Polizisten sprechen am 28.09.2017 an der besetzten Volksbühne in Berlin mit Kunst- und Politaktivsten.
Aktivisten sprechen mit Polizisten vor der besetzten Berliner Volksbühne / picture alliance

Besetzung der Berliner Volksbühne - Ist das Kunst oder kann das weg?

Sieben Tage lang hatten Aktivisten die Berliner Volksbühne besetzt. Nun wurde die „permanente Theaterperformance“ von der Polizei beendet – und damit auch eine ziemlich dreiste Form der Selbstermächtigung einer sogenannten linken Kulturavantgarde

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Am Donnerstag hat die Polizei die Besetzung der Berliner Volksbühne beendet. Damit endete vorläufig ein merkwürdiges Spektakel, dass nicht erst am vergangenen Freitag mit der Okkupation der traditionsreichen Spielstätte im Herzen Berlins durch eine Gruppe begann, die sich den originellen Namen „Staub zu Glitzer“ gegeben hatte.

Linke Kultur-Trutzburg

Das vor allem mediale Spektakel rund um die Volksbühne war eigentlich ein Nachhutgefecht. Bereits der im September 2016 abgewählte SPD/CDU-Senat entschied, die 25-jährige „Ära Castorf“ an dem Theater durch Nichtverlängerung des Vertrages des 66-jährigen Intendanten zu beenden. Maßgeblich daran beteiligt war der alte und neue regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Mit einer Mischung aus Genialität und anarchischer Lust an der Provokation hatten Frank Castorf und Regisseure wie Christoph Marthaler, Christoph Schliengensief, René Pollesch oder der Tanztheater-Berserker Johann Kresnik den legendären Ruf der Volksbühne als innovative Kultstätte des politischen Theaters und linke Kultur-Trutzburg gegen den unaufhaltsamen Vormarsch des Kapitalismus in alle Ritzen der früheren DDR-Hauptstadt begründet.

Dass sich dieser kulturrevolutionäre Impetus irgendwann abnutzt und die Innovationskraft allmählich versiegt, ist wohl nicht zu vermeiden. Und auch der Volksbühne grundsätzlich wohlgesonnene Kritiker konstatierten im vergangenen Jahrzehnt nicht ohne Wehmut eine gewisse Stagnation oder gar Regression. Aber als Mythos und als Symbol für ein irgendwie linkes Lebensgefühl taugte das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz allemal weiter. Auch für Menschen, die sie nie oder nur äußerst selten besucht haben.

Dercon für Castorf – eine umstrittene Entscheidung

Entsprechend traf die Abberufung Castorfs die Szene wie ein Schock. Zumal mit Chris Dercon ein Nachfolger berufen wurde, dem eher der Ruf eines Event-Managers als der eines politisch ambitionierten Theaterintendanten vorauseilt. Und Dercon machte auch von vornherein klar, dass Produktionen mit dem hauseigenen und zudem stark geschrumpften Ensemble nur noch eine Randfacette der neuen Volksbühne sein werden. Dafür spricht auch die fast komplette Abwicklung der Dramaturgen-Abteilung.

Noch im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus hatte die Linke und vor allem ihr Spitzenkandidat und jetzige Kultursenator Klaus Lederer vollmündig versprochen, die Berufung Dercons – soweit irgendwie möglich – rückgängig zu machen. Doch schon wenige Tage nach seiner Ernennung musste Lederer kleinlaut einräumen, dass daraus wohl nichts werde – Vertrag sei schließlich Vertrag. Man werde genau beobachten, was der Neue so macht, hieß es stattdessen. Der startete vor ein paar Wochen mit einer eher belanglosen Tanzperformance auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof. Ende September sollten dann die Proben für die ersten Eigenproduktionen beginnen.

„Die Volksbühne dem Volk zurückgeben“

Diese Pläne wurden am 22. September durch die Besetzung zunächst verhindert. Die Aktivisten bezeichneten ihre Aktion als „permanente Theaterperformance“ mit der man „die Volksbühne dem Volk zurückgeben“ und zudem ein Zeichen gegen die Kommerzialisierung der Kunst und ganz allgemein gegen die Gentrifizierung Berlins setzen wolle. Für das Theater sollte es – für mindestens zwei Jahre – eine selbstverwaltete „kollektive Intendanz“ geben, welche für ein vielfältiges Programm sorgen werde. Dercon wurde angeboten, dabei mitzumachen als „Gleicher unter Gleichen“.

Das ist natürlich eine ziemlich dreiste Form der Selbstermächtigung. Immerhin erhält die Volksbühne pro Jahr rund 22 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt, die man wohl kaum aus dem Stehgreif einem bislang nicht in Erscheinung getretenen „Künstlerkollektiv“ nebst stadtpolitischen Aktivisten zur Verfügung stellen kann. Auch die politische und administrative Verantwortung des Senats für die Bestellung eines Intendanten an einem öffentlich finanzierten Theater kann man wohl kaum ernsthaft in Frage stellen. Auch dann nicht, wenn einem die getroffene Personalentscheidung schwer im Magen liegt und sich vielleicht als Fehler herausstellen könnte.

Lederer in der Zwickmühle

Was bleibt, ist besagte Selbstermächtigung, die sich ihre Legitimation aus der Vollstreckung eines quasi objektiven Volksinteresses ableitet. Doch so einfach ist das mit dem Volk nicht: Die „einfachen“ Mitarbeiter der Volksbühne (Verwaltung, Bühnentechnik, Handwerker etc.) haben den Besetzern jedenfalls ziemlich schnell klar gemacht, dass sie die Aktion ablehnen. Und das eher theaterferne Volk interessierte sich für diesen Konflikt wohl eher unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Was eigentlich schade ist.

Für Kultursenator Klaus Lederer war die entstandene Situation natürlich eine Zwickmühle. Eine martialische polizeiliche Räumung samt der damit verbundenen Bilder wäre das Letzte, was der Volksbühnen-Fan und Dercon-Skeptiker gebrauchen konnte, zumal der rot-rot-grüne Senat gerade in der linken Szene eher misstrauisch beäugt wird. Eine dauerhafte Duldung der Volksbühnen-Besetzung kam aber auch nicht in Frage, aus der SPD war bereits ein deutliches Unmuts-Räuspern zu vernehmen. Am Mittwoch gab es ein letztes, recht großzügiges Kompromissangebot, das ausdrücklich auch von Dercon unterstützt wurde. Dem Künstlerkollektiv wurden eine Nebenspielstätte im Volksbühnen-Komplex, der „Grüne Salon“, sowie der Theaterpavillon zur unbefristeten Nutzung für ihre künstlerischen und stadtpolitischen Aktivitäten angeboten, wenn das Hauptgebäude im Gegenzug freiwillig verlassen wird. Doch das Plenum der Besetzer mochte das Angebot nicht so ohne weiteres annehmen und verlangte mehr Zeit für die Entscheidungsfindung.

Unspektakuläres Ende der Besetzung

Das war‘s dann: Am Donnerstag erstattete Dercon – mit Rückendeckung des Senators – Anzeige wegen Hausfriedensbruch, die dann von der Polizei wenig später in relativ relaxter Atmosphäre vollstreckt wurde. Von einer Strafverfolgung wird wohl abgesehen.

Dercons Team kann jetzt mit der Probenarbeit für die ersten Produktionen beginnen. Was dabei herauskommt, kann man sich in ein paar Wochen in der Volksbühne anschauen. Wenn man noch eine Karte bekommt, denn für Publicity ist ja mehr als reichlich gesorgt worden. Die Berechtigung der Berufung Dercons kann man dann bald an der Qualität seiner Arbeit messen – mit derzeit offenem Ausgang.

Das Künstlerkollektiv „Staub zu Glitzer“ wird sich für seine „permanente Theaterperformance“ und seine stadtpolitischen Aktivitäten jetzt andere Orte suchen müssen. Aber da kräht dann wieder kein Hahn nach. Und wer sich wirklich gegen Gentrifizierung – also vor allem gegen Vertreibung aus angestammten Wohnquartieren durch horrende Mietsprünge – wehren will, ist bei eher unspektakulären lokalen Mieterinitiativen wohl besser aufgehoben.

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Thorsten Sippel | Fr., 29. September 2017 - 14:47

Ziviler Ungehorsam war und ist notwendig in einer freien Gesellschaft, auch wenn er vielleicht mal als "ziemlich dreiste Form der Selbstermächtigung" erscheint.

Wir hätten viele Errungenschaften in diesem Land ohne zivilen Ungehorsam nicht.

Bernd Fischer | Fr., 29. September 2017 - 16:46

Antwort auf von Thorsten Sippel

Wenn ziviler Widerstand als moralische Erpressung der Mehrheit durch eine Minderheit ( linken Szene ) bewirken soll, so ist er grundsätzlich abzulehnen.

Im Falle der Volksbühne war es der Fall.

Schon der Pathos " die Volksbühne dem Volk zurückgeben zu wollen" , erinnert an Zeiten die zumindesten ich nicht wiederhaben möchte.

Die Protestierer sollten sich dem "Kulturellen Markt" stellen.

Cecilia Mohn | Fr., 29. September 2017 - 16:24

Danke, Herr Balcerowiak, für den super Artikel!
Natürlich haben Sie Recht, die Besetzer sind leider irgendwie fehl am Platze. Aber die Idee des zivilen Ungehorsams muss bleiben dürfen, wie Herr Sippel sagte, sonst stirbt die Demokratie ab.
Die Besetzer hätten ganz Berlin hinter sich bekommen müssen. Dazu waren sie nicht gut genug. So ist die Revolte im Sande verlaufen.
Die Ära Castorf hatte neben Höhepunkten auch Tiefpunkte - aber seit zwei Jahren war das Theater wieder Brennpunkt des Interesses in der Stadt und die Castorf Inszenierungen erreichten eine atemlose künstlerische Höhe - vor allem mit dem FAUST (noch nie so etwas gesehen!) und einigen Dostojewski-Inszenierungen. Ein Theaterleiter wie Castorf ist - wage ich zu sagen - fast einmalig in Deutschland, in seiner künstlerischen Dimension und in seiner Fähigkeit, Menschen zu motivieren. So etwas wickelt man nicht einfach ab und ersetzt es durch eine Platitüde.
Ich wünsche mir eine Castorf-Renaissance.
Cecilia Mohn

Bernd Fischer | Fr., 29. September 2017 - 17:25

Antwort auf von Cecilia Mohn

Das verstehe ich jetzt nicht, ziviler Ungehorsam in einer Demokratie muss bleiben sonst stirbt sie.

Was war denn nun die "Aufmüpfigkeit" der ehemaligen DDR-Bürger in der Diktatur ( so die Lesart bist heute ) ?

Und warum kann es nur in einer "Demokratie" zivilen Ungehorsam geben?

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 10. Oktober 2017 - 15:07

Antwort auf von Cecilia Mohn

Bestimmte Leute will man nicht weglassen, weil sie eine Stimme haben, ein Profil.
Das wäre mir so gegangen mit Peter Stein.
Ich habe nachgeschaut, der ist da nicht mehr, feierte jetzt seinen 80.
Dem Artikel entnehme ich, dass Castorf schon 25 Jahre die Berliner Volksbühne leitet.
Sehr bedauerlich, dass mit so einem rennomierten Leiter kein einvernehmlicher, würdevoller "Abgang" seitens des Senates möglich war.
Das spricht aber dann gegen den Senat, nicht den neuen Leiter?
Konnte bei Dercon (Wiki) gelebte Internationalität entdecken durch beeindruckende Engagements.
Mindestens sehr gut, dass ein Artikel über die Vorgänge im Cicero erscheint.
Berlin wirkte auf mich immer wie ein Volk bei sich.
Es hat sich mittlerweile gut zur Hauptstadt entwickelt.
Ich würde nur vorsichtig, ich wohne nicht mehr in Berlin, anmerken wollen, dass Internationalität nicht nur im Besingen selbiger zum Ausdruck kommen kann.
Profile sind aber sehr beständig, vor allem genuine.
Verständigung?

Bernd Fischer | Fr., 29. September 2017 - 17:37

das Zauberwort dieser Tage.

Heinrich Kehmeier | Fr., 29. September 2017 - 18:28

Was mich nervt ist, dass dieser zivile Ungehorsam im Namen des Volkes daher kommt (wir geben die Volksbühne dem Volk zurück). In diesem Formeln wird eher Glitzer zu Staub,weil es Leerformeln sind.
NatürlIch hat Casdorf in den neunziger Jahren die Volksbühne zu einem Theater der anderen Art gemacht. Neben ihm gab es viele andere innovative Regisseure (vor allem Peter Zadek). Und natürlich ist es gut, wenn Kunst Formen des anderen Blicks auf psychosoziale Verhältnisse entwickelt.
Ob Staub wirklich zu Glitzer wird lässt sich nicht an einer "permanenten Theaterperformance" erkennen. Und ob Dercorn die Kraft hat hier ein Theater auf der Höhe der Zeit zu entwickeln? Aber vielleicht übertrage ich meine Skepsis gegenüber diesem und dem vorigen Berliner Senat auf diese Entscheidung. Nimmt man die Berliner Politik hängt der Maßstab für Innovation ziemlich tief. Da kann niemand scheitern.

Sven Bergmann | Sa., 30. September 2017 - 09:15

Peinlich.
Aber was will man bei RRG anderes erwarten.
Strom abstellen wäre besser gewesen.

Aber in Berlin hat man ja ständig Angst vor Eskalation.
Folglich braucht man, um ein Anliegen durchzusetzen, weder Logik noch rechtssichere Argumente, sondern eine möglichst grosse Randalegruppe mit Politanstrich. Und viiiel Medienaufmerksamkeit.

Dumm gelaufen für jene, die sich in Auseinandersetzungen an Argumente, Anstand und legale Mittel halten.

Ruth müller | Sa., 30. September 2017 - 12:55

Wieder mal die SPD und ihr farbloser Protagonist der die Strippen zieht. Der einzige Ort an dem eine ideologiefreie Avantgarde der Kunst einen Thron baute wird vom gesellschaftlichen Mittelmaß zerstört. Die SPDä ist ein Überbleibsel der alten saturierten - Arbeiter fahren nach Italien zum Urlaub nach Rimini -Bundesrepublik - ein Anachronismus.
Hochkultur und Intellekt waren dieser Gruppe schon immer suspekt. SPDä sollte sich um andere Bereiche kümmern - Wohlstand , Sicherheit , Pflege, Gleichberechtigung und zwar auf der Arbeiterseite.

PS: die Besetzer sind infantile Anarchisten die Ihre 15 warhollschen Minuten im Fernsehen hatten - es sei ihnen gegönnt - wir waren alle mal jung.

Marc Meyer | Sa., 30. September 2017 - 15:02

" Dem Künstlerkollektiv wurden eine Nebenspielstätte im Volksbühnen-Komplex, der „Grüne Salon“, sowie der Theaterpavillon zur unbefristeten Nutzung für ihre künstlerischen und stadtpolitischen Aktivitäten angeboten"

Also muss man in Deutschland nur Häuser besetzen, schon gibt es Geschenke. Toll wie Recht und Ordnung in diesem Land eine untergeordnete Rolle spielen.

Da fällt mir nix mehr zu sein. Krankes Deutschland.

Soll ich mit meinem Hungerlohn das auch machen? Ey ehrlich, unglaublich wie freundlich man mit solchen Besetzern umgeht, wenn wir Bürger was falsch machen, falsch Parken, ist sofort die Hölle los und es gibt Strafe (zu recht!).

Den Deutschen Staat kann man immer weniger ernst nehmen.

Torsten Knecht | Sa., 30. September 2017 - 17:38

... an die Volksbühne.

Wow.

Ganz schön dekadent für eine Pleite-Stadt. Der neukaputte Flughafen ist auch ein Fass ohne Boden. Tolle Aussichten.

Irgendwie scheint dieses dekadente Durchwurschteln auf die Regierung Merkel abzufärben. Deren "Volksbühne" - Auftritt mit ihrem Stück "ohne Pass rein und nicht wieder raus" kostet zig Milliarden Euro. Da fallen 22 Mio. für alimentierte Möchtegernrevoluzzer gar nicht ins Gewicht.