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Der verwaiste Dienstsitz

Der doppelte Dienstsitz in Bonn und Berlin kostet das Land jährlich Millionen Euro. Die Kanzlerin sieht man in ihrem Büro im Palais Schaumburg eher selten.

Die Tasche mit den wichtigen Akten des Tages hat Angela Merkel ausgepackt und ordentlich verschlossen auf dem kleinen Regal neben dem Schreibtisch abgelegt. Ihre erste Aufmerksamkeit gilt der großen Standuhr gleich gegenüber, die täglich aufgezogen werden muss. Dann drückt die Kanzlerin den Knopf auf der schwarz glänzenden Gegensprechanlage und lässt die Sekretärinnen im Büro auf der anderen Seite des Korridors wissen, dass sie eingetroffen ist. Noch ein, zwei Telefonate von den wuchtigen Wählscheibentelefonen aus, dann kommt der engste Kreis von Mitarbeitern zur Morgenlage und nimmt Platz in den messingfarbenen, leicht kratzigen Plüschpolstern vor den bis zur Decke reichenden Fenstern mit den Satinvorhängen. Genau so könnte es sich abspielen, würde die achte Regierungschefin der Republik es ihrem Vorvorgänger Konrad Adenauer gleichtun. Nicht in Berlin, sondern in Bonn. Denn im Palais Schaumburg, in Sichtweite zum Rhein, hat Merkel ihren zweiten Amtssitz, ganz offiziell, festgeschrieben im Bonn-Berlin-Gesetz. Wenn es die Kanzlerin also in den Westen verschlägt, wenn sie am alten Regierungssitz ein Refugium sucht, um zu telefonieren oder Gäste zu empfangen, kann sie sich in das 1860 erbaute weiße Schloss zurückziehen, in dem von 1949 an für fast drei Jahrzehnte maßgeblich die Politik der Bundesrepublik gestaltet wurde. Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger, Willy Brandt – sie alle regierten das Land aus diesem Zimmer im ersten Stock. Zwei Jahre ging auch noch Helmut Schmidt hier ein und aus, bis er 1976 in das neue Kanzleramt aus braunen Stahlstreben und Glas gleich nebenan umzog. Klein und bescheiden gab sich die Republik anfangs in ihrer Machtzentrale. Selbst wenn man die Einrichtungsstile von den Fünfzigern bis zu den Siebzigern ignorierte, das Haus gleicht mehr einem Landsitz des mittleren Adels als der Schaltzentrale einer westlichen Industrienation. Nicht von ungefähr kommt Erhards Ausspruch, es handele sich bei dem Palais um ein „stilvolles Arbeitsmuseum“. Erst recht wirkt dieser zweite Dienstsitz heute wie aus der Zeit gefallen, so als seien nicht nur die vielen Adenauer-Uhren auf allen Etagen stehen geblieben. Ganz anders das zweite weiße Haus, nur ein paar Meter rheinabwärts, die Villa Hammerschmidt. Das Gebäude präsentiert sich so, als empfange der Bundespräsident in einer halben Stunde ausländische Gäste. Lichthelle Räume, klare Eleganz, moderne Kunst. Kein Museum hier, sondern Repräsentationsstätte, auch wenn der zunächst letzte große Empfang 2006 stattfand, als Papst Benedikt XVI. zu Gast war. Übers Jahr gesehen ist der Präsident einmal im Monat in seinem Bonner Dienstsitz. Er lädt Gäste zum Essen oder verleiht verdienten Landsleuten Orden. Die Villa Hammerschmidt ist auch Refugium für das Staatsoberhaupt in diesem Teil der Republik. Hätte Horst Köhler beispielsweise nach der Eröffnungsfeier zur Kulturmetropole Ruhr Anfang des Jahres in Essen wegen des Schneegestöbers nicht nach Berlin zurückfliegen können, er hätte in der Villa Hammerschmidt übernachtet. Das Bett in der kleinen Dienstwohnung im ersten Stock jedenfalls war vorbereitet. Eine Mitarbeiterin des Präsidialamtes – mit halber Stelle – organisiert den zumeist leisen Alltag der Villa, lüftet, koordiniert die Handwerker, betreut das regelmäßig erscheinende Reinigungsteam. In dem großen Park arbeiten zwei Gärtner. Zur Kernmannschaft gehört ein Fahrer, der den Präsidenten im Westen fährt, der aber auch mit Hand anlegt, wenn irgendwo Glühbirnen ausgewechselt werden müssen. Solche Dinge werden im Palais Schaumburg von den Mitarbeitern des Entwicklungshilfeministeriums nebenan übernommen. Im ehemaligen Verwaltungstrakt arbeiten noch 30 Mitarbeiter des Kanzleramtes. Sie sind zuständig für Eingaben und Petitionen. Die Kanzler waren seit dem Umzug an die Spree eher selten da. Gerhard Schröder zog es nach dem Wechsel nach Berlin 1999 wenig in sein Domizil am Rhein, obwohl er nach seinem Wahlsieg im Jahr zuvor zeitweilig sogar im Palais Schaumburg übernachtet hatte, weil Helmut Kohl im Kanzlerbungalow geblieben war. Auch seine Nachfolgerin kommt nicht häufig vorbei. Es ist ruhig geworden in den alten Zentralen der Politik. Bonn insgesamt hat sich gewandelt. Hier ist das bisweilen respektheischende Flair der Macht dem geschäftigen Treiben der Dienstleistung gewichen. Schon die Silhouette zeigt die neue Priorität. Der „lange Eugen“, einst Symbol für die Präsenz der Volksvertreter, duckt sich unter dem weit höheren Posttower. Altehrwürdige Villen und Bürgerhäuser, früher einmal Begegnungsstätte von Politikern und Journalisten, wirken in dem neuen Stadtbild wie eingeklemmt zwischen funktionaler Büroarchitektur. Die Szenerie ist allerdings Ausdruck eines gelungenen Wandels. Anders als zunächst befürchtet, ist die Stadt am Rhein nach dem Umzug von Parlament und Teilen der Regierung an die Spree nicht ausgeblutet. Während in Nordrhein-Westfalen insgesamt die Zahl der Einwohner sinkt, steigt sie in Bonn – von knapp 308000 Mitte 1999 auf mittlerweile 317000. Zwischen 1996 und 2006 erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen um etwa 49000 – während gleichzeitig das politische Bonn mit fast 24000 Menschen abzog. Heute arbeiten noch rund 9000 Menschen für die Politik am Rhein. Das will Bonn auch für die Zukunft garantiert sehen. „Die von allen politischen Kräften 1991 gewollte faire Arbeitsteilung zwischen Bundeshauptstadt und Bundesstadt hat kein Verfallsdatum. Das Bonn-Berlin-Gesetz gilt“, sagt der Sprecher der Stadt, Friedel Frechen, und verweist auf den Koalitionsvertrag, in dem maßgeblich auf Betreiben des gebürtigen Bonners Guido Westerwelle nochmals festgeschrieben wurde, dass an dem Status quo nicht gerüttelt werde. Dahinter steht die Sorge der Bonn-Befürworter, die bislang positive Entwicklung könnte beeinträchtigt werden, ginge das Etikett Bundesstadt verloren. Man führt einen nicht unerheblichen Teil der Unternehmensansiedlung und auch der „Eventkultur“ darauf zurück, dass die Stadt einen besonderen Status hat. Doch räumen selbst Haushaltspolitiker der Koalition mittlerweile ein, dass das Bonn-Berlin-Gesetz irgendwann reformiert werden dürfte, dass im Laufe der Jahre alle Stellen, die für ein effizientes Arbeiten der Regierung erforderlich sind, nach Berlin gezogen werden. Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, die SPD-Abgeordnete Petra Merkel, wird konkret: „Wir müssen ein Datum festsetzen, zu dem alle Teile der Bundesregierung in Berlin zusammengeführt werden. Dafür ist eine längere Übergangszeit erforderlich. Ich kann mir das Jahr 2018 vorstellen oder 2020. Auf jeden Fall aber muss in dieser Legislaturperiode der Beschluss gefasst werden, das Prinzip der doppelten Amtssitze zu beenden.“ Wie Merkel denkt der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke: „Erste Maßnahmen der Bundesregierung zeigen, dass die Lobby der Umzugsgegner kleiner wird. So ist der entstehende Berliner Neubau des Bundesinnenministeriums ja bereits so konzipiert worden, dass auch Platz für die Bonner Beamten vorhanden ist. Das ist für mich ein gutes und wichtiges Zeichen. Ich bin davon überzeugt: Der Komplettumzug wird kommen! Je früher, desto besser. Die schwarz-gelbe Koalition sollte deshalb schleunigst einen Schlussstrich ziehen und den Umzug einleiten.“ Die Umzugsbefürworter führen gern die Kosten ins Feld, die das Prinzip der zwei Regierungssitze verursache. „Die derzeitigen Doppelstrukturen kosten nach unseren Schätzungen jährlich rund 23 Millionen Euro“, rechnet Däke vor. „Insbesondere durch Dienstreisen und Aktentransfers zwischen Bonn und Berlin, durch Arbeitszeitverluste und durch einen erhöhten Gebäudeflächenbedarf werden diese enormen Kosten verursacht.“ Doch sind die Zahlen interpretationsfähig. So könnten nicht alle Dienstreisen von Berlin gen Westen und umgekehrt als teilungsbedingte Kosten gewertet werden, sondern nur 17 Prozent, gibt die Bundesregierung Auskunft. Die übrigen fielen auch dann an, wenn in Bonn keine Regierungsbeamten mehr angesiedelt wären. Die Kostenaufstellung der Bundesregierung liegt darum auch unter der Kalkulation des Steuerzahlerbundes, nämlich bei knapp neun Millionen. Das geht aus dem Bericht hervor, der im August 2008 dem Haushaltsausschuss des Bundestages vorgelegt wurde. Nur wenige Themen mobilisieren im politischen Berlin und Bonn bis heute die Emotionen so wie der Umzug. Schließlich hängen daran Tausende Biografien. Gern gehen Politiker einer Stellungnahme aus dem Weg. Man will nicht als Ewiggestriger gelten, gleichzeitig aber auch keinen Widerstand am Rhein provozieren. Bei realistischer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass an einen Komplettumzug angesichts der leeren Haushaltskassen vorerst nicht zu denken ist: Rund zehn Milliarden Euro kostete der 1999 vollzogene Wechsel von Bundestag und etwa der Hälfte der Bundesregierung an die Spree. Wollte man den in Bonn verbliebenen Teil nachziehen, könnten die Kosten sich nach internen Berechnungen nochmals auf bis zu fünf Milliarden summieren. Ein Betrag, der im Haushalt kaum aufzubringen sein wird. Die Umzugsbefürworter konzentrieren sich deshalb nicht allein auf das Kostenargument. Petra Merkel etwa führt ins Feld, es gehe jetzt darum, die Arbeit von Parlament und Regierung effektiver zu gestalten. „Moderne Kommunikationsmittel sind zwar hilfreich. Jeder weiß aber doch, was persönliche Begegnungen für die Zusammenarbeit bringen. Das gilt für das Gespräch im Fahrstuhl und auf dem Flur, vor allem aber für die zahlreichen Veranstaltungen in Berlin. Hier in Berlin sind die Netzwerke vorhanden.“ Das Bonn-Berlin-Gesetz sei berechtigt gewesen. Doch habe es sich überlebt. „Die Entwicklung in Bonn ist positiv verlaufen. Heute lässt sich feststellen, dass Bonn angemessen dafür entschädigt worden ist, dass es zeitweise die Hauptstadtrolle übernommen hat.“ Und für Angela Merkel hat Petra Merkel gleich noch einen Rat: „Die Bundeskanzlerin könnte ein Zeichen setzen, indem sie ihren zweiten Amtssitz in Bonn aufgibt.“

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