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netzpolitk.org/Twitter

Journalisten als Landesverräter - Es läuft etwas grundfalsch in der Demokratie

Generalbundesanwalt Harald Range ermittelt gegen zwei Journalisten des Blogs „netzpolitik.org“– wegen Landesverrats. Seit der Spiegel-Affäre und dem Cicero-Urteil hat es keinen vergleichbaren Eingriff in die Pressefreiheit gegeben. Der Fall wirft auch die Frage über die Rolle von Staatsanwaltschaften auf. Ein Kommentar

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Es ist noch nicht lange her, da verweigerte der Bundestag den Berichterstattern von netzpolitik.org noch die Akkreditierung: Jene Blogger, die die Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses nahezu vollumfänglich dokumentierten, mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, sie seien eben keine echten Journalisten.

Was die Verantwortlichen von netzpolitik.org nun erleben müssen, hat es seit der „Spiegel“-Affäre 1962 und dem „Cicero“-Urteil 2007 nicht mehr gegeben. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Chefredakteur Markus Beckedahl, Redakteur André Meister und eine weitere unbekannte Quelle. Der Vorwurf: der Verdacht auf Landesverrat (§ 94 StGB), wie eine Pressesprecherin der Bundesanwaltschaft auf Cicero-Anfrage bestätigte.

Hintergrund ist ein als „Verschlusssache – vertraulich“ eingestuftes Papier des Bundesverfassungsschutzes, aus dem netzpolitik.org am 25. Februar und am 15. April 2015 Auszüge veröffentlichte. Darin ging es um den Aufbau einer geheimen Referatsgruppe, die das Internet überwachen und soziale Netzwerke auf die Aktivitäten von Radikalen und Extremisten analysieren soll.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen erstattete daraufhin Strafanzeige beim Landeskriminalamt in Berlin. Das ist an sich nicht ungewöhnlich: Wenn Sicherheitsbehörden undichte Stellen entdecken, kommt es in der Regel zur Anzeige gegen die eigenen Mitarbeiter beziehungsweise gegen unbekannt. Hier offenbart sich dennoch eine gravierende Gesetzeslücke – denn Whistleblower sind in Deutschland noch immer ihren Dienstherren sowie der Strafjustiz ausgeliefert. Daran haben weder die Snowden-Enthüllungen noch der Koalitionsvertrag der Großen Koalition, in dem man sich ja auf einen Hinweisgeberschutz geeinigt hatte, bislang etwas verändert.

Ob jedoch auch gegen jene vorgegangen wird, die diese Dokumente veröffentlichen, ist eine ganz andere Sache. Hier obliegt das weitere Handeln den Ermittlungsbehörden. Generalbundesanwalt Harald Range hätte sich also ganz anders entscheiden können: Akte zu, Sache erledigt – wie er das in der NSA-Affäre immer wieder getan hat.

Im Fall des ausgespähten Merkel-Handys stellte er im Mai 2014 die Ermittlungen ein, im Fall der NSA-Spitzeleien gegen weitere Regierungsmitglieder gab er vor einer Woche sein Nichtstun bekannt. Der Grund: Es fehlten „gerichtsfeste Beweise“. Das klang für Außenstehende erstaunlich: Bei Wikileaks sind die Ausspähziele für jedermann einsehbar. Telefonnummern, Namen, jede Menge Beweise. Der Spiegel wiederum hat zahlreiche Snowden-Dokumente veröffentlich. Range hat sich auch niemals bemüht, Edward Snowden selbst als Zeugen zu hören. Echter Ermittlungswillen sieht anders aus.

Landesverrat – das ist eines der schärfsten Schwerter, die das Strafgesetzbuch kennt. Ihn begeht, wer ein Staatsgeheimnis veröffentlicht oder an eine fremde Macht mitteilt, und damit „die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ herbeiführt. Es wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit lebenslanger Haft.

Wo bei den „Netzpolitik“-Veröffentlichungen die Straftat sein soll, erschließt sich nicht: Ist es tatsächlich staatsgefährdend, wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass der Bundesverfassungsschutz nun auch Facebook durchsucht?

„Ich schwanke zwischen Ritterschlag und der Frage, ob das im Ernstfall Knast bedeuten könnte“, sagte Beckedahl bei N24. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas nach dem 'Cicero'-Urteil von 2007 möglich sei.“ Damals hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam wegen eines Artikels über den Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi Ermittlungen wegen Geheimnisverrats gegen dieses Magazin eingeleitet. Das Bundeskriminalamt durchsuchte die Redaktionsräume. Das Bundesverfassungsgericht jedoch erklärte die Aktion für unrechtmäßig – und stärkte die Pressefreiheit.  

Die wird nun erneut mit Füßen getreten. Umso mehr, als Harald Range bisher offenbar auch noch nicht im Fall der Ausspähung des „Spiegel“ durch den US-Geheimdienst CIA tätig geworden ist. Die Bundesregierung hatte vom Aushorchen der Journalisten zwar Kenntnis, stellte jedoch keine Anzeige – an sich schon ein unerhörter Vorgang. Das holte das Hamburger Nachrichtenmagazin dann selbst nach. Warum die Bundesanwaltschaft noch nicht ermittelt, konnte die Behörde am Abend nicht mehr beantworten.

Harald Range legte sich nicht mit den Starken an: den Geheimdiensten. Er geht gegen die Schwächsten vor: zwei Blogger, die überwiegend von Spenden und Sponsoren leben. Damit beweist er ein seltsames Verständnis von Rechtsstaatlichkeit.

Und er gibt alten Verschwörungstheorien neue Nahrung: dass die Bundesanwaltschaft politischem Druck von Seiten der Bundesregierung ausgesetzt ist. Oder dass sie – mindestens – in vorauseilendem Gehorsam handelt.

Auch das ist Rechtslage: Justizminister dürfen Staatsanwaltschaften Weisungen geben. Sie dürfen sie zu Ermittlungen anstacheln oder sie zur Untätigkeit zwingen. Der Richterbund beklagt seit Jahren, dass Staatsanwälte politischem Einfluss unterliegen und nicht unabhängig sind.

Die NSA-Affäre sollte Anlass sein, dieses Weisungsrecht einmal grundsätzlich zu hinterfragen. Wenn Bürger zu Verrätern werden, läuft etwas grundfalsch in unserer Demokratie.

Update, 31. Juli, 15:30 Uhr: Der Generalbundesanwalt will die Ermittlungen gegen die beiden Blogger zunächst nun doch ruhen lassen. Harald Range sehe mit „Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“  von „nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab“, teilte er der Frankfurter Allgemeine am Freitagnachmittag mit. Ein externer Sachverständiger solle zunächst prüfen, ob es sich bei den veröffentlichten Informationen überhaupt um Staatsgeheimnisse handle: „Bis zum Eingang des Gutachtens wird mit den Ermittlungen innegehalten“.

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