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(picture alliance) Auf die nächsten Zehn - Klaus Wowereit kam, sah und siegte wieder

Berliner Abgeordnetenwahl - Wowereit auf Lebenszeit

Berlin hat gewählt. Wowereit wird weitere fünf Jahre Berlin regieren. Renate Künast ist geschlagen und wird in die Bundespolitik zurückkehren. Derweil entern die Piraten zum ersten Mal ein Landesparlament. Ein Kommentar

And the Winner is…? Wowi. Wer sonst. Er hat es geschafft – wieder einmal. Sitzt weitere fünf Jahre „wie ein dicker, gemütlicher Kater im Roten Rathaus. Aber am Ende frisst er sie alle“, wie es der Spiegel süffisant formulierte. Und ja, er hat sie gefressen. Die Medien, die politische Konkurrenz und die Kritiker diesseits und jenseits der eigenen Parteigrenze. Vor allem aber die Künast hatte er zum Fressen gern. Mit 28,3 Prozent liegt seine Partei vor der CDU (23,4 Prozent) und den Grünen (17,6 Prozent). Dabei sah die politische Welt Berlins noch vor einem dreiviertel Jahr alles andere als Wowi aus.

Damals, als Renate Künast, getragen von einer Welle grüner Euphorie, ihren Hut in den Berliner Ring warf, glaubten viele an einen spannenden Zweikampf zwischen der kantigen Künast und dem wohligen Wowereit. Zwischenzeitlich lag die grüne Spitzenfrau sogar vor dem gefühlten Bürgermeister auf Lebenszeit, der es wie kein anderer schaffte, (s)eine Stadt an (s)eine Person zu koppeln. Doch der vermeintlich spannende Zweikampf entpuppte sich schließlich als müde One-Man-Show. Ein Alleingang eines Mannes, an dessen Seite die politische Konkurrenz zu einer scheinfälligen Kandidatenschau mutierte. Der Berliner Wahlkampf war und blieb der Kampf eines Einzelnen.

Für den 57-jährigen Juristen Wowereit ist es bereits der dritte Sieg in Serie, nachdem er vor zehn Jahren mit Hilfe eines erfolgreichen Misstrauensvotums an die politische Spitze Berlins gelangte. Damals regierte er kurzfristig zusammen mit den Grünen und schloss sich nach der Wahl im Herbst desselben Jahres gegen großen innerparteilichen Widerstand mit der PDS zusammen. Seither regiert Rot-Rot über Berlin. Seit heute 18 Uhr ist es jedoch amtlich: Eine dritte Auflage des rot-roten Regierungsbündnisses wird es nicht geben.

Infolge des durchschnittlichen Abschneidens der Linken (11,7 Prozent) und des erstmaligen Einzugs der Piratenpartei (8,9 Prozent) in das Berliner Abgeordnetenhaus gehört das rot-rote Berliner Projekt nun der Vergangenheit an. Damit ist die Linke neben der FDP (1,8 Prozent) die Verliererin des ansonsten überraschungsfreien Wahlabends. Fest steht: Für die FDP ist das Wort Krise mittlerweile zu einem Euphemismus verkommen. Die Partei befindet sich längst im freien Fall, ist wohl in der schwierigsten Situation ihrer Parteigeschichte. Denn für eine liberale Partei ist der Nichteinzug in das Abgeordnetenhaus eines Stadtstaates der Gau. Denn: Ist die FDP jetzt nicht mal mehr in der Lage, ihre urbane Wählerschaft zu mobilisieren, dann stellt sich spätestens hier die Existenzfrage.

Die SPD setzt ihren Positivtrend fort. Olaf Scholz in Hamburg und Erwin Sellering in Mc-Pomm haben bereits gezeigt: Der Langzeitpatient SPD hat sich zu einem Vorzeigerekonvaleszenten entwickelt. Sie kann wieder Wahlen gewinnen. Wowereit bestätigt diesen Trend. Bundespolitisch könnte das bedeuten, dass aus der Troika Steinbrück-Steinmeier-Gabriel möglicherweise ein Spitzenquartett wird. Neben der SPD sind die Piraten die Gewinner dieses Wahlsonntags. Mit neun Prozent entern sie das Landesparlament und setzen ein deutliches Signal für den Bund. Auch außerhalb Berlins wird wohl wieder mit den Freibeutern zu rechnen sein.

Und die Grünen? Die Kämpfernatur Künast hat sich letztlich an Wowereit die Zähne ausgebissen. Künast muss sich eingestehen, dass für sie die Rolle als Landesmutter eine Nummer zu groß war. Auch wird sie sich wahltaktische Fehler vorwerfen lassen müssen. Denn mitten im großen TV-Duell mit Klaus Wowereit hat die grüne Herausforderin den Zweikampf faktisch selbst abgeblasen, indem sie einer möglichen Koalition mit der CDU eine klare Absage erteilte. Inhaltlich konnten Künast und die Ihrigen nicht überzeugend vermitteln, was sie wirklich anders machen wollten. Im Vergleich zur Wahl in Baden-Württemberg fehlte in Berlin auch eine nötige Wechselstimmung, die die Grünen hätten aufgreifen können. Sie boten dem Wähler dann auch keine urbane Vision an und schafften es lediglich in Detailfragen, Unterschiede zur Regierung in Berlin erkennen zu lassen. Aber auch wenn letztlich das kühne Wahlziel, Wowereit als Bürgermeister abzulösen, scheiterte, ist das zweistellige Wahlergebnis für die grüne Partei doch ein bemerkenswerter Erfolg.

Die Berliner Linke hadert derweil mit ihrer bundespolitischen Spitze. Man habe sich nicht ausreichend unterstützt gefühlt, heißt es in der Partei. Querelen um den Mauerbau und Glückwunschschreiben an Fidel Castro haben die Berliner Genossen vermutlich einige Prozentpunkte gekostet.

Die CDU stabilisiert sich unterdessen und der Spitzenkandidat Henkel feiert das Ergebnis erwartungsgemäß als Erfolg, habe man doch das Wahlziel, Rot-Rot zu verhindern, erreicht. Eine solche Aussage aber lässt tief blicken über den derzeitigen Zustand der Partei. Reine Verhinderungspolitik kann nicht der Anspruch einer Volkspartei sein. Insgesamt aber geht die CDU in den Landtagswahlen den typischen Weg einer Partei, die an der Regierung beteiligt ist.

Die Strategie der SPD ging indes auf. Sie setzte voll und einzig auf ihren Spitzenkandidaten. Der inhaltsschwache Wowi-Wahlkampf, in dessen Verlauf 2000 Wowi-Bären eine neue Heimat fanden, reichte aus, um erneute fünf Jahre den Berliner Bürgermeister zu stellen. Die SPD hatte keine Vision. Brauchte sie auch nicht, sie hat schließlich Wowereit. Er, der wie kein Zweiter für Berlin steht, wusste, wie der Berliner an der Wahlurne abzuholen ist. Sein Credo „Wowereit ist Berlin und Berlin ist Wowereit“ hat letztlich auch seine Anhängerschaft überzeugt. Längst steht er auf einer Stufe mit dem Brandenburger Tor oder der Siegessäule, verkörpert Großstadt gleichermaßen wie Provinz, spricht in Marzahn ebenso den von der Gesellschaft Abgehängten an, wie in Mitte den gentrifizierten Akademiker.

Doch wie geht es nun weiter? Alles läuft auf eine rot-grüne Koalition hinaus. Künast hatte sich schließlich bereits im Kandidatenduell vor laufender Kamera angeboten. Auch die meisten Berliner bevorzugen laut Umfragen ein rot-grünes Bündnis. So wird es dann auch kommen. Künast wird den Berliner Grünen den Rücken kehren und in die Bundespolitik zurückgehen, indes Rot-Grün sich zu Sondierungsgesprächen einfinden wird, an deren Ende doch sehr wahrscheinlich eine rot-grüne Koalition mit Wowereit als neuem alten Regierungschef an der Spitze steht.

Gewinner des Abends ist aber auch das Berliner Wahlvolk. Es muss die politische Klasse nicht länger hängen sehen. Die Plakate, sie werden wieder eingesammelt, die vielen Wowis, die Kinder herzen oder wahlweise alte Leute über die Straße führen und die vielen Künasts, die uns mit gequälter Miene von riesigen Plakaten anzulächeln versuchen. Und während die letzten Floskeln diverser Generalsekretäre den medialen Äther passieren, im Ersten bereits die Lindenstraße läuft und Wowereit sein Siegerlächeln ausklingen lässt, geht der Berliner Wähler mit dem Gefühl ins Bett, seiner Bürgerpflicht nachgegangen zu sein und der Gewissheit, dass letztlich doch irgendwie alles beim Alten bleibt.

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