ein Moment ist für beide Clowns ganz besonders in Erinnerung geblieben: Drei bärtige, traditionell gekleidete Syrer schauten sich skeptisch den Walk Act durch das Lager an, bei dem die beiden Clowns die Kinder mit Musik wie die Rattenfänger von Hameln einsammelten. Die Männer mit zuvor relativ finsterer Miene zeigten sich später begeistert, sie hätten die Kinder noch nie so fröhlich erlebt. „Wir sind jetzt ein Jahr im Lager und haben zum ersten Mal unsere Kinder wirk­lich lachen sehen.“

An eine persönliche Grenze gelangte Clown Miriam, als gegen Ende ihres Aufenthaltes „einige halbstarke Jungs im Flüchtlingslager mit Maschinengewehren herumliefen, um uns zu beschützen. Weil ein paar Tage zuvor neue Flüchtlinge im Lager eingetroffen waren, von denen man anfangs nicht gleich wusste, ob das vielleicht Spione von Assad sind. Im Grunde war das ein Liebesbe­weis, aber es war schlimm zu sehen, wie die bewaffneten Jugendlichen mit den Kindern umgegangen sind, sie mit dem Maschinenlauf von uns weggeschubst haben.“ 

Was sich im Flüchtlingslager im Gegensatz zu sinnvoller Beschäftigung reichlich findet, ist das Prinzip Hoffnung: Es ist ein mit Absicht provisorischer Ort, für eine Zeit, von der die Bewohner hoffen, sie möge schnell vorübergehen.

Ein kleiner solidarischer Lichtblick für die syrischen Flüchtlinge kam Mitte Juni von höchster Ebene: Beim G-8-Gipfel in Nordirland kündigten US-Präsident Obama und Kanzlerin Merkel eine deutliche Auf­stockung der Hilfeleistungen an. Doch weiterhin agieren die Großmächte auf diesen Bürgerkrieg mehr hilflos als mächtig.

Im Oktober reisen die Clowns jedenfalls ein zweites Mal nach Syrien, um den Menschen dort ein paar sorglose Stunden zu schenken.

 

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