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() Tatort Ausschuss
Nachts im Reichstag: Tränen, Sabotage und ein Handgemenge

Vor der Verabschiedung des neuen Atomgesetzes, das längere Laufzeiten für Atomkraftwerke vorsieht, hat es Ende Oktober im Reichstag eine handfeste Rauferei gegeben. Bundestagsabgeordnte der Linkspartei wollten die Verabschiedung des Atomgesetzes mit Gewalt blockieren. Dies berichtet das Magazin Cicero in seiner Dezember-Ausgabe. Zudem wurden Stromkabel geklaut und Saaldiener aufgehalten. Die Bundestagspolizei musste eingreifen. Dazu flossen Tränen.

Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich im Deutschen Bundestag schier unglaubliche Geschichten über eine turbulente Nachtsitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erst wurde dort stundenlang über Geschäftsordnungsanträge gestritten, dann verschwand die Ausschussvorsitzende weinend auf der Toilette. Die Kopiergeräte im Ausschusssekretariat waren plötzlich nicht mehr benutzbar, weil unbekannte Saboteure die Stromkabel geklaut hatten. Und kurz vor Mitternacht kam es auf den Fluren des Reichstags auch noch zu Handgreiflichkeiten. Die Bundestagspolizei musste einschreiten. Vordergründig ging es um die Energiepolitik der Bundesregierung. Tatsächlich aber ging es nur um Fristen. SPD, Grüne und Linke wussten, dass es nicht in ihrer Macht stand, die von der Koalition versprochene Aufkündigung des Atomausstiegs zu verhindern. Dazu fehlte ihnen die Mehrheit. Also hielten sie es wie die Atomgegner rund um Gorleben: Sie versuchten erst mit Worten, eine Gruppe Linker später buchstäblich: nach Leibeskräften, den vorgeschriebenen Weg des Gesetzentwurfs vom Ausschuss in den Plenarsaal zu blockieren. Eine Handhabe dazu bot die Geschäftsordnung des Bundestags (GOBT). Die sieht nämlich vor, dass zwischen der Beratung im Ausschuss und der Verabschiedung im Plenum eine gewisse Frist liegen muss. Ein Gesetz kann erst „am zweiten Tag nach Verteilung der Beschlussempfehlung und des Ausschussberichts“ abschließend beraten und beschlossen werden. Die Sitzung des Umweltausschusses begann am späten Dienstagnachmittag. Spätestens um 24 Uhr musste also das Votum des Gremiums als Drucksache in den Fächern der Bundestagsabgeordneten liegen, damit das Gesetz wie geplant am Donnerstag beraten und verabschiedet werden konnte. Die Opposition spielte auf Zeit: Sie stellte einen Geschäftsordnungsantrag nach dem anderen, und einer nach dem anderen wurde von der Koalitionsmehrheit abgeschmettert. Zeitweise wusste man gar nicht mehr genau, welche Details gerade verhandelt wurden. Hinzu kam, dass die beiden Kopiergeräte im Ausschusssekretariat durch einen Sabotageakt gezielt lahmgelegt worden waren. Unbekannte hatten nicht nur die Stecker gezogen, sondern auch die Verbindungskabel mitgenommen. Zum Schluss verlor die Ausschussvorsitzende Eva Bulling-Schröter (Die Linke) Übersicht und Fassung. Sie lief weinend aus dem Raum, verschanzte sich auf der Damentoilette und ward nicht mehr gesehen. Eine Zeit lang stockte die Verhandlung. Dann aber forderten die Vertreter der Regierungsmehrheit energisch, die Beratungen fortzusetzen. Bulling-Schröters Stellvertreter, der FDP-Abgeordnete Horst Meierhofer, übernahm den Vorsitz und brachte die Sache rigoros zum Ende. Weitere Anträge zur Geschäftsordnung wurden nicht mehr zugelassen, die Opposition niedergestimmt. „Was wir am Dienstag im Umweltausschuss erlebt haben, war ein Putsch gegen die Rechte der Opposition“, wetterte zwei Tage später der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck im Plenum. Sein Fraktionschef Trittin stieß ins gleiche Horn: „Sie haben die Parlamentarier in ihren Rechten behindert!“, rief er dem CDU-Abgeordneten Peter Altmaier zu. „Sie haben die Vorsitzende hinausgemobbt! Sie haben sich wie im ukrainischen Parlament aufgeführt!“ Richtig ukrainisch ging es allerdings erst nach der Ausschusssitzung zu. Eine Gruppe von Linken-Abgeordneten, deren Anführer, ein Werkzeugmacher aus Jena, wie Augenzeugen später berichteten, „stark nach Alkohol roch“, stellte sich den Saaldienern des Bundestags in den Weg, als diese die Fächer mit den Drucksachen füllen wollten. Es kam zu Handgreiflichkeiten, die Bundestagspolizei musste einschreiten. Die Sache wurde zwar aktenkundig, aber bislang unter der Decke gehalten. So kam es, dass der Bundestag doch noch – wie geplant – den Ausstieg vom Atomausstieg beschließen konnte. Allerdings hatten auch Abgeordnete der Koalition hinterher Zweifel, ob das Verfahren rechtmäßig war und das Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Das Tonband der turbulenten Nachtsitzung wird einstweilen nicht gelöscht. Es wurde auf einstimmigen Beschluss des Ältestenrats unter Verschluss genommen, weil es später, bei der zu erwartenden Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, möglicherweise als Beweismaterial gebraucht wird. (hp) Lesen Sie weitere Insider-Geschichten aus der Hauptstadt in der aktuellen Ausgabe des Cicero-Magazins. Ab Mittwoch, den 22. Dezember, am Kiosk erhältlich.

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