PiS-Parteichef Kaczinski und Premierministerin Szydlo auf einer Parteikonferenz im Dezember 2016.
Jaroslav Kacinski und Beata Szydlo von der PiS-Partei verdanken ihre Macht der Spaltung des Landes / picture alliance

Polen - Ein Land im Unfrieden

Seit sie an der Macht ist, betreibt die PiS-Regierung des Parteichefs Jaroslaw Kaczynski den Umbau der polnischen Gesellschaft. Eine Mehrheit der Polen sieht die Demokratie in Gefahr. Dennoch ist die PiS so stark wie selten zuvor. Die Geschichte eines politischen Paradoxons

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Die Straßenbahnen, Busse und Autos, der gesamte Verkehr hält an. Passanten, die eben noch hektisch ihre Einkäufe erledigten, bleiben stehen, während in den Cafés sich die Besucher von ihren Plätzen erheben. Das einzige Geräusch, das die sonst so pulsierende Metropole Warschau in diesem Moment erfüllt, ist ein ohrenbetäubendes Sirenengeheul. Es ist der 1. August, 17 Uhr. 1944 brach zu dieser Uhrzeit mit der Godzina W, der Stunde W, der Warschauer Aufstand los, der von den deutschen Besatzern mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurde. Je nach Schätzungen wurden bis zu 225 000 Zivilisten von der SS und ihren Schergen ermordet. Die Stadt selber wurde auf Befehl Heinrich Himmlers fast dem Boden gleichgemacht. Für die Polen ist das noch über 70 Jahre nach Kriegsende ein traumatisches Ereignis. Was bei dem Blutzoll, den sie für ihren Freiheitswillen zahlen mussten, auch nur verständlich ist.

Doch wer glaubt, dass zumindest zu diesem Anlass die politischen Spannungen, die in den vergangenen Wochen im Streit um die von der nationalkonservativen Regierung forcierte Justizreform und den daraus resultierenden Straßenprotesten einen erneuten Höhepunkt fanden, beiseitegelegt sind, der irrt. Auch das Gedenken an den Warschauer Aufstand wurde, wie schon in den vergangenen Jahren, überschattet vom politischen Konflikt. Während Warschaus Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz in einer Rede die jüngsten Proteste gegen die von der PiS forcierte Justizreform mit dem Mut der Aufständischen verglich, betonten PiS-Politiker und regierungsnahe Medien, dass nun endlich jenes Polen entstehe, für welches die Heimatarmee 1944 gekämpft habe.
Es sind Differenzen, die nicht nur auf politischer Ebene ausgetragen werden. „Mein Körper ist von einer Mauer geteilt. Zehn Finger auf der linken Seite, die gleiche Anzahl Finger auf der rechten Seite. Der Kopf ist ebenfalls gleich aufgeteilt“, heißt es im Song „Arahja“ der in Polen legendären Alternativband Kult. Ein Song, der 1988 entstand und vom damals geteilten Berlin handelt, dessen Zeilen aber für viele Menschen zwischen Oder und Bug den heutigen Zustand der polnischen Gesellschaft wiedergeben. Nicht wenige sprechen gar von einem „polnisch-polnischen Krieg“. 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 3. Oktober 2017 - 13:39

den Freiheitswillen der Polen für heilig erklärt, den der Deutschen aber zum Verbrechen.
Man muss sich nur einmal auf Wiki die Geschichte Polens anschauen, zum Beispiel die Litauisch-polnische Allianz, die für ihre Nachbarn auch kein Zuckerschlecken bedeutet haben muss.
Dass mit Hitler ein Größenwahnsinniger an der Spitze einer Diktaur stand, sollte den Polen vor allem eine Warnung sein,
immer an seriöser Politik festzuhalten.
Krieg, überzogene Ansprüche oder Großmachtphantasien sind nicht dann heilig, wenn Polen auf sie verfallen.
Es ist ja keine Frage, dass sich das Deutsche Reich ins Unrecht setzte damit, wie es seinen Freiheitswillen durchzusetzen trachtete, aber wenn ich so Polen in den Nachrichten verfolge, macht die Situation dort auf mich einen jämmerlichen und unwürdigen Eindruck.
Das soll ein moderner, in Europa zurechenbarer Staat sein, dessen Einheit man sich vom Lauschen eines Sirenengeheuls erhofft?
Für mich indiskutabel.