Ein Stuntman fliegt als James Bond verkleidet mit einem Fallschirm ins Londoner Olympiastadion zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 in London
Das gebeutelte Königreich stürzt in den Brexit. Hält der Fallschirm für Theresa May? / picture alliance

Brexit-Verhandlungen - Ohne Mehrheit und ohne klares Ziel

Das Königreich liegt wund. Es wird von Terroranschlägen, Brandkatastrophen und politischen Scharmützeln gebeutelt. Aber Großbritannien hält zumindest an einem fest: Der EU-Austritt soll kommen. Koste es, was es wolle

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Die Brexit-Verhandlungen begannen am Montag um 11.00 Uhr in Brüssel. Eine Stunde später, um 11.00 Uhr Londoner Zeit, hielten die Briten eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer des Grenfell-Tower-Brands ab. Dutzende Menschen waren vorigen Mittwoch einem Feuer in einem Londoner Wohnblock zum Opfer gefallen. In der Nacht zum Montag aber war es dann zu einem Terrorangriff vor einer Moschee im Nordlondoner Stadtteil  Finsbury Park gekommen, dem vierten Anschlag in vier Monaten. Ein vermutlich rechtsradikaler Extremist war mit einem Lastwagen in eine Gruppe von gläubigen Muslimen gefahren. Ein Mann starb, viele sind verletzt.

Das Land kommt nicht zur Ruhe

Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Die politische Klasse kämpft an allen Fronten. Dabei sind die Brexit-Verhandlungen das größte politische Projekt der Briten seit dem Beitritt zur EU vor 44 Jahren. Was das Vereinigte Königreich jetzt bräuchte, wäre ein kühles Verhandlungsteam, das an einem Strang zieht. Davon aber kann keine Rede sein. Ein knappes Jahr nach dem EU-Referendum vom 23. Juni, in dem die Briten mit 52 zu 48 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, tritt die konservative Regierung von Theresa May ohne gesicherte Mehrheit und ohne klares Ziel gegen 27 EU-Partner an. Seit sie die Wahlen am 8. Juni verpatzt hat, wetzen die Konkurrenten in ihren eigenen Reihen die Messer. 

Welchen Brexit hätte sie gern? Theresa May gehörte vor einem Jahr noch zu jenen, die für den Verbleib in der EU gekämpft hatten. Seit die 60-jährige ehemalige Innenministerin von den siegreichen Brexitieren zur Premierministerin gekürt wurde, konvertierte sie zu einer ultraharten Position – sie will aus der EU, dem gemeinsamen Markt und der Zollunion austreten, um die Einwanderung senken, die Freizügigkeit der EU-Arbeitnehmer und die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs beenden zu können.

Mays Position der Schwäche

Aus ökonomischen Gründen widerspricht ihr da schon seit geraumer Zeit ihr eigener Finanzminister Philip Hammond. Der 61-jährige Karrierediplomat ist ebenfalls ein ehemaliger „Remainer“, der noch voriges Jahr für den Verbleib in der EU gestimmt hatte. Auch er sagt zwar, dass „ein Land, das aus der EU austritt, automatisch aus allem austritt“, er möchte Großbritannien aber danach wieder möglichst nahe zumindest an die Zollunion heranverhandeln. Dass Hammond als Finanzminister mit seinem „weichen“ Brexit-Plan überhaupt wieder nominiert wurde, zeigt die neue Position der Schwäche von Theresa May. Sie hätten den Konkurrenten gerne entsorgt, verfügt dafür aber heute nicht mehr über die nötige  Autorität. 

Denn bei den vermasselten Frühwahlen vom 8. Juni konnten die Konservativen ihre Mehrheit nicht wie geplant ausbauen. Sie verfügen nur über 317 von 650 Sitzen. Die Labour-Partei hat auf 262 Mandate aufgestockt. May wird dafür die Schuld gegeben, da sie im Wahlkampf volksfern und hölzern wirkte. Sie ist jetzt im Parlament auf die Unterstützung der nordirischen DUP angewiesen – die ultrakonservativen nordirischen Unionisten opponierten einst gegen das Karfreitagsabkommen, das den Krieg zwischen der katholischen Irischen Republikanischen Armee IRA und den protestantischen Unionisten 1998 beendete. Heute ist dieses Abkommen die Basis eines Friedens, der vom Austritt aus der EU bedroht wird. Zwischen Irland und Nordirland, das gemeinsam mit Großbritannien aus der EU austreten wird, muss dann eine EU-Außengrenze hochgezogen werden. 

Streitpunkt Nordirland

Nordirland ist deshalb einer der drei explosivsten Verhandlungspunkte zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Nach Meinung aller sollen die Modalitäten der nordirischen Grenze möglichst bald geklärt werden. Wie das gehen soll, ist aber bisher unklar, weil ja auch noch niemand weiß, wie die Bedingungen nach dem Austritt überhaupt sein werden. Tritt Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus, dann kann die Grenze nur schwer offen bleiben. Wenn die britische Regierung nach dem Austritt ein weitreichendes Freihandelsabkommen erreichen kann, dann könnte es sein, dass Nordiren und Iren nicht durch Grenzpfosten zu trennen sein werden. Ein Freihandelsabkommen aber ist in weiter Ferne. Es kann bis zu sieben Jahren dauern, so lange verhandelte Kanada mit der EU. Die Briten und die EU werden deshalb versuchen, erst den Scheidungsvertrag und dann ein Übergangsabkommen auszuhandeln – all das in den kommenden achtzehn Monaten, damit die nationalen Parlamente sie ratifizieren können.

Neben der nordirischen Grenzfrage gehört zu den Eröffnungskapiteln bei den Verhandlungen auch die Frage der Rechte der über drei Millionen EU-Bürger, die heute in Großbritannien leben. Werden sie weiter zu gleichen Bedingungen in ihrer neuen Heimat bleiben können? Wird Großbritannien zustimmen, ihnen automatisch Gesundheitsversorgung, Pensions- und Sozialversicherung zukommen zu lassen? Da auf dem EU-Kontinent wiederum etwa eine Million Briten leben, sollte sich eine gegenseitige Lösung aber finden lassen. 

Wie hoch wird die Rechnung?

Der dritte Punkt, der gleich zu Beginn der Verhandlungen geklärt werden soll, ist die Rechnung für die bisherige Mitgliedschaft. Großbritannien muss sich entweder weiter an den Pensionen seiner EU-Diplomaten und an bereits vereinbarten Programmen wie dem Studienaustausch Erasmus beteiligen oder einer Abschlagszahlung zustimmen. Aus Brüsseler Sicht beläuft sich diese auf bis zu 100 Milliarden Euro. Davon will London nichts wissen. Doch hinter den Kulissen haben die verantwortungsvolleren Minister in Mays Kabinett durchblicken lassen, dass es am Geld nicht scheitern soll. 

Wer sich aber in Mays Kabinett durchsetzen wird und ob die Premierministerin noch am Ende der Verhandlungen, die bis 29. März 2019 abgeschlossen sein sollen, im Amt ist – das weiß niemand zu sagen. Oppositionschef Jeremy Corbyn hat seit einem erfolgreichen Wahlkampf als volksnaher Kämpfer gegen die Ungleichheit an Selbstbewusstsein gewonnen und fordert die Regierungschefin permanent zum Rücktritt auf. Dass ihre Minderheitsregierung in den kommenden Monaten aufgrund eines innenpolitischen Problems im Parlament gestürzt wird, ist bei dem derzeitigen politischen Chaos im Land wahrscheinlich. 

Denn in der Brexit-Frage, und das ist vielleicht die schlechteste Nachricht für alle Pro-Europäer, sind sich die konservativen Tories und die Labour-Opposition im Grundsatz einig. Keiner weiß zwar, was Brexit genau heißt. Beide Parteien aber haben sich in ihren Parteiprogrammen klar auf den EU-Austritt festgelegt. 80 Prozent der neugewählten 650 Abgeordneten im britischen Unterhaus treten heute für ihn ein. Auch wenn vielen Briten dabei mulmig ist und das Triumphgeschrei der EU-Feinde längst verstummt ist, ziehen sie in die diplomatische Schlacht nach Brüssel, um sich von der EU zu trennen. Der Brexit, so sieht es zu Beginn der Brüsseler Verhandlungen aus, wird kommen.

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Mathias Trostdorf | Mo., 19. Juni 2017 - 16:52

"Das Königreich liegt wund. Es wird von Terroranschlägen, Brandkatastrophen und politischen Scharmützeln gebeutelt. Aber Großbritannien hält zumindest an einem fest: Der EU-Austritt soll kommen. Koste es, was es wolle"

Hat denn das eine mit dem anderen was zu tun?
Das britsiche Volk hat mit knapper mehrheit entschieden und das sollten auch Journalistlnnen langsam akzeptieren.
Würde GB sich auch wie Deutschland mit weiterer unkontrollierter Einwanderung noch mehr Probleme ins Haus holen als schon da sind, würde das Faß überlaufen.
Und in Portugal brennts auch, und das ohne Poxit.

Den zurecht harten Worten von Herrn Trostdorf ist kaum etwas hinzuzufügen.
Mich wundert nur, wie ein so gleichgeschaltet-flacher Kommentar wie der von
ihm kommentierte im CICERO erschien.

Danke für Ihren Kommentar! Dieses Journalisten-Gejammere über die angeblich dummen Brexit-Briten ist wirklich nicht mehr zum Aushalten.
Ich für meinen Teil habe eher den Eindruck, dass Deutschland den Weg in den wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang gewählt hat und nicht die Briten.

Olaf Voß | Mo., 19. Juni 2017 - 17:27

Richtig so - raus aus diesem "Saftladen", der Brüssel und Merkel heißt.

Andreas Müller | Mo., 19. Juni 2017 - 17:43

...brennen Fassaden mit Vollwärmeschutz aus Polystyrol.
Bemerkenswert realistisch ist dagegen die Auffassung, dass auch der Labour-Erfolg die Wahrscheinlichkeit eines Brexit nicht reduziert.
Vor einiger Zeit habe ich die Spekulation gelesen, dass Theresa May als ehemalige Remainerin versuche, durch einen vorgeblichen Kampf für einen besonders harten Brexit dessen Unmöglichkeit zu demonstrieren und so durch dieses Manöver doch noch zu einem Remain zu kommen. Diese Option wäre ihr nun durch ihre relative Wahlniederlage und den von Corbyn vertretenen weicheren Brexit genommen worden. Es könnte also sein, dass Corbyn als der Politiker in die Geschichte eingeht, der den Brexit besiegelt hat.

Markus Sommer | Mo., 19. Juni 2017 - 17:58

Den Briten ist halt Demokratie wichtiger. Schon alleine kein EuGH mehr. Die Glücklichen.

Susanne antalic | Mo., 19. Juni 2017 - 19:21

Ich bin keine Politikerin aber die Tories haben die Wahlen gewonnen und Brexit haben 52% gewollt. Ich denke auch das Deutschland viel mehr nach GB exportiert als umgekehrt. Warum versuchen sie immer den Teufel an die Wand malen, wie es den Briten schlecht gehen wird. Keine weiss was genaues, so was ist noch nie passiert aber die meisten Journalisten bedauern die UK. Vieleicht ist das Neid, denn ich bin überzeugt, wenn andere Länder eine Möglichkeit des Referendum hätten, würde es vieleicht genau so kommen. Warum wird es nicht gemacht, nur aus purem Angst. In ein paar Jahren werden wir die UK beneiden, da bin ich mir sicher.

MICHAEL SCHAFF | Mi., 21. Juni 2017 - 01:02

Antwort auf von Susanne antalic

Die Angst der EU-Eliten wird durch die Medien als düsteres Orakel verbreitet, weil eben diese EU-Eliten den Präzedenzfall vermeiden wollen. Was, wenn sich mach dem Brexit nicht die Hölle auftut? Mit welcher Begründung wäre die EU in ihrer abstrakten Un-Demokratie noch zu forcieren? Was wäre mit Merkels Alternativlosigkeitismus wenn es doch Alternativen gäbe?

Gerhard Schneider | Mo., 19. Juni 2017 - 20:37

Wenn man eine London-Kolumnistin ist, ist man eben noch keine England-Kolumnistin und noch weniger eine United Kingdom-Kolumnistin. Fahren Sie mal aufs Land, liebe Frau Syskowitz und dann definieren Sie noch einmal "die Mehrheit", die nicht für den Brexit ist. Übrigens unabhängig von der Tatsache, dass außer den Champagner-Corbyn-Wählern in London, die Arbeiter-Corbyn-Wähler in den Arbeiterstädten sehr wohl für den Brexit sind und auch Corbyn selbst sich schon mehrfach pro-Brexit geäußert hat.

Was Sie auch vergessen ist, dass die Rechnung für den Brexit nur durch die EU künstlich erhöht wird und damit den verbleibenden EU-Staaten (analog zu den Russland-Sanktionen) am Ende selbst den größten finanziellen Schaden zufügen wird. Die zukünftige Unabhängigkeit der UK vom EU-Sumpf wird dem Land in den kommenden Jahren noch zu einem entscheidenden Vorteil verhelfen, vor allem dann wenn die verantwortungslose EU-Geldpolitik explodiert.

Hubert Knapp | Mo., 19. Juni 2017 - 21:06

Nicht genug damit, daß die Regierung das Volk nach seinem Willen befragt - nein, nun will sie diesen auch noch tatsächlich in der Politik berücksichtigen.
Welch ein Chaos. Wie nennt man nur so eine Staatsform?

Cecilia Mohn | Mo., 19. Juni 2017 - 21:40

Der neueste Anschlag in London dürfte aus Rache motiviert gewesen sein. Das ist nicht gut, das ist nicht nett und das soll man nicht machen. Ein Auge für ein Auge macht uns alle blind. Aber die Muslime in den westlichen Ländern verweigerten bisher die Solidarität denen, die durch Anschläge getroffen wurden. Wen wundert es da, dass sie selbst durch Anschläge getroffen werden? Mich nicht. So können sie vielleicht aufwachen und sich endlich solidarisieren mit den Opfern. Wir sitzen alle im selben Boot. Das sollten auch die Muslime begreifen und nicht so tun, als würden
sie allein angegriffen werden.
Die Muslime haben es geduldet, dass in ihrem Namen Tausende unschuldige Opfer gemordet worden sind. Damit muss Schluss sein, sonst gibt es ein Morden ohne Ende. Das kann doch keiner wollen - oder doch?

Cecilia Mohn

Silas Loy | Mo., 19. Juni 2017 - 22:36

Nachdem die Briten weder den inzwischen auch außengrenzenlosen Schengenraum mit der wachstumsstarken Migration mitgemacht haben noch den unwiderstehlichen Euro mit all den beachtlichen Nebenwirkungen, ist ihr Wunsch, aus dieser EU herauszukommen, doch ganz folgerichtig.

Was hat das mit einem Hochhausbrand zu tun?

Noch ein Blick über die Schulter und sie sind uns los!

ingrid Dietz | Di., 20. Juni 2017 - 02:45

Eine Verbindung wird doch heute nicht mehr bis
"das der Tod uns scheidet" geschlossen !

Übrigens: Merkel & Co wissen ganz genau, warum es in der BRD (fast) keine Volksabstimmungen gibt !

Ernst Seeger | Di., 20. Juni 2017 - 18:26

meiner Meinung nach, ist der Brexit der definitive Startschuß zum Zerfall der EU wir wir sie kennen.
Es wird zur Wiederbelebung des alten Commonwealth
kommen und zu einer Wahlalternative für unzufriedene EU-Mitgliedsstaaten, gemeinsam mit GB ein neues Europa zu gestalten.
Die Visegradstaaten und auch Österreich werden die ersten sein, die es GB gleichtun werden, ein alternatives Europa zu gestalten. Hinzu gesellen könnten sich eventuell auch Norwegen,Island, Schweiz, Liechtenstein, Finnland UND womöglich auch Russland und Weißrussland
Dann kann Brüssel einpacken und es wäre gut so!
Ich wünsche GB viel Glück und eine glückliche Hand.

Dr. Lothar Sukstorf | Mi., 21. Juni 2017 - 12:12

The British Empire is dead already...long time ago it died. So what, who cares? Gut und zugleich schmerzhaft für sie zu lernen, daß sie nicht mehr weltweit herrschen(auch wenn Thatcher meinte, mit dem Aufbau des Finanzmarktes in London würde die "alte Weltherrschaft", nur mit anderen Mitteln wieder erwachen...) und vor allem, daß sie nichts Anderes als die anderen sind. Im Fußball halten sich die meisten Engländer immer noch für das Maß aller Dinge..., dies nur am Rande! Ich erachte den Brexit der Briten für gut, denn sie holen sich ihre Souveränität zurück. Solange die Behörden in Brüssel, der Moloch, unkontrolliert bleibt, bin ich auch dagegen staatliche Souveränität an Brüssel abzutreten. Merkel und Juncker geht es vor allem darum, mit Britannien ein Exempel zu statuieren, die Hürden so hoch zu legen, daß andere EU-Mitglieder nicht auf ähnliche Gedanken kommen. Vor allem die osteuropäischen Länder. Die Frage ist, wer dabei die Hauptlast trägt? D. mit den Kompromissen a la Merkel.

Christop Kuhlmann | Mi., 21. Juni 2017 - 16:27

Man wäre David Cameron besser etwas mehr entgegengekommen und die Briten wären in der EU geblieben. So bestehen beide Seiten weiterhin auf Maximalpositionen und verlieren an Bedeutung in einer multipolaren Welt.

Dr. Lothar Sukstorf | So., 25. Juni 2017 - 12:03

Das trifft im Besonderen auf ANGELA MERKEL zu, unsere Rautenmutti. Die größte Kanzlerin aller Zeiten. GRÖKAZ!! Die Glibberkanzlerin