Geert Wilders vor Mikrofonen
Der Medienhype um Geert Wilders steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung / picture alliance

Niederlande - Die falsche Strategie

Kolumne: Grauzone. Dem Rechtspopulismus von Geert Wilders stellte Premier Mark Rutte im Wahlkampf einen Populismus der Mitte entgegen. Das ist nicht ungefährlich. Denn es führt zu einer Sinnentleerung des Politischen, die Wählerschaft und Establishment noch weiter voneinander entfremdet

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die Erleichterung über das schlechte Abschneiden von Geert Wilders Einmannpartei PVV war am Donnerstagmorgen geradezu mit Händen zu greifen. Von einem „Sieg der Vernunft“ sprach Spiegel-Online, die Süddeutsche sah „ein gutes Zeichen für Europa“, und der übermäßiger Gefühlsausbrüche ansonsten unverdächtige Kanzleramtsminister Peter Altmaier ließ sich sogar hinreißen, einen alten niederländischen Stadien-Song zu zitieren: „Nederland oh Nederland jij bent een kampioen!“

Doch gerade die Euphorie, mit der das niederländische Wahlergebnis aufgenommen wurde, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn sie unterstreicht eindrucksvoll, wie sehr es derzeit selbst bizarren Gestalten gelingt, die politische Agenda zu bestimmen – mit tatkräftiger Unterstützung der Medien natürlich.

Hype und Wirklichkeit

Wer die Berichterstattung über den niederländischen Wahlkampf in den letzten Wochen mitverfolgt hat, musste den Eindruck gewinnen, der Urnengang hätte nur einen einzigen Sinn: über Geert Wilders abzustimmen.

Wie im Rausch drehte sich das Medienkarussell um einen Mann, der von 87 Prozent der Niederländer nicht gewählt wurde. Mit anderen Worten: Der Medienhype und das Getöse um Geert Wilders stehen in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung. In anderen Ländern verhält es sich in vergleichbaren Fällen ähnlich. Dass solch eine verzerrte Darstellung der politischen Wirklichkeit langfristig der demokratischen Kultur gut tut, darf bezweifelt werden.

Rutte als Wilders-Verhinderer

Die Eindimensionalität, mit der sowohl der Wahlkampf als auch sein Ergebnis in den Medien kommentiert wurden, zeigt sich auch daran, dass Mark Rutte im Wesentlichen auf seine Rolle als Wilders-Verhinderer reduziert wurde. Dabei hat Rutte, nicht zuletzt dank seiner liberalen Wirtschaftspolitik, durchaus Erfolge vorzuweisen. Den Niederlanden geht es wieder gut, die Arbeitslosenquote sank von 7 Prozent im Jahr 2013 auf nahezu 5 Prozent. Die Staatsverschuldung wurde auf beinahe 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gedrückt. Das Wirtschaftswachstum lag zuletzt bei etwa 2 Prozent. Von diesen Werten können andere Länder nur träumen.

Doch all das hätte Rutte nichts genützt. Gerettet hat ihn schließlich ein gefährliches Manöver, das so oder ähnlich auch in anderen Ländern zu beobachten ist: Mit tatkräftiger Unterstützung der Medien entpolitisierte er die Wahl, indem er sie personalisierte und zur Schicksalswahl hochstilisierte.

Die Rechnung ging auf. Rutte konnte den Urnengang für sich entscheiden, weil er die einfache Frage stellte: Der oder ich? Dem Populismus der Ränder stellte er einen Populismus der Mitte entgegen. Das ist ein Stück weit verständlich, ungefährlich ist es jedoch nicht.

Sinnentleerung des Politischen

Was droht, sind sich gegenseitig aufschaukelnde Effekte aus Politikverdrossenheit und Entpolitisierung: Auf die Enttäuschung der Bürger über die etablierten Parteien reagieren diese mit der Schaffung ideologischer Feindbilder, programmatischen Vereinfachungen und Personalisierung. Diese Sinnentleerung des Politischen führt zu einer weiteren Entfremdung zwischen Wählerschaft und politischem Establishment. Die Kluft zwischen den Erwartungshaltungen an die Politik und den hilflosen Reaktionen der Parteien wird immer größer.

Verstärkt wird dieses Phänomen verhängnisvollerweise dadurch, dass die Sehnsucht der Wähler nach programmatischer Klarheit und politischer Gestaltungskraft sie in die Arme immer kleinerer Parteien treibt. Die sind zwar in der Lage, sehr konkrete politische Bedürfnisse maßgeschneidert zu bedienen – durchsetzen können sie diese aber nicht.

Politische Paralyse

Paradoxes Ergebnis: Der Wunsch nach einer möglichst konturierten Politik führt über die damit verbundene Zersplitterung des Parteiensystems zu Koalitionen aus drei, vier oder mehr Parteien. Die politischen Handlungsräume werden eng, die Politik verliert endgültig jede Gestaltungskraft. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dieser destruktiven Dynamik früher oder später antiparlamentaristische Parteien erwachen, ist nicht eben gering.

Wenn nicht alles täuscht, werden die Wahlen in den Niederlanden in vielerlei Hinsicht die Blaupause sein für die europäischen Urnengänge in den nächsten Jahren. Mit dem Ergebnis, dass die Sehnsucht nach politischer Gestaltung in die politische Paralyse führt. Verhindern lässt sich diese Entwicklung nur, wenn wir lernen, die begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Politik ebenso zu akzeptieren wie ihre zunehmende Unfähigkeit, Durchsetzungsstärke zumindest zu simulieren.

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Sepp Kneip | Sa., 18. März 2017 - 10:50

"Wie im Rausch drehte sich das Medienkarussell um einen Mann, der von 87 Prozent der Niederländer nicht gewählt wurde." Aber auch Rutte wurde von 79 Prozent der Niederländer nicht gewählt. Er ist also mit einem Verlust von 5 Prozentpunkten einer der Wahlverlierer und dennoch Gewinner. Es ist eigentlich seltsam still geworden um den Wahlhelfer Ruttes, Herrn Erdogan. Er hat seinen Part zur Verhinderung Wilders gespielt. Rutte hat die Auftrittsbegehren der Türken in populistischer Manier abgewiesen und entsprechend beim Wähler gepunktet und verhindert, dass noch mehr Bürger Wilders wählen. Dennoch hat Wilders die zweitmeisten Stimmen auf sich vereinigt. Dass er in die Regierungsverantwortung hätte kommen können, war doch von vorneherein unrealistisch, weil keiner mit ihm koaliert hätte. Daher war die große Angstmache des Establishments und der Medien in der Tat unsinnig.

Yvonne Walden | Sa., 18. März 2017 - 11:35

Die sogenannte "Politische Klasse" scheint nach wie vor nicht zu erkennen, weshalb zunehmend mehr Wählerinnen und Wähler rechten Scharlatanen wie Geert Wilders oder - in Deutschland - der AfD auf den Leim gehen.
Eine Mehrheit der Wahlberechtigten fühlt sich durch die amtierenden Parteien nicht ernst genommen.
Des Volkes Wille geschehe, aber davon sind wir auch in Deutschland weit entfernt.
Die deutsche Außenpolitik folgte seit Jahrzehnten willig dem US-Imperialismus, also den Vorgaben der wirtschaftlich Starken.
Eine übergroße Mehrheit lehnt eine solche Politik strikt ab.
Und was machen die Unionsparteien, die Sozialdemokraten, die Freien Demokraten und teilweise auch die Grünen?
Sie verfolgen exakt jene imperiale US-Politik.
Hoffentlich erkennen unsere Politiker in der Person des Donald Trump, wohin die Reise schon immer ging.
Wir alle wollen ein friedliches Europa und eine friedliche Welt.
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Na, hoffentlich bald.

AfD auf den Leim gehen!
Sie haben keine Ahnung wie demokratisch es in der AfD zugeht, weil Ihr AfD-Bild von Typen Höcke/Poggenburg und den linken Journalisten geprägt ist. Ich habe mich als FDP-Mitglied nicht ansatzweise am politischen Programmentwurf derart konstruktiv
demokratisch einbringen können. Nach wie vor bin ich auf der Linie von Walter Röpke und Ralph Dahrendorf.
Eine CDU bis weit nach 1970 hatte Mitglieder wie Kissinger, die eine wahrlich rechte Vergangenheit hatten. Glauben sie nicht jenen, die auf falsche Pferd setzen.

Könnten Sie das eine oder andere Scharlatanerie-Beispiel dieser "rechten Scharlatane" mal benennen? Eventuell so etwas in der Größenordnung von Merkels Grenzen-auf-für-alle im Herbst 2015?

Christa Wallau | Sa., 18. März 2017 - 11:36

Mit zwei Unfähigkeiten beschäftigen Sie, lieber Herr Grau:
1. "Begrenzte Handlungsmöglichkeiten der Politik
zu akzeptieren" - bei den Bürgern
2. "Unfähigkeit, Durchsetzungsstärke zumindest zu
simulieren" - bei den Politikern
Daraus entsteht eine Paralysierung der Politik, der Verlust der Gestaltungskraft. Ich stimme Ihrer Analyse zu, vermisse aber Gedanken zu möglichen Auswegen aus dieser "destruktiven Dynamik", d. h. des sich gegenseitig Hochschaukelns beider Haltungen.
Meines Erachtens stehen hier die Politiker mit ihren Mandaten eindeutig mehr in der Pflicht als die Bürger. S i e haben doch a l l e den Auftrag zum Handeln erhalten. Warum also scheuen sie jedes Risiko, wie z. B. im September 2015 (s. Buch v. R. Alexander)?
Was hier fehlt, ist M U T , für eigene Überzeugungen einzustehen. Diese Tugend erfährt heutzutage eine viel zu geringe Achtung - ganz allgemein, aber speziell bei den "Eliten".

WER KÄMPFT, KANN VERLIEREN; WER NICHT KÄMPFT, HAT SCHON VERLOREN.

Es ist in der Tat so, und auch in der freien Wirtschaft nicht viel anders.
Ein falsches Wort und die Karriere ist dahin. Nullen ziehen Nullen nach sich. Die Ja-Sager und Schleimspursurfer kommen weiter. Wer auch nur kritische Anmerkungen wagt, ist so schnell ein Querulant, wie in der politischen Diskussion ein Rassist.
Politiker wie Arbeiter und Angestellte sind an nichts anderem als ihrer Karriere interessiert. Ich Ich Ich. Diese Entwicklung hat bereits in den 80er Jahren begonnen. Wir ernten nun die Früchte.
Wir leben in apathischen und korrupten Zeiten.

Arne Bruhn | Mo., 20. März 2017 - 20:27

Antwort auf von Robert Flag

Ein kleines, mir unvergessliches Beispiel: Den großen Herrn Piëch störte die Position eines VW und er forderte, das Auto "in Reih und Glied" zu positionieren. Der zuständige (kleine) Mitarbeiter wies darauf hin, dass das Auto speziell für Behinderte ausgerüstet sei und für diese Kunden so frei wie möglich zugänglich sein müsse. "Das Jahr der Behinderten war letztes Jahr!" "pfiff" der 'große' Herr Piëch zurück. Der Mitarbeiter darauf: "Dann nehme ich das Auto vom Stand - es MUSS für die Kunden zugänglich bleiben!" Herr Piëch schwieg dazu - und das Auto BLIEB SO STEHEN!!! Der Mann hatte das, was Frau Wallau zu recht einfordert: MUT! Nur wer bringt den in der Politik auf???

erst nachdem ich meinen Beitrag (ca. 20:00) abgeschickt hatte, las ich die anderen Beiträge - u. a. den Ihren - und habe mich gefreut, dass sie genau die selben Punkte angesprochen haben wie ich. Was ich allerdings nicht erwähnt bzw. gefordert habe, ist M U T - wer den nicht hat, der hat in einem öffentlichen Amt nichts zu suchen - nach meinem Verständnis von einer Vertretung anderer!

Claudie cotet | Sa., 18. März 2017 - 12:15

hilflose Reaktionen der Parteien
alles trefflich gesagt

Peter Gentsch | Sa., 18. März 2017 - 12:26

Die Koalition von VVD und PvdA unter Rutte hat mehr als 47% an Stimmen verloren, die PVV unter Wilders hat 30% dazugewonnen. Es ist mir ein Raetsel, wie man da von einem grossartigen Sieg fuer Rutte und Europa sprechen kann. Die Reaktion der meisten Medien zeigt ueberdeutlich, wie wirklichkeitsfremd heutzutage politische Entwicklungen kommentiert werden.

Klaus Jürgen Bremm | Sa., 18. März 2017 - 12:28

Soll das etwa wieder ein Plädoyer für bundesdeutsche Schwurbelpolitik à la Merkel sein? Dem Autor sei klar gesagt: Politik ohne eindeutige Konturen verdient keine einzige Stimme. Hinter Mark Ruttes klarer Kante gegen Erdo und Konsorten standen übrigens die gesamten Niederlande (außer vermutlich den Anhängen von Denk)

Andreas Müller | Sa., 18. März 2017 - 14:27

Zwei Ergebnisse der niederländischen Wahl wurden insbesondere in Deutschland konsequent ignoriert, um den Jubel nicht zu stören:
1.) Der sensationelle Untergang der sozialdemokratischen Arbeitspartei, einer Stütze des Brüsseler Establishments.
2.) Der daraus folgende Rechtsruck im Parlament mit dem inhaltlichen Rechtsruck von Rutte und den Gewinnen für Wilders, die Christdemokraten, die Liberalen und einige konservativ-christliche Parteien.
Das politisch-mediale Establishment zeigt damit, dass ihm nicht in erster Linie die Inhalte wichtig sind, sondern die Macht. Dasselbe sehen wir auch in Deutschland, wenn CDU und SPD hemmungslos AFD-Forderungen umsetzen, die sie vor einem Jahr noch für Teufelszeug aus der Kammer des Antihumanismus erklärt haben. Die inhaltliche Wurstigkeit und Täuschungsbereitschaft ist nahezu unbegrenzt.

Mathias Trostdorf | Sa., 18. März 2017 - 14:36

Mich hat ehrlich gewundert, daß Wilders "von 87 Prozent der niederländischen Wähler nicht gewählt" wurde, denn das heißt ja im Umkehrschluß, daß diese übergroße Mehrheit offenbar mit der unguten gesellschaftlichen Entwicklung in den westlichen Ländern, also unkontrollierter EInwanderung, Islamisierung, Schwinden der Sicherheit und ökonomischer Reserven, keinerlei Probleme hat. Gerade die Auseinandersetzung mit Erdogan im Vorfeld der Wahlen hat doch gezeigt, wie brisant die Lage ist, wenn man den Feind bereits im eigenen Lande hat. Wirtschaftliche "Erfolge" sind doch bei weitem nicht alles, wenn das Europa, das man kannte, und das für viele Europäer ein gutes war, in rasender Geschwindigkeit verschwinden sieht.
Oder ist es doch so, wie es- glaube ich- hier im Cicero zu lesen war, daß die Wahlergebnisse der Trägheit der Masse geschuldet sind, die Angst vor politischen Veränderungen hat?

Wette eingehen.
Ich wette, dass im September knapp 90 Prozent der Deutschen ähnlich wählen werden: Eine Politik die sie eigentlich nicht wollen; oder nur teilweise wollen.
Auf jeden Fall eine Politik, von der sie nicht 90 Prozent wollen.

Damit werden die Deutschen ein Parlament wählen, das sie nicht als vox populi vertreten kann. Es wird ein Martin Schulz gewählt werden, und mit ihm eine Partei, nach derzeitigem Stand von 30 Prozent der Deutschen, weil er mehr soziale Gerechtigkeit und eine Verlängerung von ALG I in Aussicht stellt.
Martin Schulz steht aber auch für eine Ausweitung der Kompetenzen der EU, ein Recht aller Menschen einen Asylantrag in Europa stellen zu dürfen, und für die 'selbstverständliche' Rettung jedes EU-Mitgliedslandes vor dem Bankrott (dem erzwungenen Austritt). Genau diese Dinge hat er in den letzten Tagen erklärt.
Ich wage zu bezweifeln dass die Mehrheit seiner Vorhaben von der Mehrheit seiner Wähler gewünscht wird. Dennoch wählen sie ihn. Warum?

Arne Bruhn | Mo., 20. März 2017 - 21:20

Antwort auf von Uwe Dippel

Ich bin nicht das Orakel von Delphi - aber zwei Gründe sehe ich:
1. Sehr viele haben die Nase so voll von dem 'Merkeltilismus', dass sie alle(s) andere wählen (werden).
2. Die SPD war so etwas von danieder, dass ihr Schulz wie DER Messias vorkommt - vielleicht geht er ja 1 Woche vor der Wahl auch über das Wasser - wer weiß? Es heißt ja immer "der Ratschluss des HERRN ist unergründlich."
Wenn er dann noch Tausende mit einem Brot satt machen kann - dann wär das ja wenigstens etwas.

Michael Sander | Sa., 18. März 2017 - 14:51

Die zunehmende Zersplitterung des Pateiensystems ist eine Folge des Verhältniswahlrechts. Je mehr Parteien es gibt, desto mehr sind diese auf Koalitionen angewiesen und desto weniger ist für den Wähler absehbar, welche Politik er eigentlich wählt. Der Frust mit den bestehenden Parteien ist daher absehbar und so kommt es immer wieder zur Gründung neuer Parteien und noch mehr Zersplitterung.
Besser wäre ein reines personenbezogenes Mehrheitswahlrecht (ohne Parteiwahl). Damit würde die gesellschaftliche Diskussion wieder in die Fraktionen und damit ins Parlament zurückkehren und die politische Richtung könnte nicht länger von wenigen Parteioligarchen vorgegeben werden.

Josef Garnweitner | Sa., 18. März 2017 - 14:58

wie immer von Herrn Grau. Und kurz und bündig. Wie immer. Scheint wir hatten dieselben Lehrer, wegen kurz und bündig.

Ursula Schneider | Sa., 18. März 2017 - 15:30

Ihre hervorragende Analyse (insbesondere was die verhängnisvolle Rolle der Massenmedien betrifft) endet leider in einem seltsamen Ratschlag. Wir sollen "lernen, die begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Politik und ihre Unfähigkeit, Durchsetzungsstärke auch nur zu simulieren, zu akzeptieren"??

Wo kämen wir denn da hin? Politiker werden dafür gewählt, zu handeln und ihre Entscheidungen auch durchzusetzen. Was sie daran hindert, ist doch vor allem mangelnder Mut, fehlende Weitsicht und Erpressbarkeit (Nazi-Neurose, Türkei-Deal, Angst vor unschönen Pressebildern usw.). Es geht durchaus auch schnell, wie etwa die Schließung der Balkanroute oder so manches Manöver kurz vor den Wahlterminen gezeigt hat.

Man darf natürlich nicht immer am Sessel kleben und nur auf die nächste Wahl schielen ...

Harald Pflüger | Sa., 18. März 2017 - 15:36

So wie Merkel die CDU schrittweise nach links geführt und die SPD programmatisch ausgesogen hat und rechts Platz gemacht hat für die AfD, so hat Rutte kräftig in der Argumentenkiste von Wilders "gewildert": Der für mich richtige, knallharte Kurs gegenüber Erdogan hätte glatt von Wilders stammen können. Ebenso der offene Brief Ruttes in niederländischen Zeitungen, in dem er sich an die Ausländer im Lande richtet: "Benehmt Euch oder geht!" Ein echter Wilders, oder? In Deutschland hätte ein solcher Ausspruch zu einem Shitstorm ohnegleichen geführt und alle Aktivisten des sog. Kampfes gegen rechts auf den Plan gerufen. Statt dessen beklatscht man Rutte, weil er Wilders verhindert hat. Politik auf big-brother Niveau. Ach ja, drei Dinge werden bei der Betrachtung Rutte/Wilders kaum thematisiert: 1.) Rutte hat nun weniger Sitze als bei der letzten Wahl,2.) Wilders mehr als bei der letzten Wahl und 3.) die Sozialdemokraten (Ruttes ehem. Koalitionäre) sind von 39 auf 9 Sitze gekracht.

Peter Wagner | Sa., 18. März 2017 - 19:13

Ruttes Wahlsieg beruht in erster Line darauf, dass er die Türkische Ministerin daran gehindert hat, das türkische Generalkonsulat in Rotterdam zu erreichen! Sein konsequentes Durchgreifen, das Stoppen der Wagenkolonne, durch das der Wahlkampf für Erdogan auf dem Konsulatsgelände verhindert werden konnte, sicherte ihm den Wahlsieg! Selbst im Mittelalter war schon bekannt, dass die Gunst des Volkes seinem Machthaber gegenüber sofort anstieg, wenn er einen Angriff auf sein Land und sein Volk, erfolgreich abwehrte. Auch ERDOGAN will das Verfassungsreferendum mit genau diesem Trick für sich entscheiden! Er begibt sich in die vorgetäuchte Opferrolle, in der er die angeblichen mit Nazi-Methoden geführten Angriffe auf ihn und die Türkei, abwehren muss. Auf diese Weise versucht er seine Popularität zu steigern, und das Referendum für sich zu entscheiden!

Joost Verveen | Sa., 18. März 2017 - 20:53

Bei den feindlichen Aktionen der Türken hätte Wilders sich voll hinter den Premier stellen müssen, anstatt von der anderen Seite anzugreifen. Aber er konnte wohl nicht aus seiner Haut. Er kann froh sein, das er nur so wenig verloren hat. Rutte hat korrekt gehandelt, von Populismus kann angesichts der türkischen Feinde nicht die Rede sein.

Dieter Onnen | So., 19. März 2017 - 08:47

Der Fehler Wilders lag nach meiner Meinung
darin, dass er sich für einen Austritt aus der
EU ausgesprochen hat. Dadurch hat er die
Stimmen der EU-Befürworter nicht bekommen.
Hätte er sich auf die Aussage beschränkt
"ich bin gegen eine Einwanderung von Moslems
in die Niederlande und für ein Verbot der Moscheen" und zur EU- Mitgliedschaft gar nichts
gesagt, dann hätte er mehr Stimmen bekommen.
Die größte Gruppe unter den Wähler, sowohl in Holland als auch in Deutschland, lehnt den Islam ab, befürwortet aber eine Mitgliedschaft in der EU.

Ursula Schneider | Mo., 20. März 2017 - 14:17

Antwort auf von Dieter Onnen

ein Austritt aus der EU wäre für die Niederlande eine ziemliche Katastrophe. Wilders konnte dieses Thema zwar kaum ausblenden, aber es hätte genügt, auf grundlegenden Reformen zu bestehen und solche auch zu benennen.

Hans Page | So., 19. März 2017 - 09:59

Mir ist dieser Satz aufgefallen: "Diese Sinnentleerung des Politischen führt zu einer weiteren Entfremdung zwischen Wählerschaft und politischem Establishment. Die Kluft zwischen den Erwartungshaltungen an die Politik und den hilflosen Reaktionen der Parteien wird immer größer." Ich würde dann doch gerne wissen was gemeint ist mit "dem Politischen". Was legitimiert in einer Demokratie eine Partei über eine andere? Doch nur ob sie gewählt wird und das hängt davon ab sie in der Lage ist die Erwartungen der "Wähler" Antworten und Lösungen anzubieten. Dass die alten Parteien strukturell durch ihr erfahrenes Personal oberflächlich besser sind liegt auf der Hand. Aber was wenn die "Wähler" merken, dass die "alten Lösungen" ihre "Erwartungen" nicht mehr erfüllen, dann sind die alten Parteien auch nicht besser als die neuen, denn letztlich kochen sie alle mit Wasser und verlassen sich auf die Ministerialbürokratie. Was machte z.b. Niebel u.a. (FDP) fähiger als andere? Wohl nichts.

Johannes Renz | So., 19. März 2017 - 10:07

Gute Analyse der Wahl in den Niederlanden. Die Trendwende ist möglicherweise eingeleitet, für Euphorie besteht aber kein Anlass. Wilders hat "nur" deutlich weniger zugelegt als befürchtet und Ruttes Partei wurde trotz allem ordentlich gerupft.

Jacqueline Gafner | So., 19. März 2017 - 12:02

soll Fürst von Bismarck einst festgestellt haben. Will - übersetzt in die Jetzt-Zeit - wohl heissen, Parteiprogramme und Wahlkampfversprechen könne man in einer parlamentarischen Demokratie nicht zum Nennwert nehmen, ausser eine einzige Partei verfüge in Legislative und Exekutive über eine strukturelle Mehrheit, die ihr keine Rücksichtnahme auf die Konkurrenz abnötigt. Im Zeitalter von "Grossen Koalitionen" traditioneller politischer Antipoden oder von mit dem Rechenstab zusammengebastelten "Multicolor-Koalitionen", die den Rest des Parteienspektrums kaltstellen können, bekommt die "Kunst des Möglichen" jedoch eine andere Färbung, die vorab eines bewirkt: eine wachsende Enttäuschung (Ent-Täuschung) der Basis, da kaum jemand erhält, was er mit dem Wahlzettel "bestellt" hat. Mit bekannten Folgen, was den Wunsch nach einer unzweideutig konturierten Politik angeht, die nach der Wahl nicht "Schrott von gestern" ist, sondern halbwegs loyal umgesetzt wird. Vermisst wird vorab Verbindlichkeit.

Detlev Dinter | So., 19. März 2017 - 23:14

In der Endphase machte Rutte auf Wilders und rettete sich damit. Die Sozialdemokraten ("open borders") wurden quasi vom Wähler vernichtet.
Das ist also der großartige Sieg Europas über die "Populisten"? Rutte vertritt also den "guten Populismus"....

Ich hab mich auch gewundert, als Rutte diesen eigenartigen Begriff benutzte, denn der klingt ja wie das Eingeständnis eines Politikers, auch "populistisch" zu sein, aber eben den "besseren" Populisten darzustellen. Für mich ist Populismus ein Kampfbegriff, der dazu dient, den zumeist rechten politischen Gegner ohne Diskussion des Problems zum Schweigen zu bringen, ohne das Problem anzugehn. Bei Anne Will gestern gabs ein ganz schönes geeiere darüber, wie man das bei Rutte positiv benennen soll, wenn er das Gleiche sagt wie Wilders ob wohl er ja einer von den "Guten" ist.

Robert Flag | Mo., 20. März 2017 - 09:34

Die Tatsache daß Rutte 10 Sitze verloren und Wilders 4 Sitze dazugewonnen hat, findet in den Medien kaum Widerhall. Stattdessen freuen sich die vereinten selbsternannten Europäer und vermeintlichen Retter der Demokratie über Wilders´ angebliche Wahlschlappe. Mal abgesehen von der Erniedrigung der Sozialdemokraten, die praktisch zur Fußnote verkommt. Das nenne ich selektive Wahrnehmung.

Larissa Tscherkow | Mo., 20. März 2017 - 12:35

Die Frage, die die Europäer besonders spaltet, ist: Soll Europa eine Einwanderungsgesellschaft sein?

Alle Umfragen sagen klar, dass die Mehrheit der Europäer weitere Einwanderung (vor allem aus Nahost und Afrika) nicht wünscht.

Wenn nun aber diese Einwanderung durch EU Gesetze dennoch weiterhin befördert wird, dann muss man sich nicht wundern, wenn nun neue Populisten aller Art aus dem Kraut schießen.

Populismus selbst dagegen ist nicht neu, die herrschenden Eliten bedienen sich populistischer Argumentationen seit vielen Jahren.

"Scheitert der Euro scheitert Europa" sagte A.Merkel einst. Das ist ein Beispiel für Populismus, sogar nahe an einer Lüge.

Denn Europa ging es blendend, bis unsere Eliten auf die Idee kamen den Euro einzuführen und aus der EG die undemokratische EU der offenen Außengrenzen zu machen.

Ich kann keine neue Gefahr sehen. Der Populismus der Etablierten ist alt. Es sind nur neue Spieler hinzugekommen.

... bis unsere Eliten auf die Idee kamen den Euro einzuführen und aus der EG die undemokratische EU der offenen Außengrenzen zu machen."

Ein wahrhaft, kompetente Erkenntnis verehrte Larissa.
Ergänzend erlaube ich mir hinzuzufügen: Voraussetzung für eben diese so gewollte wie gewünschte Wiedervereinigung der zwei deutschen Staaten war seinerzeit für Kanzler Kohl die Zustimmung zur Einführung des EURO.

"Scheitert der Euro, scheitert Europa" (Zitat Merkel)
Nur eine von vielen gewohnt, platten Wortspielchen der Frau Dr. Merkel.

Rolf Pohl | Mo., 20. März 2017 - 15:45

Es sieht so aus, als würden Vokabeln mit den vier Buchstaben "Popu" vornean seit einigen Jahren bemüht, überstrapaziert superpopulär sein. Irgendwann werden im deutschen Sprachraum die Vokabeln Populismus, Faschismus, Nazismus wohl zu einem Wortstamm verschmelzen. Vorschlag: Populärinflaziopopufaschfaschazismus, damit wüsste wenigsten jede/r sofort worüber er/sie in Aufregung, meinetwegen auch ins Schmunzeln, gerät.
Wilders hat übrigens mit der letzten Wahl in den Niederlanden 5 (fünf) Sitze im nächsten Parlament hinzugewonnen. Würde mir bitte jemand mit Fakten und/oder Sachkenntnis, notfalls selbstverständlich auch gern Herr Alexander Grau, erläutern, wo an der Stelle schlechtes Abschneiden festzumachen ist?

Mit freundlich, populärinflaziopopufaschazistischen Grüßen
Rolf Pohl

Sachkenntnis..."
die gleiche Frage habe ich der Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau gestellt - hier ihre Antwort:

" Sehr geehrter Herr Bruhn,
was ich in Bezug auf Geert Wilders meinte ist schnell erklärt: Er selbst ist angetreten, um eine Mehrheit der Stimmen zu bekommen und in der Öffentlichkeit wurde allgemein mit einem Kopf an Kopf Rennen mit Rutters gerechnet. Es kam aber anders. Rutters hat einen deutlichen Vorsprung, selbst wenn Wilders – bedauerlicherweise – auf Platz zwei gelandet ist." (Ob die Dame Fakten oder Sachkenntnis hat beurteilen Sie bitte selbst.

Arne Bruhn | Mo., 20. März 2017 - 19:59

"wenn wir lernen, die begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Politik ebenso zu akzeptieren wie ihre zunehmende Unfähigkeit, Durchsetzungsstärke zumindest zu simulieren." schreiben Sie - das will ich nicht! Ich wähle keine Vertreter, die 1. ihre Handlungsmöglichkeiten nicht ausschöpfen bzw. 2. Durchsetzungsfähigkeit nur simulieren.
"Werte" ist der Schlachtruf dieser Politschauspieler - die sie zugleich mit ihrem Handeln ad absurdum führen. Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Klarheit fordere ich von ihnen. Wollen oder können sie nicht liefern, dann suche ich mir andere!

Werner Schick | Mo., 20. März 2017 - 22:11

Werter Herr Flag,
ihrem Beitrag kann ich, bis auf eine kleine Einschränkung, zustimmen.
Nicht alle Arbeiter und Angestellte haben nur ihre Karriere im Kopf. Dies gilt vielleicht für den überwiegenden Teil der AN, in einer so ausgeprägten Ego-Gesellschaft kein Wunder. Ein Teil jedoch verhält sich systemkonform aus Sorge um ihren Arbeitsplatz, was aus meiner Sicht nicht verwerflich ist, im Gegensatz zu Karriereabsichten.
Wenn sie in einem Klima der ständigen Angst um ihren vermeintlich sicheren Arbeitsplatz leben müssen, wägen sie ihre Worte und ihr Tun sorgfältig ab. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeuted in vielen Fällen einen sozialen Absturz, weil ein vergleichbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist. In diesen Fällen, darf sorgfältiges Abwägen nicht verurteilt werden, aus Gründen der Karriereförderung schon.
Abhilfe: nicht in Sicht, solange die Angst am und um den Arbeitsplatz ein wesentliches Instrument des Neoliberalismus darstellt, um die AN unter Druck zu setzen

Werner Schick | Mo., 20. März 2017 - 22:58

Werter Herr Onnen,
zu ihrem Beitrag zwei Anmerkungen:

1) Herr Wilders hat keinen direkten Austritt aus der EU gefordert, sondern ein Referendum des NL Volkes über diese Frage, das ist ein wesentlicher Unterschied

2)ihre Annahme, dass die Mehrheit der deutschen Wähler eine EU Mitgliedschaft befürwortet, darf aus heutiger Sicht erheblich bezweifelt werden.

Guy Franquinet | Di., 21. März 2017 - 03:32

Populismus ist in der Politik überall. Bring mir einen Politiker, der sich noch nie populistisch geäussert hat.

henry sawallisch | Di., 21. März 2017 - 14:32

Im Zweifel war Wilders wohl für viele Wähler eine, auch äusserlich,etwas zu schillernde Persönlichkeit. Die meisten Bürger wählen in solchen Situationen doch eher den angeblich seriöseren Kandidaten,der dann auch noch die geignete politische Vorlage von Erdogan serviert bekam. Trotzdem hat Wilders allein durch seine postuliertenThemen,(u.a Einwanderung,Islamisierung),eine Menge Stimmen dazugewonnen. Ich sah ihn vor kurzem in einem Interview. Er brachte dort ,eine meiner Meinung nach, sehr kluge und stimmige Analyse zur Situation der holländischen Gesellschaft. Insbesondere die Gefahr, die ein sich ungehindert ausbreitender Islamismus für eine freiheitliche Gesellschaft darstellt. Wenn das Populismus ist,dann gute Nacht europäische Demokratie.
Für unseren ''deutschen Herbst'' befürchte ich das der gute deutsche Wahlbürger, aus Angst vor Veränderung die GroKo 2.0, mit Euro-Schulz als weiteren Laiendarsteller, zu einem weiteren Trauerspiel bitten wird.-Es wird jedenfalls teuer...

Werner Schick | Mi., 22. März 2017 - 17:29

Werter Herr Kneip, sie haben das aufgeführte Schmierentheater der Herren Rutte und Erdogan sehr gut durchschaut. Es hatte nur einen Zweck, Hr. Wilders möglichst wenige Stimmen zukommen zu lassen. Es überrascht immer wieder, wie einfach sich Wähler von solch durchsichtigen Mannövern in die Irre führen lassen. Das Ergebnis wäre möglicherweise ein anderes, hätte der Wähler sich gefragt: Wem nützt es und er wäre darauf gekommen, dass die Nutznieser die beiden Hauptdarsteller sind und nicht der Wähler selbst. Bisher hatte Hr. Rutte einen Koalitionspartner, nun werden es mindestens 3 sein, die an der Regierungsbildung beteiligt werden müssen. Es könnte durchaus sein, dass sich die Wahlmanipulation bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen als Pyrrhussieg herausstellt.