Die ehemalige Grünen Politikerin Elke Twesten und der CDU-Fraktionschef Björn Thümler gehen 04.08.2017 im Landtag in Hannover (Niedersachsen) in eine Pressekonferenz.
Elke Twesten und Björn Thümler: „Das war keine Intrige“ / picture alliance

CDU-Fraktionsvorsitzender Niedersachsen - „SPD und Grüne haben den schlummernden Vulkan nicht gesehen“

Es war ein Paukenschlag: Die Abgeordnete Elke Twesten wechselt von den Grünen zur CDU, zerstört so die knappe Mehrheit der rot-grünen Koalition in Niedersachsen und bringt Ministerpräsident Stephan Weil in Bedrängnis. Welche Rolle spielte die CDU dabei? Ein Gespräch mit Fraktionschef Björn Thümler

Chiara Thies

Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

So erreichen Sie Chiara Thies:

Herr Thümler, die Entscheidung von Elke Twesten, die Fraktion der Grünen zu verlassen und zur CDU zu wechseln, hat die Politikwelt in Niedersachsen durcheinandergewirbelt. Waren Sie auch überrascht?
Frau Twesten hat das Gespräch mit mir gesucht. Deswegen war das für mich natürlich nicht so überraschend wie für alle anderen. Der Schritt an sich wirkt einerseits überraschend – andererseits war er auch erwartbar. Frau Twesten hat ja Signale an SPD und die Grünen in Niedersachsen ausgesendet, die allerdings von beiden Seiten nicht wirklich wahrgenommen worden sind. Offenbar waren Grüne und SPD schlicht und ergreifend nicht fähig zu erkennen, dass dort ein schlummernder Vulkan sitzt.

Nun haben Sie Frau Twestens Schritt aber auch als „doch etwas kurios“ bezeichnet. Was meinten Sie damit?
Das war eine flapsige Zwischenbemerkung in der Pressekonferenz. Gemeint ist im Grunde genommen nur, dass das schon eine tiefe Zäsur ist, die so ein Schritt nach sich zieht. Dem man sich eben auch nicht leichtfertig hingibt, den man wohl durchdacht und überlegt geht. Das war keine spontane Entscheidung, Frau Twesten hat lang darüber nachgedacht, das konnte ich in den Gesprächen mit ihr erkennen.

Stichwort „durchdacht“ und „lange drüber nachgedacht“. Ministerpräsident Stephan Weil hat den Vorgang als „Intrige“ bezeichnet. War der Schritt denn schon länger geplant und vorbereitet?
Nein. Das ist der Versuch einer Legendenbildung. Frau Twesten hat sich erst am Donnerstag mir gegenüber offenbart und gesagt, sie hätte sich entschieden, den Schritt zu tun. Wir haben dann entsprechend adhoc die Vorbereitungen getroffen, um am heutigen Tage die Erklärung zu geben. Also eine Intrige wie sie Herr Weil, Herr Stegner und andere da sehen, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Ganz im Gegenteil, es ist die Entscheidung einer Abgeordneten gewesen, die von ihrer Partei seit längerem enttäuscht ist.

Eine Entscheidung, die auch als „Schwächung der Demokratie“ bezeichnet wurde.
Ja, wenn man nicht mehr weiter weiß, kommt man immer mit diesen stereotypen Antworten. Das hat mit Schwächung von Demokratie nichts zu tun. Dann wäre ja der Vorgang in Thüringen, wo SPD, Grüne und Linke einen Ex-AfD-Mann in ihren Reihen aufgenommen haben, um ihre Mehrheit aufrecht zu erhalten, auch demokratieschädlich oder eine Intrige. Die SPD sollte bei solchen Dingen in der Wortwahl abrüsten und die Bürger nicht ständig mit so einem Kram verwirren. Es geht jetzt einfach darum, dass wir nach den veränderten Mehrheitsverhältnissen schnell zu Neuwahlen kommen müssen. Diesen Weg kann die Landesregierung unter Stephan Weil freimachen, indem sie zurücktritt. Dann können wir diese Dinge auch sehr flott angehen.

Sie fordern also den Rücktritt des Ministerpräsidenten?
Wenn Herr Weil zurücktritt, wäre das ein sauberer Schritt auf dem Weg zu Neuwahlen. Diese Landesregierung ist am Ende. Theoretisch wären Neuwahlen mit der Bundestagswahl möglich.

Bei den nächsten Landtagswahlen in Niedersachsen kann Elke Twesten noch nicht für die CDU antreten, weil die Listen schon feststehen. Aber kann sie sich jetzt gute Chancen auf einen Listenplatz bei der übernächsten Bundestagswahl bei Ihnen ausrechnen?
Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Frau Twesten ist ja aus freien Stücken zur CDU gekommen. Das hat auch unserer Landesvorsitzende ihr in einem Gespräch deutlich gemacht, dass es keinerlei Zusagen gibt. Natürlich kann sich Frau Twesten jetzt in der CDU politisch betätigen.

Was sind denn die nächsten Schritte bei der CDU in Niedersachsen?
Erst einmal müssen wir mit der FDP sprechen. Darüber, wie wir es schaffen können, eine Mehrheit im Landtag hinzubekommen. Das heißt, dass wir eine Zählgemeinschaft mit der FDP bilden wollen. Das führt dann zu einer Neubesetzung der Ausschüsse, der Präsidien, des Ältesten-Rates und aller Gremien, die daran haften. Dann können wir mit dieser Mehrheit auch entscheiden, was im Landtag noch beraten wird und was nicht. Dazu kommt, dass eine Selbstauflösung des Parlaments möglich ist, wenn die Landesregierung nicht die Kraft findet, zurückzutreten. Auch wie wir das angehen, müssen wir besprechen.

Sie sind also gedanklich schon bei einem neuen Landtag.
Wir streben so schnell wie möglich Neuwahlen an. Das haben wir ja heute auch erklärt. Und wie gesagt, der richtige Schritt auf dem Weg wäre der Rücktritt der Landesregierung.

Mit dem möglichen Koalitionspartner FDP?
Noch ist nicht die Zeit, Koalitionsverhandlungen zu führen. Wir sind gerade dabei, die momentane Regierung loszuwerden, dann zu wählen und daraufhin eine neue Regierung zu bilden. Aber wie der neue Landtag zusammengesetzt ist, entscheidet natürlich der Wähler.

Aber eine schwarz-grüne Koalition ist jetzt keine Option mehr, oder?
Wie heißt es so schön? Sag niemals nie.

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Christa Maria Wallau | Fr., 4. August 2017 - 22:51

Der Vorgang in Niedersachsen zeigt, wie
hier von Frau Twesten klar erkannt wurde, daß es besser ist, ein sinkendes Schiff rechtzeitig zu verlassen als damit unterzugehen. Von den Tierchen, die diesem Instinkt regelmäßig folgen, will ich nicht reden.

Eine Mehrheit für Rot-Grün dürfte bei der Neuwahl
in Niedersachsen nicht mehr zustande kommen.
Das war's dann wohl für Weil und Genossen.

Die Grünen und ihre Abweichlerin könnten sich
allerdings möglicherweise in einer Regierungskoalition wiedersehen.

Hauptsache: Man bleibt im Spiel!
S o lautet doch die Devise unserer Abgeordneten,
der sogenannten VOLKSVERTRETER.

Adenauer hat auch das Beste fürs Land raugeholt.
Diese Luschen heute sind doch nur an ihrem eigenen Geld interessiert
Mit Helmut Schmidt ging der letze mit Anstand

André Oldenburg | Sa., 5. August 2017 - 06:38

Wer noch alle Sinne beisammen hat, der verlässt die Grünen. Die Grünen waren nie wirklich eine wichtige Partei. Die wichtigsten Umweltentscheidungen wurden schon vor ihrer Gründung gefällt und bei den nachfolgenden Entscheidungen gab es auch eine Mehrheit bei der SPD zu den entsprechenden Themen.
Im Grunde sind die Grünen viele Jahre eine extravagante SPD gewesen und haben sich jetzt aus Beliebigkeit CDU und FDP-Themen auf die Fahnen geschrieben, der Anfang vom Ende der extravaganten SPD.
Parteiwechsel haben Tradition, auch das Aufregen über diese - Theaterdonner.

Karin Zeitz | Sa., 5. August 2017 - 10:13

hat sich eine bereits seit längerem von ihrer Partei enttäuschte Person dazu entschieden, sich für diese in den Landtag wählen zu lassen? Sofern sie von den Wählern kein Direktmandat erhalten hat müsste sie aus Gründen des Anstands ihr Mandat umgehend freiwillig aufgeben. Im Übrigen habe ich Verständnis dafür, dass sie für die Grünen nicht mehr arbeiten möchte, das würde ich auch nicht tun.

Michael Sander | Mo., 7. August 2017 - 11:10

Antwort auf von Karin Zeitz

Auch wenn die Abgeordneten ihr Mandat ihrer Partei verdanken - das Mandat gehört definitiv nicht der Partei und kann deshalb auch nicht an diese zurückgegeben werden.

Bruno Raab | Sa., 5. August 2017 - 11:52

Warum jetzt eine Neuwahl? Die reguläre Wahl wäre ja schon im Frühjahr! CDU und FDP haben jetzt eine Mehrheit im Parlament und könnten einen neuen Ministerpräsidenten vzur Wahl vorschlagen, falls Herr Weil zum Rücktritt bereit wäre. Die zweite Möglichkeit wäre eine Abwahl von Herrn Weil oder drittens Duldung einer Minderheitsregierung. Für mich ist eine vorzeitige Wahl die undemokratischste Lösung.

Bernd Fischer | Mo., 7. August 2017 - 11:56

Antwort auf von Bruno Raab

Für Minderheitsregierungen sind die politischen Parteien in Deutschland zu feige.

Obwohl, so etwas gab es schon einmal und die "Moralapostel" schrien damals ganz besonders laut.

Ursula Schneider | Sa., 5. August 2017 - 11:57

Na so was! Anders als bei der AfD heißt das allerdings hier "durcheinanderwirbeln", "Signale aussenden", "kuriose Schritte tun" - man will es sich ja mit keinem möglichen Koalitionspartner verderben.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 5. August 2017 - 19:03

die Seriosität der Grünen vertraut.
Menschen politische Integrität zuzutrauen ist leider evtl. ein Vabanquespiel.
Entsprechend hat der Bundesgeschäftsführer der Grünen Frau Twesten aufgefordert, ihr Mandat niederzulegen?
Insgesamt traue ich Oppermann zu, die Angelegenheit zu klären.
Er kennt/kannte Niedersachsen wie seine Westentasche.

Und was soll der Oppermann richten?

Niedersachsen ist die Keimzelle für Politversager.

Alexander Mazurek | So., 6. August 2017 - 02:13

... wer hat da was wann nicht wie gesehen?! Gelobt' sei, was (nur) -uns- nützt! Mehr "protestantisch" bzw. unchristlich oder beliebig kann's nicht geben, oder?!

Max Hoffmann | So., 6. August 2017 - 11:04

Sie können sicher sein, die Genossinnen und Genossen der Thüringer SPDGrüneLinke werden mit angehaltenem Atem nach Niedersachsen schauen. Denn in Thür. liegt die Koalition auch mit dem Kopf auf dem Schafottt...

weil ein AfD-Abgeordneter aus dem Landtag zur Regierung ( jetzt als Neu-SPD-Mitglied ) übergetreten ist.

Wer hat denn da geschrien von der SPD...Verrat....Demokratie in Gefahr......

Ich sags Ihnen: Keiner

Karola Schramm | Mo., 7. August 2017 - 20:31

SPD-Grünen sollten in Niedersachsen sich nicht bange machen lassen und einfch mal weitermachen. Keine Neuwahlen. Nichts. Und abwarten, was dann passiert.
Mit einem Überläufer eine Regierung stürzen zu können ist schon was Besonderes. Darum sollten sich SPD-Grüne auf gar keinen Fall darauf einlassen. Wenn sie gut sind, werden sie bestehen; wenn nicht, können sie getrost untergehen. Aber sie müssen es riskieren und weitermachen.
Dass CDU und FDP jetzt Morgenluft wittern und die Regierung übernehmen wollen verwundert nicht, da sie eh glauben, als CDU ein Dauer-Abo auf die Regierung zu haben. Dieser Zahn muss ihnen immer wieder gezogen werden, denn es sind die Wähler, die bestimmen. Abgeordnete dürfen niemals diese Macht bekommen, auf eine derartige Art und Weise eine Regierung zu stürzen.

Bernd Fischer | Di., 8. August 2017 - 12:10

Antwort auf von Karola Schramm

Was machen Sie denn mit Abgeordneten die das eigene "Lager" verlassen um eine Regierung das Überleben zu sichern? ( siehe Thüringen )

Ich sehe, die Doppelmoral ist auch beim "Bürger*in" angekommen.

Caroline Schwarz | Di., 8. August 2017 - 08:00

während der gewählten Zeit - egal von welcher Partei zu einer anderen halte ich für Betrug am Wähler der diejenige Person gewählt hat, eben weil sie dieser Partei angehört hat. Wenn eine gewählte Person mit ihrer Partei nicht mehr zufrieden ist, sollte sie ihr Mandat zurücklegen und jemand anderen aus dieer Partei nachrücken lassen. Das erfordert meiner Meinung nach der mindeste Anstand. Aber offensichtlich ist es mit dieser Art von Anstand in Deutschland n icht weit her, wie man aus vorhergehenden Beispielen ersehen kann!
Offensichtlich hat noch kei vorhergehender Kommentar meine Meinung geteilt. Schade!

Frau Twesten ist von den Wählern als Vertreterin der Grünen gewählt worden. Wenn ihr das keinen Spaß mehr macht, sollte sie Platz machen für einen anderen Vertreter der Partei. Das entspräche dem Wählerwillen. Es bliebe ihr ja unbenommen, anschließend in jede andere Partei ihrer Wahl einzutreten.