Ein Flugzeug der Gesellschaft Britisch Airways hebt am 28.08.2017 vom Flughafen Tegel in Berlin ab.
Mit Slogans wie „Tegel offen halten“ versuchen Politiker und Einwohner, den Berliner Flughafen zu retten / picture alliance

Flughafen Berlin-Tegel - Geliebter TXL

Die Berliner haben es in der Hand. Am 24. September dürfen sie abstimmen, ob der Flughafen Tegel geschlossen werden soll. Die Debatte darüber ist zusehends politisiert. Eine dritte Option wird dabei übersehen

Autoreninfo

Falk Jager ist Architekturkritiker und hat das Planungsdesaster um den neuen Berliner Flughafen von Anfang an publizistisch begleitet.

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Tegel ist ein Ortsteil im Norden Berlins mit immerhin 35.000 Einwohnern, mit Industrie, überörtlichem Handel und dem schönen Tegeler See. Doch wenn derzeit von Tegel die Rede ist, geht es in aller Regel um den Flughafen mit dem Kürzel TXL. Laut Rechtslage muss der ein halbes Jahr nach Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens BER geschlossen werden. Auf TXL, davon waren die verantwortlichen Politiker 1996 überzeugt, könne man dann verzichten. So könnten Zehntausende von Nordberlinern vom Fluglärm befreit und das wertvolle innenstadtnahe Gelände anderweitig genutzt werden. Pläne für einen Universitäts- und Innovationscampus sind mittlerweile weit gediehen.

Bürger kämpfen für Tegel

Wenn nun aber eine Partei wie die FDP Chancen wittert, mit dem Slogan „Tegel offen halten“ zu punkten, wenn es Bürgerinitiativen Pro-Tegel gibt und es gleichzeitig mit der Bundestagswahl einen Volksentscheid geben wird, so hat das mit dem beispiellosen Desaster des BER-Neubaus zu tun. Der BER nämlich wird mit seiner Jahreskapazität von 23 Millionen Fluggästen schon zu seiner derzeit für den Herbst 2019 prognostizierten Eröffnung mit zu erwartenden 40 Millionen Passagieren hoffnungslos überlastet sein und kann nur über die Runden kommen, wenn die betagten Terminals des DDR-Flughafens Schönefeld weiter betrieben werden.

Ein Hauptstadtflughafen sei ohnehin zu wenig, sagen die Tegel-Anhänger und sahen sich just Ende August bestätigt, als eine Bombenentschärfung Tegel lahmlegte und Schönefeld die Waffen streckte.

Wo ein politischer Wille ist, sagen die Bürgerbewegungen, ist auch ein Weg. Und dennoch ist der Weiterbetrieb des von den Berlinern geliebten TXL keine naheliegende Option, denn dem stehen scheinbar unüberwindliche rechtliche Hindernisse und beträchtliche Risiken entgegen: Klagen durch betroffene Bürger, Umweltschützer und dergleichen, die jahrelange Verzögerungen bedeuten können. Ganz abgesehen von den Kosten, denn der in letzter Zeit auf Verschleiß gefahrene Flughafen müsste komplett saniert werden. Und da die Lärmschutzvorschriften verschärft wurden, müssten an Tausenden von Gebäuden in der Einflugschneise Lärmschutzmaßnahmen ergriffen werden.

Die Kostenfrage jedoch lässt die Öffentlichkeit in Berlin seltsam unberührt. Man ist gewissermaßen abgestumpft, hat sich an Milliardensumme und eigentlich unfassbare Kostensteigerungen in Flughafendingen gewöhnt.

Ein politisches Kräftemessen

Rechtlich ist die geplante Schließung des TXL in eine regionale, nationale und europaweite Kaskade von Planfeststellungen und Verträgen eingebunden, deren Rückabwicklung oder Änderung viele als zu langwierig ansehen. Darüber, ob man die Rechtslage ändern könne, gehen die Meinungen ohnehin auseinander, selbst innerhalb der CDU. Für die Kanzlerin ist die Rechtslage unabänderlich, die Berliner CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters sieht das – wohl im Hinblick auf ihre Berliner Wählerklientel – anders und ist sich darin mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt einig. Der regierende Berliner Bürgermeister Michael Müller hält TXL für chancenlos. Die FDP hatte den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags bemüht und sieht sich durch dessen Gutachten in ihrem Engagement für Tegel bestätigt. Der Verein Tegel versucht mit einem eigenen juristischen Gutachten nachzuweisen, dass weder der Landesentwicklungsplan noch der Planfeststellungsbeschluss die Schließung Tegels unumstößlich erzwingen.

Wie dünnhäutig der vom Flughafendesaster zermürbte Berliner Senat geworden ist, zeigt die personalaufwändige Aktion des Ordnungsamts gegen Berliner Taxifahrer. Die wurden mit Polizeiunterstützung angewiesen, unverzüglich „Berlin braucht Tegel“-Aufkleber zu entfernen, weil politische Werbung auf Taxis verboten sei. Gleichzeitig kündigte die Senatskanzlei einen Brief an alle Haushalte an, in denen gegen Tegel argumentiert werde. Gewissermaßen eine vom Steuerzahler finanzierte Entscheidungshilfe zum Volkentscheid.

BER schon jetzt überlastet

Einen geschickten, wenn auch durchschaubaren Schachzug tat dieser Tage die Flughafengesellschaft selbst. Der Vorstandsvorsitzende Engelbert Lütke Daldrup kündigte einen Masterplan an, mit dem der Flughafen BER bis 2035 auf eine Jahreskapazität von bis zu 58 Millionen Passagiere gebracht werden soll. Ein Teil dieser Vorschläge ist von den Architekten von „Gerkan Marg und Partner gmp“ schon früher vorgeschlagen worden, beziehungsweise war schon Bestandteil der allerersten, aus Kostengründen reduzierten Planung. Der größte Komplex, der Terminal 2, soll allerdings inmitten der Anlage platziert werden, mit langen Wegen zu Flugsteigen und Vorfahrten. Ein Schildbürgerstreich, würde er doch die durchdachte funktionale Logik der Landseite des neuen Flughafens mit kurzen Wegen, perfekter Verkehrserschließung und guter Orientierung für den Fluggast durch Flickschusterei zerstören. Und das, bevor eine einzige Maschine abgefertigt wurde.

58 Millionen Passagiere sind mit nur zwei Landebahnen ohnehin nicht zu bewältigen. Es geht ja vor allem um die Verkehrsspitzen. Werden in der ersten Erweiterungsphase Nord- und Südpier systemkonform verlängert, könnten pro Stunde 10.000 Passagiere abgefertigt werden. Das entspräche etwa 120 Starts und Landungen, womit die Kapazität der beiden Landebahnen bereits überschritten wäre. Eine dritte Landebahn jedoch, so oft sie schon im Gespräch war, wäre politisch nicht durchsetzbar. In diesem Punkt sind sich alle Protagonisten ausnahmsweise einig. Die Erweiterungspläne auf 58 Millionen sind pure Augenwischerei und sollen nur den Volksentscheid beeinflussen.  

Flughafen auf Abruf

Inzwischen wird verschiedentlich der Vorschlag ins Gespräch gebracht, Tegel statt nur sechs Monaten noch ein ganzes Jahr offen zu halten. Der BER könnte sich besser einspielen und die Gesamtentwicklung könnte besser eingeschätzt werden.

Auch der Blick in die Zukunft könnte für Tegel sprechen. Nicht nur Siemens und Airbus arbeiten an elektrisch betriebenen, emissions- und lärmarmen Kurzstreckenflugzeugen. Für die wäre Tegel der ideale Standort. Doch sollte man die Kosten im Blickfeld behalten. Der TXL wird als Airport auf Abruf nur noch mit vorläufigen Genehmigungen genutzt. Wollte man ihn auf Dauer weiterbetreiben, wären enorme Investitionen notwendig, in neue Haustechnik, in den heutigen, verschärften Vorschriften entsprechenden Brandschutz, in zeitgemäße Infrastruktur, in den für den profitablen Betrieb so wichtigen Non-Aviation-Geschäftsbereich. Das ist ein Aufwand, den Fachleute im Milliardenbereich sehen. Zuzüglich Lärmschutz am Gebäudebestand im Einzugsgebiet natürlich. Das Fliegen wird in Berlin jedenfalls nicht billiger.    

Vierte Option: Sperenberg

Die Passagierzahlen steigen unterdessen seit 1996 in unvorstellbarem Maß weiter. Es wird immer deutlicher, dass die Standortfrage des BER als größte Fehlentscheidung zu korrigieren wäre. Tegel schließen, Schönefeld-Alt schließen – dort soll ohnehin das Terminal für die Regierungsflieger Platz finden – und in Sperenberg, 40 Kilometer südlich von Berlin, einen neuen Flughafen bauen. Der damals verworfene Standort ist eigentlich noch immer die vernünftigste Option. Er könnte zum gewünschten Luftdrehkreuz werden, hätte Erweiterungspotenzial für Jahrzehnte, kein Nachtflugverbot wie der BER und kein Lärmschutzproblem.

Mit den sieben Milliarden Euro, die der BER letztendlich kostet, hätte man spielend beide Flughäfen bauen können. Um den gordischen Knoten des Berliner Flughafendesasters zu zerschlagen, bedarf es jedoch mutiger Politiker, in Berlin, in Brandenburg, vor allem jedoch im Bund. Außerdem braucht es eine länderübergreifende Luftverkehrsplanung, die es faktisch nicht gibt. Das bestehende Konzept enthält dazu jedenfalls keine Aussagen. Und was den Hauptstadtflughafen betrifft, so hat Alexander Dobrindt an einem mit München konkurrierenden Luftdrehkreuz ohnehin kein Interesse.

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Ulli Ramps | Mo., 11. September 2017 - 11:41

... es ist ja schon fast langweilig, Eure Artikel zu lesen. Decken Sie sich doch immer so wenig mit dem Mainstream und so sehr mit meiner eigenen Meinung :-)
Da ist es einfach schön und entspannend, gemeinsam mit dem jeweiligen Autor den Kopf über diese verrückte, unlogische Welt schütteln zu können und üblicherweise das Resumee zu ziehen "Ja, es wäre so einfach, mit nur ein bisschen Vernunft und Durchdachtheit ..."
Das Abo für Eure Print-Ausgabe ist einfach eine nicht nur gute, sondern auch eine schöne Investition.

Robert Schulze | Do., 14. September 2017 - 10:35

Antwort auf von Ulli Ramps

Es gibt eventuell noch eine Option. Für diese vielen Milliarden... könnte man da nicht einfach einen (unterirdisch verlaufenden?) Transrapid zu einem bestehenden Flughafen mit Erweiterungspotential im Umland bauen (z.B.Halle/Leipzig)? Es wäre wünschenswert, wenn dieser dann für Fluggäste recht preiswert zur Verfügung gestellt wird. Das wären doch zwei Fliegen mit einer Klappe... ein anderes Milliardengrab namens Transrapid findet doch noch eine Funktion in Deutschland. Vielleicht könnt Ihr bei Cicero das mal gegenkalkulieren.

ingrid Dietz | Mo., 11. September 2017 - 12:32

Ich plädiere dafür, dass man der BER als Übungsbaustelle für alle Gewerke und für zukünftige Politiker-Anwärter umwandelt !

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 11. September 2017 - 13:31

die SPD.
Versucht intelligente Köpfe wie diesen Autor in Euerm Umfeld zu beschäftigen.
Selbst wenn er FDP wählt.
Oder schafft ein parteiübergreifendes Gremium für hier transtädtische->Brandenburg, ansonsten transnationale etc. Belange.
Dass Bürger überhaupt noch Politik schätzen scheint mir ein Traum aus alten Zeiten.
Wenn es das schon gibt, dann sind halt soviele Probleme mit diesenPprojekten verbunden, dass es Zeit braucht und nicht einen neuerlich ausgerufenen "Ausnahmezustand".
Der Artikel wirkt auf mich jedoch konstruktiv.
In unseren politischen Zeiten doch eher wieder ein Fremdwort.

Willy Ehrlich | Mo., 11. September 2017 - 15:34

Der Artikel macht ein weiters Mal deutlich, dass der BER und der TXL kein politischer, sondern ein rechtlicher Problemkomplex sind. Die einen sagen so, die anderen sagen so, die einen wollen dies, die anderen wollen das; und politisch durchsetzbar ist keinerlei Veränderung mehr. Allerdings ist der derzeitige status quo auch schwachsinnig.

Madeleine Bär | Mo., 11. September 2017 - 18:19

Sperenberg bzw der Flugplatz Sperenberg ist ein idyllischer Ort. Er liegt in einiger Entfernung zur einer recht gut ausgebauten Bundesstrasse B101. Keine Autobahn, keine Bahn, keine Gleise dafür viele schöne Bäume. Von Berlin, Mitte bis Sperenberg sind es aktuell ca. 60km mit dem Auto. Will man also Sperenberg als internationalen Flughafen gar Drehkreuz, müßte man gewaltig in die Infrastruktur investieren. Also viele neue Straßen bauen und Gleise verlegen. Mitten hinein die grüne Natur. Da vergehen schon mal 30 Jahre für das Planfeststellungsverfahren inkl. Klagen. Und dann min. 10 Jahre für den Bau. Eine Petitesse am Rande: In Sperenberg dürfen nach akt. Rechtslage nur Brandenburgische Taxi Fahrgäste aufnehmen, was ihnen in Berlin für eine Rückfahrt verboten ist. Umgekehrtes gilt für Berliner Taxis. Gilt übrigens bereits für den BER nur 1km von der Stadtgrenze entfernt. Welches Taxi fährt 40-60km leer zurück? Sperenberg ist eine schöne Idee in der akt. Situation nicht durchsetzbar.

Rolf Pohl | Mo., 11. September 2017 - 18:53

... 24. September ob sie Tegel lieber offen als geschlossen sehen möchten nach Inbetriebnahme des bisher über rund zwei Jahrzehnte reichlich, verunglückten Schönefelder Flugluftschlosses. Ob Tegel bei ihrem möglichen Entscheid, Tegel offen zu lassen dann tatsächlich offen bleiben wird, entscheiden sie trotzdem nicht.
Dieser sog. Volksentscheid ist also nichts weiter als eine kostspielige Farce aktueller, berliner Senatspolitik.

Bernhard K. Kopp | Di., 12. September 2017 - 08:43

Der 'man', der für € 7 Mrd zwei Flughäfen hätte bauen können ist eine Fiktion. Es hat 'ihn' nie gegeben und wird ihn auch nie geben. Es wird immer Berlin-Brandenburg-Bund sein. Auch wenn es nicht immer und überall zu einem BER-Desaster kommen muss und wird, ein Flughafen, mit allem drum und dran, kostet wahrscheinlich immer zwischen € 4-6 Mrd. Möglich, dass Sperenberg am unteren Ende eines solchen Kostenrahmens sein könnte, und dass der Standort tatsächlich die genannten Vorteile hätte. Die Offenhaltung von TXL erschien mir noch nie überzeugend, weil Berlin den innerstädtischen Raum dringend braucht. Ich dachte auch immer, dass mindestens die Hälfte des Tempelhofer Geländes überbaut werden sollte.