Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Winfried Kretschmann - Außen grün, innen schwarz

Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg können die Grünen stärkste Partei werden. Erreicht hat das Landesvater Winfried Kretschmann, der es sogar beim Streitthema Flüchtlingspolitik schafft, sich auf keine Seite zu schlagen

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Jetzt hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann also auch noch Horst Seehofer in seine weiten Arme geschlossen. Ausgerechnet in einem Interview mit der grünen Hauspostille taz nahm er seinen bayerischen Amtskollegen Horst Seehofer gegen Kritik aus der eigenen Partei in Schutz. Viele Grünen halten den CSU-Politiker für einen Gottseibeiuns, für einen Schreibtischtäter, der, so Fraktionschefin Katrin Göring Eckardt, den fremdenfeindlichen „Mob“ ermuntere.

Nicht so der Wahlkämpfer aus Stuttgart. Der findet seine Parteifreunde „völlig überspannt“, watscht sie öffentlich ab und findet zugleich lobende Worte für seinen Duz-Freund Seehofer: „Wenn ich sehe, was die Bayern an Integrationspolitik machen, wie sie die Leute unterbringen, daran ist nichts zu kritisieren.“ Selbst wenn er dessen Forderung nach einer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen nicht teile, sei doch offensichtlich, dass sich Bayern nicht abschotte.

Kretschmann, der strahlende Wahlsieger?
 

Fast scheint es, als könne sich Winfried Kretschmann mittlerweile alles erlauben, für Merkel und ihre Flüchtlingspolitik beten, deren schärfsten Kritiker Seehofer loben, die eigene Partei im Bundesrat mit der Zustimmung zu neuen sicheren Herkunftsländern düpieren. Er kann mit der Autoindustrie kuscheln und einen hoch umstrittenen unterirdischen Bahnhof bauen. Er wird trotzdem oder vielleicht gerade deshalb am kommenden Sonntag der strahlende Wahlsieger in Baden-Württemberg sein und Geschichte schreiben. Laut Umfragen liegen die Grünen dort mittlerweile vor der CDU, sie können stärkste Partei werden. Kommt es am Wahltag so, dann fiele das Land endgültig in grüne Hände. Oder sind die baden-württembergischen Grünen in Wirklichkeit in schwarze Hände geraten?

Es war schon eine riesige Überraschung, das Winfried Kretschmann vor fünf Jahren Ministerpräsident von Baden-Württemberg wurde. 0,9 Prozentpunkte lagen die Grünen damals vor der SPD. Vier Mandate mehr als CDU und FDP brachten SPD und Grüne zusammen, so dass die CDU in ihrem Stammland nach 58 Jahren aus der Staatskanzlei in der Villa Reitzenstein ausziehen und die Regierungsgeschäfte ausgerechnet an die verhassten Grünen übergeben musste.

Drei Dinge machten den Wahlerfolg vor fünf Jahren möglich. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima vierzehn Tage vor der Wahl, der eskalierte Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 und ein selbstherrlicher, aber wenig charismatischer Amtsinhaber. Dass Winfried Kretschmann polarisieren kann, hat er im Wahlkampf 2011 gezeigt. Um sich anschließend völlig neu zu erfinden und fast bruchlos in die Rolle des Landesvaters zu schlüpfen.

Der letzte grüne Superstar
 

Manches erinnert an den letzten grünen Superstar. Auch Joschka Fischer war das Programm seiner Partei weitgehend egal und als der Wahlkampf nahte, ersann er den erfolgreichen Slogan „Außen Minister, innen grün“. Dementsprechend würde zu Winfried Kretschmann die Parole „Außen Schwarz, innen grün“ passen oder vielleicht doch eher umgekehrt.

Es gibt viele Versuche, das Phänomen Kretschmann zu erklären. Seine Bescheidenheit, seine Bodenständigkeit, seine Bereitschaft auch mal „Nein“ zu sagen, statt jedem alles zu versprechen. Seine Regierung ist skandalfrei geblieben, die SPD musste sich widerstandslos in die Juniorpartnerrolle fügen. Veränderungen in der Landespolitik vollzog er nur sehr dosiert, etwa in der Verkehrs- oder Bildungspolitik. Im Mittelpunkt stand immer der Konsens, so wurden in Baden-Württemberg zwar die umstrittenen Gemeinschaftsschulen eingeführt, gleichzeitig bekannte sich Kretschmann zum Gymnasium. Und neben dem Abitur nach acht Jahren, mit dessen Einführung sich die CDU den Protest vieler Eltern eingehandelt hatte, gibt es auch wieder G9-Schulen. Gleichzeitig konnte die grün-rote Landesregierung dank sprudelnder Steuereinnahmen in dem wirtschaftsstarken Industrieland alle Interessengruppen großzügig bedienen. Wobei davon nicht nur die Klientele von Grünen und Roten profitierten, auch die Ausgaben für den Straßenbau stiegen auf Rekordniveau.

Geräuschloses und konsensuales Regieren
 

Dass Kretschmann im Wahlkampf so erfolgreich ist, liegt auch an einem schwachen CDU-Kandidaten und an dem weitgehenden Verlust der Strategiefähigkeit bei den baden-württembergischen Christdemokraten. Ein eigenes politisches Projekt für sein Land hingegen hat Kretschmann nicht, schon gar kein grünes. Geräuschloses und konsensuales Regieren ist bei ihm stattdessen zum Selbstzweck geworden. Das kommt bei den Wählern an, vor allen bei den bürgerlichen.

Die Frage, wie die Landtagswahlen ohne Flüchtlingskrise ausgegangen wären, ist natürlich müßig. Allerdings lagen Grüne und SPD in allen Umfragen vor September 2015 etwa gleichauf mit CDU und FDP, die AfD spielte keine Rolle. Merkels Politik der offenen Grenzen und der Aufstieg der AfD ließ einen Wahlsieg von Grün-Rot zunächst sogar in weite Ferne rücken. Doch dann nutzte Kretschmann den CDU-internen Streit um die Flüchtlingspolitik und die Verunsicherung der CDU-Basis und lieferte sein Wahlkampf-Meisterstück ab. Er präsentierte sich als zugleich menschlicher und realpolitischer Landesvater. Unbeirrbar stellte er sich an die Seite der Kanzlerin, selbst dann noch, als ihr Scheitern auf dem letzten EU-Gipfel unübersehbar wurde. Er lobt unermüdlich die Flüchtlingshelfer im Lande und ließ zugleich die Asylrechtsverschärfungen der Großen Koalition im Bundesrat passieren.

Jeder Versuch der baden-württembergischen CDU, im Wahlkampf gegen die Grünen und gegen Kretschmann zu polarisieren, stieß hingegen ins Leere. Im Gegenteil machte dies nur offensichtlicher, wie tief der Riss in der CDU mittlerweile ist, wie sehr die Partei zwischen Merkels Flüchtlingspolitik und der AfD zerrieben wird und wie hilflos der Spitzenkandidat Guido Wolf im Wahlkampf taumelt. Die Antwort auf die Frage, ob lieber ein blasser Christdemokrat oder ein bodenständiger Grüner das Land regieren solle, fiel bei den Wählern am Ende eindeutig aus. Die Verteidigung von Horst Seehofer in der Flüchtlingspolitik war für Kretschmann dann nur noch das i-Tüpfelchen eines siegesgewissen Ministerpräsidenten, der sich offenbar alles erlauben kann.

Die Ökologie wird zur Ersatzreligion
 

In der Flüchtlingskrise wird allerdings auch deutlich, was als strategische Matrix über dem grünen Pragmatismus von Winfried Kretschmann liegt. Es ist das eigentliche Erfolgsrezept der baden-württembergischen Grünen. Kretschmann hat sie in seinem Landesverband von einer Bekenntnispartei, die die Gesellschaft verändern will, zu einer Wertepartei umgebaut. Statt den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft propagiert er nun Arm in Arm mit der Automobilindustrie des Landes die „vierte industrielle Revolution“. Statt auf Umverteilung setzt er auf die Versöhnung von Ökologie und Wohlstand. So kann Kretschmann mit seinem zentralen Wahlkampfslogan „Grün aus Verantwortung“ tief in konservative und christliche Wählermilieus eindringen. Auf die zielt dann auch ein Satz wie „Ich bete jeden Tag, dass die Kanzlerin gesund bleibt“, der auf traditionelle Grün-Wähler und Umwelt-Aktivisten eher verstörend wirkt. Die Ökologie wird so zur Ersatzreligion, das „ö“ zum neuen „c“, und erst dies macht es Kretschmann dann auch möglich, auch noch das letzte Alleinstellungsmerkmal der CDU im Südwesten zu kapern und die Grünen gegen eine modernisierungsunfähige CDU als „neue Baden-Württemberg-Partei“ zu feiern.

Interessant wird sein, wie sich ein Erfolg von Winfried Kretschmann auf die Grünen insgesamt auswirken wird. Einerseits wäre ein Wahlsieger Kretschmann der neue starke Mann in der Partei. Andererseits haben vor allem die Bundespartei und die Bundestagsfraktion Kretschmanns politischen Kurs eher argwöhnisch verfolgt. In Berlin setzt man weiter auf die klassische grüne Strategie und gibt sich dafür mit Wahlergebnissen um die zehn Prozent zufrieden. Ein Richtungsstreit zwischen dem Stuttgarter Bewahrer und den Berliner Weltverbesserern wird da unvermeidbar. Denn eigentlich sind die Grünen längst zwei Parteien.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.