- Die CDU verliert die Städte
Die CDU hat in Bremen das schlechteste Ergebnis der vergangen fünf Jahrzehnte bei einer Bürgerschaftswahl eingefahren. Nun beginnt die Fehlersuche. Ein Punkt: Die CDU und ihr Verhältnis zu den deutschen Großstädtern.
Orange weht die Fahne der CDU über dem Konrad-Adenauer-Haus. Seit dem triumphalen Wahlsieg, den Ole von Beust vor ein paar Jahren in Hamburg feierte, gehört die Farbe zur Corporate Identity der Christdemokraten. Angela Merkel hat in Berlin zur Pressekonferenz geladen, um den Hauptstadtjournalisten zu erklären, was sie von dem Wahldebakel in Bremen hält: naturgemäß nicht viel. Die Optionen im Wahlkampf seien begrenzt gewesen, die Grünen auf ihrem Energiehöhenflug zu stark. Es gelte nun weiterzuarbeiten, so lautet der Appell der Parteivorsitzenden. Rita Mohn-Lührmann, bis Sonntag Spitzenkandidatin der CDU in Bremen, nickt dazu mit ernster Miene.
Doch so einfach wird die CDU nicht zur Tagesordnung übergehen können. Es war das schlechteste Wahlergebnis der CDU in Bremen seit 1959, „ein Schlag ins Kontor“, wie Thomas Strobl, Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg konstatierte. Nur 20,1 Prozent der der Wähler, die es am Sonntag in die Wahllokale zog, haben sich für die CDU entschieden. Die Grünen zogen währenddessen hoch zu Ross an den Konservativen vorbei – zum ersten Mal in der Geschichte von Landtagswahlen überhaupt.
Neben dem grünen Höhenflug drängt vor allem ein Problem der CDU wieder in den Vordergrund. Die CDU und ihr vertracktes Verhältnis zu den Großstädtern. Hermann Gröhe sprach noch am Wahlabend davon, dass die Union jetzt vor allem an der „Großstadt-Kompetenz“ arbeiten müsse. Auch Volker Kauder sprang im ARD-„Morgenmagazin“ auf den Zug auf und erklärte, die Partei müsse das Lebensgefühl in den Großstädten wieder besser treffen. Damals, als Ole von Beust in Hamburg die ewige Reihe der sozialdemokratischen Bürgermeister durchbrach, 2004 in der Hansestadt gar die absolute Mehrheit holte, da glaubte man in der CDU an den Durchbruch: „Auch in Großstädten können wir gewinnen“, jubelte Angela Merkel. Vorbei. Zwar steckt heute noch immer die orange Fahne auf dem Dach der Parteizentrale, in Hamburg jedoch regiert wieder ein Sozi – mit der absoluten Mehrheit. Und ein altes Problem hat die CDU wieder eingeholt.
An diesem Morgen hat man das Thema in den Gremiensitzungen offensichtlich ausgiebig diskutiert. „Die Großstadt wird ein Thema bleiben“, erklärte Merkel anschließend. Die Ansprechbarkeit der Menschen zwischen Land und Stadt sei zu unterschiedlich. „Wir werden aber niemandem hinterherrennen“, versicherte sie gleichzeitig. Es gelte vielmehr, Themen wie Wirtschaftlichkeit und Umwelt zusammen zu bringen. Es ist das, was die Grünen mit ihrem Engagement für die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen bereits geschafft haben – möchte man im Geist hinzufügen. Denn hier zeigt sich das Dilemma der Partei: Die CDU möchte vielleicht ihren Wählern nicht hinterherrennen, ihrem neuen Konkurrenten, den Grünen, hat sie sich aber spätestens seit Fukushima laut hechelnd an die Fersen geheftet.
Ein klares Profil ist wichtig, das weiß auch Merkel. Ein solches könnte helfen, auch in der vermaledeiten Großstadt die Wähler wieder auf Unionslinie zu bringen, so die Hoffnung. Das hatte die Arbeitsgruppe „Große Städte“ unter Jürgen Rüttgers allerdings schon im Jahr 2004 herausgefunden: Programmatische Erneuerung sei nötig, die Partei müsse dem „Urteil, der Geist und die Avantgarde stünden links, selbstbewusst entgegentreten", war damals das Rezept, um den erstarkenden Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Das aber ist bis heute nicht geschehen, weswegen Reiner Haselhoff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt auch eingesteht, dass man sich in den vergangenen Jahren von den guten Zwischenergebnissen habe beeindrucken lassen. Ein Wiederaufleben der Arbeitsgruppe „Große Städte“ halte er deswegen für eine sinnvolle Idee.
Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Milieus tut sich vor allem die CDU schwer. Zu Adenauers Zeiten konnte man den Menschen viel einfacher deutlich machen, was Christdemokratie bedeute. Nämlich „kein Sozialismus“, philosophiert Haselhoff. In Zeiten schwacher Parteienbindung, in denen der Wähler nicht mehr aufgrund einer ideologischen Einstellung sein Kreuz macht, sondern konkrete Sachverhalte zum Anlass nimmt, sein Wahlverhalten zu ändern, hat es eine Partei gut, die bei bestimmten Themen einen festen Stand hat. Die Grünen angreifen, gibt Kauder im Morgenmagazin denn auch als Parole aus. Denn die können sowohl ein festes Profil in ökologischer Hinsicht anbieten, als auch eine breite Themenaufstellung bei ökonomischen und bildungspolitischen, selbst verkehrstechnologischen Themen. Sowohl die alte Volkspartei CDU als auch die SPD haben es dagegen schwer, programmatisch Fuß zu fassen. Zu lange konnten sie sich auf ihre Ideologie berufen. Und so straucheln sie noch immer über ihre gewandelte Wählerschaft. Nur auf die Frage, wie die CDU die Grünen angreifen und ihr in Sachen Atomausstieg zugleich den Rang ablaufen will, auf diese Frage wird die Partei eine Antwort erst noch finden müssen.
Die CDU hat ihre Hochburgen nach wie vor in den ländlichen Regionen, erklärt Viola Neu, Politikwissenschaftlerin an der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Das ist so seit 1946.“ Damals wählte das Arbeitermilieu in den Städten sozialdemokratisch, heute macht etwa der Zuzug der jungen Kreativen in Städte wie Berlin der CDU zu schaffen. „Diese Menschen sind Mitte 20, sie haben andere Anforderungen an Politik. So manche Sozialstruktur in den Städten ist ein schwieriges Pflaster.“
Die Entwicklung ist also keineswegs neu, sie hat in diesem Jahr nur an besonderer Brisanz hinzugewonnen. Die Grünen sind stärker denn je, die CDU strampelt mehr denn je. Gleich in drei Städten ist in diesem Jahr ein Wahldebakel zu erwarten. Hamburg und Bremen liegen erfolglos hinter der CDU. In der Hauptstadt wird sowieso nur von dem Rennen zwischen Grün und Rot gesprochen, von dem Duell zwischen Künast und Wowereit. Frank Henkel, der Spitzenkandidat der Berliner CDU hingegen ist weitgehend unbekannt. Fast zwei Jahrzehnte regierte die CDU in Berlin, der langjährige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen verstand es virtuos, die ganz unterschiedlichen Gruppen der Großstadt zu binden, bis er über den Bankenskandal stürzte und von Klaus Wowereit aus dem Amt verdrängt wurde. Seitdem geht es mit der CDU in Berlin bei jeder Wahl tiefer in den Keller, eine Umkehr - außer Sichtweite. Wenn am 18. September 2011 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, stehen die Christdemokraten gegen Rot und Grün auf verlorenem Posten.
Ähnlich war es in Bremen. Noch vor wenigen Wochen wurde dort Rita Mohn-Lührmann als Hoffnungsträgerin der CDU gefeiert. Jetzt scheint ihre politische Karriere schon zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Die Kanzlerin hatte die Wahlverliererin aus der Hansestadt auf der Bühne noch per Handschlag und mit einem kurzen „Schöne Grüße“ entlassen. Nach der Pressekonferenz steht sie im schwarzen Kostüm in der Sonne vor dem Konrad-Adenauer-Haus und hält vergeblich nach ihrem Auto Ausschau. Sie zückt das Handy, vermutlich um ihren Fahrer anzurufen.
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