- Die zehn wichtigsten Ergebnisse der Europawahl
Was muss man über die Europawahlen wissen? Wer wird neuer Kommissionspräsident? Unser Brüssel-Korrespondent Eric Bonse gibt einen Überblick
Wahlbeteiligung: Sie galt als zentraler Test. Wäre sie noch schlechter ausgefallen als 2009, wäre das Europaparlament geschwächt, das Demokratie-Experiment gescheitert. Doch das wurde knapp verhindert. Mit 43,09 Prozent lag die Wahlbeteiligung europaweit diesmal hauchdünn über dem letzten Mal (43 Prozent); Liberalen-Chef Guy Verhofstadt freute sich über eine „Trendwende“.
Spitzenkandidaten: Sie waren das große Novum in dieser Wahl. Martin Schulz für die europäischen Sozialdemokraten und Jean-Claude Juncker für die Konservativen sollten Europa ein Gesicht geben und die Massen mobilisieren. Dies ist ihnen nicht gelungen. Juncker wurde in Deutschland kaum gezeigt, Schulz ist in Frankreich krachend gescheitert. Die Spitzenkandidaten waren keine großen Zugpferde, um es vorsichtig zu sagen.
Kommissionspräsident: Juncker liegt vorn, auch wenn die konservative EVP deutlich geschwächt ist. Um zum Kommissionschef aufzusteigen, braucht er aber eine doppelte Mehrheit im Europäischen Rat und im Parlament. Das könnte schwierig werden. Bisher ist nicht einmal sicher, dass ihn die EU-Chefs für das Brüsseler Amt vorschlagen. Im Parlament braucht Juncker nicht nur die Liberalen, sondern auch die Zustimmung der Sozialdemokraten - also eine Große Koalition.
Rechte: Sie sind die klaren Sieger dieser Europawahl. In Frankreich und Großbritannien liegen sie vorn, in Deutschland und Dänemark legen sie kräftig zu. Auch in den Niederlanden und in Österreich schneiden die EU-Gegner gut ab. Immerhin war Geert Wilders in Den Haag kein Sieg vergönnt - sonst könnten die Euroskeptiker tatsächlich „Brüssel stürmen“, wie die britische FT meldet.
Weimarer Verhältnisse? Nein, die Rechten werden das neue Europaparlament nicht lahmlegen können. Nach jetzigem Stand bleiben die Liberalen drittstärkste Fraktion, die Rechten aus Frankreich und den Niederlanden bringen nicht genug Abgeordnete zusammen. Allerdings könnte sich dies noch ändern, wenn sich Wilders & Co. mit versprengten Rechten aus Italien und anderswo zusammentun.
Deutschland: Mit bangem Blick schauen viele EU-Politiker nach Deutschland. Der überraschend klare Wahlsieg der AfD nährt die Sorge, die Führungsnation Europas könne nun doch noch euroskeptisch werden. Manch einer sieht auch schon erste Zeichen für einen Machtverfall bei Merkel. Denn sie ist nun auf Gedeih und Verderb an die SPD gekettet und kann nicht mehr mit der FDP zusammengehen.
Großbritannien: Nach dem Wahlsieg der UKIP dürfte Premier David Cameron noch mehr EU-Sonderrechte fordern. Cameron ist geschwächt und könnte nun in Brüssel wild um sich schlagen. Vor allem für Merkels Kandidaten Juncker könnte dies unangenehm werden. Cameron will auf jeden Fall verhindern, dass der Luxemburger Kommissionspräsident wird.
Frankreich: In Paris ist das schlimmstmögliche Szenario wahr geworden. Der rechtsextreme Front National ist stärkste Partei, die regierenden Sozialisten sind auf Platz drei abgeschlagen. Dieses vor allem innenpolitisch bedingte „Erdbeben“ ist nicht nur für die europäischen Sozialdemokraten und ihren Frontrunner Martin Schulz ein Debakel. Es dürfte Frankreichs Einfluss in der EU weiter mindern. Der sozialistische Präsident François Hollande ist auf EU-Ebene nur noch ein Zwerg, keiner nimmt ihn mehr ernst.
Italien: Der neue Premier Matteo Renzi hat seinen ersten Test glänzend bestanden. Dem 39-jährigen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ist es gelungen, die Protestbewegung „Fünf Sterne“ des Komikers Beppe Grillo deutlich zu dezimieren. Italien steht in Brüssel nun besser da als Frankreich, auch wenn die EU-Gegner stark bleiben.
Griechenland: Alexis Tsipras und seine Genossen von der linken Syriza haben es geschafft, sie werden stärkste Partei in Griechenland. Die sozialdemokratische Pasok liegt am Boden. Sie wurde zusätzlich von der neuen sozialdemokratischen Partei To Potami unter Druck gesetzt. Ob nun auch die Regierung in Athen stürzt, bleibt aber abzuwarten. Eine Regierungskrise könnte die Finanzmärkte aufschrecken, die die Europawahl bisher erstaunlich gelassen hingenommen haben. Allerdings fordert Tsipras keinen Euro-Austritt; der einstige Bürgerschreck gibt sich neuerdings verantwortungsbewusst.
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