- Lustig, lässig, Latte Macchiato
Zwar mag Bremens Wahlsieger längst feststehen, SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen wird wohl das Rennen machen. Trotzdem ist der Wahlkampf in der Hansestadt ein großer Spaß. Ausgerechnet die 62-jährige Elisabeth Motschmann hat die Politik zum Leben erweckt
Wenn die Bremer wählen müssten, wem sie ihre Kinder überlassen, hätte Elisabeth Motschmann wahrscheinlich gute Chancen: sie ist so – nett. Natürlich weiß jeder, dass die Spitzenkandidatin der Bremer CDU bei der anstehenden Bürgerschaftswahl politisch keine Chance hat. Dass sie eine Notlösung ihrer abgewrackten Landespartei ist. Um so penetranter ist der Spruch, den sie sich zurecht gelegt hat: Sie sei keine Notlösung, sondern „DIE LÖSUNG“.
[[{"fid":"65478","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":214,"width":345,"style":"margin: 3px 5px; float: left; height: 149px; width: 240px;","class":"media-element file-copyright"}}]]Motschmann ist derzeit Bundestagsabgeordnete und wurde nur deshalb ins aussichtslose Bremen-Rennen geschickt, weil die Herrenriege der Bremer CDU gerade anderes zu tun hat: das eigene Anwaltsbüro bestellen oder auf bessere Zeiten warten. Also ist die geborene Baronesse zu Düsterlohe in den Wahlkampf gezogen.
In den 80er Jahren hat sie sich einen Namen als Hausfrau aus Leidenschaft gemacht, war die Kummertante der „Funk-Uhr“ und vertrat eine Hardcore-Ethik. In Talkshows wetterte sie gegen Alice Schwarzer, sie hielt Schwulsein für eine Krankheit und tobte gegen jegliche Unmoral. Nach Motschmanns Wahl zur Spitzenkandidatin konnte man das Lachen der Bremer CDU-Männer über die „naive Elisabeth“ quasi aus der Parteizentrale hören. Inzwischen dürfte es den Herren vergangen sein. Motschmann erwartet Zugewinne, steht der Kanzlerin nahe und kann auch Köpfe rollen lassen. Wahlsiegerin ist sie schon jetzt – vielleicht gerade, weil sie verlieren wird.
Erst Spießerin, dann Revolutionärin
Ihre Vergangenheit hat die Politikerin längst über Bord geworfen. Die festsitzenden, blonden Haare sind geblieben, die schicke Hanseaten-Kleidung durch einen schwarzen Rollkragenpulli ersetzt. Ihre politische Meinung hat sich grundlegend gewandelt: Motschmann kämpft heute für die Frauenquote, die Homo-Ehe und gilt in ihrer Partei als Liberale – so hardcore wie sie früher die konservativen Werte vertrat. Damit ist die CDU-Frau so etwas wie ein reziproker Joschka Fischer.
Sie hat sich von der gutbürgerlichen Spießerin zur humanistischen Revolutionären verwandelt. Heute genießt Motschmann alles, was großstädtisch ist und irgendwie nach „Latte Macchiato“ riecht. Wenn man es gut mit ihr meint, könnte man behaupten, dass sie das ist, was die CDU für eine Großstadtpartei hält.
Das Absurde ist, dass man ihr diesen Wandel vollkommen abnimmt. Motschmann kreuzt inzwischen sogar gegen Mitternacht in Bremens kultiger Raucherkneipe „Litfass“ im ökologisch korrekten „Viertel“ auf. Und als hier ein Kampf zwischen zugezogenen Wutbürgern und den Fans der legendären Bremer Partymeile aufkam, der sogar Jan Böhmermann zum satirischen Eingreifen zwang, verteilte Motschmanns CDU kurzerhand Bierdeckel im Feindesgebiet, auf denen sie dafür plädiert, zwischen den Parteien zu vermitteln. Das ist bestechend mutig.
Im „Litfass“ bestellt Motschmann eine Weißweinschorle, raucht drei bis sieben Zigaretten und wirkt wie eine 62-Jährige in der Post-Pubertät. „Ich weiß nicht, ob das gut ist, aber ich bin die Elisabeth“, sagte sie neulich zu mir. Nein, Frau Motschmann, das ist natürlich nicht gut! Aber, verdammt, sie sagt das so selbstverständlich, dass man Angst hat, dass ihre nächste Frage sein könnte: „Darf ich Sie adoptieren?“
Themen gibt es für sie genug
Die Politikerin freut sich diebisch über ihre moderne Kampagne. Sie hat den Dresscode der Jungen Union von der Barbour-Jacke zum Kaputzenpulli mit ihrem Konterfei und dem Slogan #Motschiemachts verwandelt – natürlich mit Hashtag. Auf ihrem Handy zeigt sie jedem das neue CDU-Plakat zur Bildungspolitik: „Wenn die SPD noch länger regiert, wird es nur noch wenige geben, die dieses Plakat lesen können.“ Sie genießt die „frischen Slogans“, wie sie das nennt, in denen die CDU plakatiert: „Tatort Bremen. Aber nur im TV“. Vor fast jedem Bremer Schlagloch hat die Partei das Schild aufgestellt: „Auch an den Straßen erkennen Sie den Zustand einer Regierung“.
[[{"fid":"65473","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":231,"width":345,"style":"margin: 3px 5px; float: left; width: 345px; height: 231px;","class":"media-element file-copyright"}}]]Motschmann greift alle Themen des Schlusslicht-Bundeslandes auf: letzter bei PISA, letzter in der Kriminalitätsstatistik, letzter in den Schulden. Nur Fragen, woher sie das Geld nehmen will, etwa um 100 neue Lehrer oder neue Polizisten einzustellen, plaudert sie gut gelaunt weg. Sie verspricht einfach: „Es geht besser“ und steckt sich noch eine Zigarette an.
Der Pastoren-Gattin Motschmann macht es einen Heidenspaß, Bürgermeister Jens Böhrnsen zum TV-Duell herauszufordern, obwohl die CDU hinter den Grünen nur drittstärkste Partei in Bremen ist. Als der Amtsinhaber absagte, zettelte sie eine Kampagne über den „unsichtbaren Bürgermeister“ an und demontierte Böhrnsen, der seit zehn Jahren eher unauffällig regiert, durch seine Bürgerferne. Ganz nebenbei erzählte sie jedem Journalisten, dass FDP-Spitzenkandidatin Lenke Steiner in einem Anzeigenblatt, dem „Hanse Schnack“, behauptet hätte, „Beraterin der Kanzlerin“ zu sein. „Ich habe Frau Merkel das gezeigt, und die hat nur gelacht“, freut sich Motschmann. Es kostete Motschmann nicht mehr als ein freundliches Lächeln, um die Bremer FDP, die sich gerade neu aufbauen will, pünktlich vor der Wahl wieder zu zerlegen.
All das ist deshalb so bemerkenswert, weil Elisabeth Motschmann genau genommen keine Chance hat – weder Bürgermeisterin von Bremen zu werden, noch an der Regierung beteiligt zu werden. Seit Kriegsende wird die Stadt von der SPD regiert. Bürgermeister Böhrnsen gibt sich präsidial, erzählt ein bisschen, wie er seine Katzen füttert, dass er gern auf dem Marktplatz Kaffee trinkt, und dass er in Berlin für den Länderfinanzausgleich kämpft.
Erklärungen, warum Bremen den Schlusslicht-Status seit Jahren nicht verlassen kann, überlässt er lieber dem Koalitionspartner von den Grünen. Deren Spitzenkandidatin, Finanzsenatorin Karoline Linnert, steckt damit in der Zwickmühle. Sie erklärt mit Engelsgeduld, Sachverstand und glaubwürdigem Bedauern, dass sie nun einmal nicht mehr Geld ausgeben könne als sie zur Verfügung habe und dass es noch ein langer Weg sei, bis Bremens Finanzen konsolidiert sind. Bis dahin müsse nun einmal gespart werden. Während Motschmann den Wahlkampf zur Party erhebt, muss Linnert die rationale Spaßbremse geben. Bremen mag das gut tun, den Wahlprognosen der Grünen eher nicht.
Trotz der Vorhersagen, nach denen die Grünen von 25,5 auf 16 Prozent abschmieren (die letzte Wahl fand kurz vor Fukushima statt) und die SPD mit leichten Verlusten auf 38 Prozent kommt, ist eine Weiterführung der rot-grünen Koalition in Bremen so sicher wie Grünkohl und Pinkel nach dem ersten Frost.
Motschmann wirkt ansteckend
Motschmanns Wahlkampf-Spaß scheint die anderen Parteien allmählich anzustecken. Die Linke mit ihrer sehr sachlich argumentierenden Spitzenkandidatin Kristina Vogt wächst von 5,6 auf mindestens 6 Prozent und entwickelt eine Gaudi daran, die SPD als realpolitischen Partner ins Visier zu nehmen. Nur die FDP schafft es (trotz Lenke Steiner, der blonden Spitzenkandidatin mit RTL-Erfahrung) nicht, den Hamburg-Aufwind zu nutzen. Es ist fraglich, ob die Liberalen dieses Mal von 2,4 Prozent über die 5-Prozent-Hürde springen. Unsicher auch das Abschneiden der AfD, die vor der bundespolitischen Auflösung in den Umfragen noch bei knapp 5 Prozent lag.
Kürzlich hatte ich alle Spitzenkandidaten der großen Parteien bei mir zu Gast in einer Talkshow. Ein Zuschauer fasste die Situation so zusammen: „Das war ein großes Familiendrama. Motschmann und Böhrnsen als geschiedene Eltern – er hat längst eine Neue: Karoline Linnert. Motschmann will ihn aber zurück. Kristina Vogt, Spitzendkandidatin der Linken, wirkt wie ihr gemeinsames Kind aus erster Ehe und findet ihre Eltern nur peinlich."
Nach jahrzehntelangem, lustlosen Oppositions-Wahlkampf entsteht in Bremen dieses Jahr zum ersten Mal der Eindruck, dass es so etwas wie eine Wechselstimmung geben könnte – vielleicht gerade, weil jeder weiß, dass es nicht zum Wechsel kommt. Aber Bremen entwickelt Spaß an seiner Wahl, auch weil die Politiker wenigstens wieder so tun, als würde es Alternativen geben.
Motschmanns großer Vorteil ist, dass sie nichts zu verlieren hat: „In Berlin wohnen wir über einem herrlichen Italiener“, sagt sie – für sie keine schlechte Alternative zum verrauchten „Litfass“. Parteifreunden, die sich bereits über die 20-Prozent-Prognosen für die CDU freuen, wie etwa Alt-Spitzenkandidat Bernd Neumann, erklärt Motschmann leichtfertig: „Ach, da sind auch 25 Prozent und mehr drin.“ Wenn der Altpolitiker ihr dann erklärt, dass diese Aussage taktisch gefährlich sei, antwortet sie: „Aber ich will doch gewinnen.“ Dann lacht Motschmann und nimmt noch einen Schluck Weißweinschorle.
Ende der rot-grünen Ära?
Wahrscheinlich hat Elisabeth Motschmann mit ihrer schrägen Kampagne schon jetzt mehr erreicht als viele ihr zugetraut haben. Keinen realpolitischen Wandel in Bremen, aber einen Stimmungswandel. Die SPD unter Bürgermeister Böhrnsen wiegt sich noch in Sicherheit, aber auch ihr wird nicht verborgen bleiben, dass dieser Wahlkampf der Anfang eines Neudenkens in Bremen sein könnte. Es gibt plötzlich neue Möglichkeiten – auch, wenn sie noch unausgegoren sind.
In meiner Talkshow habe ich die Kandidaten gebeten, Wahlplakate für die Konkurrenz zu malen. Bei Jens Böhrnsen weckte das sofort klassenkämpferische Klischees. Ohne zu zögern schrieb er: „CDU – Gutes Leben nur für Reiche“. Das hat in Bremen immer funktioniert. Aber nicht mit Elisabeth Motschmann. „Frech“ findet sie das, „beleidigend“, und dann fährt sie aus der Haut: Warum die SPD denn seit Jahren nichts für die Armen getan hätte, und überhaupt – nein, das sei nun wirklich „ungezogen“. In diesen Momenten ist Motschmann ganz bei sich, da ist sie Mutter und Löwin – ob das gut ist für eine Bürgermeisterin?
Für den Wahlkampf auf jeden Fall.
Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Er moderiert die Talkshow „Er will doch nur streiten“ im Bremer Theater „Schwankhalle“, wo vor einer Woche die einzige Begegnung aller Spitzenkandidaten im gesamten Wahlkampf stattfand. Hier nachhören
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