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CDU-Spendenaffäre - Was wusste Wolfgang Schäuble wirklich?

Wolfgang Schäuble glaube nicht an Helmut Kohls Version der anonymen Spender. Das erklärt der Finanzminister in einer ARD-Doku. Er ist davon überzeugt, dass Kohl die Spender erfunden hat. Glaubt man den Aufzeichnungen des früheren CDU-Kassenwartes Uwe Lüthje, war das auch so

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Mit einer einzigen Bemerkung hat Wolfgang Schäuble eine alte Affäre zu neuem Leben erweckt. Befragt, wer denn die anonymen Spender gewesen seien, deren Namen der Ex-Kanzler Helmut Kohl im Jahr 2000 nicht nennen wollte, weil er ihnen sein Ehrenwort gegeben habe, antwortete der langjährige Kohl-Vertraute und Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden: „Es gibt keine…“ Jetzt weiß man nicht, worüber man sich mehr wundern soll: Über Schäubles Bemerkung oder über den Wirbel, den sie auslöste.

Wer vor 15 Jahren die Parteispendenaffäre verfolgte und ein einigermaßen intaktes Gedächtnis hat, kann jedenfalls nicht überrascht sein. Schäuble hat schon damals, als sich die CDU und ihr Ehrenvorsitzender Kohl wegen der Parteispendenaffäre zerlegten, Zweifel an Kohls Darstellung gehabt – und diese auch geäußert. Man kann das sogar nachlesen in Kohls Memoiren. Da beschreibt der Ex-Kanzler, wie das denkwürdige Gespräch am 18. Januar 2000 zwischen ihm und Schäuble ablief: „Zu meiner Überraschung versteigt sich Wolfgang Schäuble zu der These, in Wahrheit hätte ich überhaupt keine Spender und könne sie daher auch nicht nennen. Auf meine Frage, woher denn das Geld gekommen sei, erklärt er, es sei von irgendwelchen Konten abgebucht worden.“

Das erfundene Ehrenwort
 

Es war übrigens jene Unterhaltung, die den Bruch zwischen den beiden Politikern besiegelte. Schäuble beendete sie mit dem Satz, er habe schon genug seiner kostbaren Lebenszeit mit Kohl verschwendet – bevor er davonrollte.

Schäubles Verdacht, dass Kohl die Spender und das Ehrenwort erfunden habe, um sich und die CDU vor weiteren Nachforschungen zu schützen, wird durch das schriftliche Zeugnis eines Mannes gestützt, der mit der Schattenwelt der CDU-Finanzen bestens vertraut war. Sein Name: Uwe Lüthje. Er war jahrelang „Generalbevollmächtigter“ des CDU-Schatzmeisters Walther Leisler Kiep und kannte alle Tricks und Schliche der Geldbeschaffung. Als Kohl im Jahr 1984 wegen illegaler Spenden des Flick-Konzerns in Bedrängnis geriet, war es Lüthje, der ihm half, mit einer Falschaussage die Affäre zu überstehen. 

Lüthje starb 2003. Er hinterließ aber ein 70 Seiten langes Dokument, das er vom August 1999 bis zum Januar des Jahres 2000 handschriftlich zu Papier gebracht hatte. Es war eine Art Generalbeichte, die der zuletzt schwer an Krebs erkrankte Christdemokrat vor seinem absehbaren Tod ablegen wollte. Und wer dieses Dokument heute liest, kann besser verstehen, wieso Schäuble glaubt, dass es jene Spender gar nicht gab, denen Kohl ein Ehrenwort hätte geben müssen. Er wusste nämlich, wie es wirklich gelaufen war, denn auch er war von Lüthje persönlich bis ins Detail über die Zusammenhänge informiert worden.

Lüthjes Niederschrift beginnt mit einer Unterhaltung, zu der ihn Kohl am 6. September 1982 gebeten hatte. Kohl war damals noch Fraktionschef der CDU/CSU, aber die sozialliberale Koalition des Kanzlers Helmut Schmidt war schon zerbrochen und es war absehbar, dass er Bundeskanzler werden würde. „Kohl schimpfte über EvB (Eberhard von Brauchitsch – Red.) dessen Dummheit er es zu verdanken habe, dass er ausgerechnet jetzt mit Uralt-Spenden-Geschichten konfrontiert werde,“ schreibt Lüthje. Und weiter: „Er hatte eine Spendenliste mit vier oder fünf Positionen vor sich, deren Einzelpositionen und die dazugehörigen Zahlungstermine ich notieren musste; die Liste aber bekam ich nicht. Es waren Spenden gewesen, die er von EvB jeweils in bar erhalten hatte. Mir war dies alles neu, von Bar-Spenden von EvB – und die dann auch noch an den Parteivorsitzenden – hatte ich nie gehört.“

Kohl bat Lüthje, so heißt es weiter in dessen Aufzeichnungen: „Ich müsste mir ein Konzept und eine glaubwürdige Argumentation einfallen lassen für die Abwicklung dieser Spenden und ihre Weiterleitung in den Bereich der Schatzmeisterei. Dass dies in jedem Fall eine Argumentation an jeglicher Wahrheit vorbei sein würde, interessierte Kohl nicht.“

Der getreue Lüthje tat, wie ihm befohlen worden war. Am 15. September – zwei Wochen vor Kohls Wahl zum Bundeskanzler – war er wieder bei seinem Parteichef und schlug ihm eine Lügengeschichte vor, die er dann auch gemeinsam solange mit ihm einübte, bis „das Konzept“ in Kohls Kopf stand. „Das hatte er dann für alle Zeiten fest verinnerlicht.“ Kohls Version lautete fortan, alle Spenden, die er bar bekommen habe, hätten „vollständig zur Verfügung der Schatzmeisterei der CDU“ gestanden.

Bei der Geldübergabe sei Schäuble dabei gewesen
 

Als Kohl zum Kanzler gewählt worden war, übernahm Schäuble am 4. Oktober 1982 als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer die Fraktionskasse von seinem Vorgänger, dem Kohl-Intimus Wilhelm Rawe. Es seien „ziemlich hohe Rücklagenbeträge“ gewesen, erklärte Schäuble später nebulös. Nach Lüthjes Erinnerung waren es „4,5 bis 5 Millionen DM, es könnten auch etwas mehr als 5 Mio DM gewesen sein“. Das Geld sei ihm, Lüthje, auf Veranlassung von Kohl in Anwesenheit von Schäuble in bar übergeben worden und sollte als „eiserne Reserve“ für Notfälle in der Schatzmeisterei bereit gehalten werden. Rate erklärte später, an der Sache sei nichts dran. Auch Schäuble konnte oder wollte sich an den „ Vorgang“ nicht erinnern – "weder an die personelle Zusammensetzung noch an den Betrag“.

Die mit Lüthje eingeübte Lügengeschichte hatte Kohl noch parat als die Flick-Affäre aufkam. Der Kanzler habe sie, wie sich Lüthje erinnerte, „in allen Details noch sehr präsent gehabt, … als er im November 1984 vor den Flick-Untersuchungsausschuss musste.“ Damals nämlich seien die Barspenden „bis zur Brisanz akut“ geworden.

„Noch schlimmer“, berichtet Lüthje, „kam’s dann noch einmal fast zwei Jahre später, als im Zuge der Schily'schen Strafanzeige gegen Helmut Kohl nicht nur Details der Abwicklung der 1982 aufgebrachten Spenden von den Staatsanwälten in Bonn und Koblenz abgefragt wurden, sondern darüber hinaus bekannt wurde, dass es noch zwei weitere Barspenden von EvB gegeben hatte, die in der Liste von 1982 nicht enthalten waren. Wie das passieren konnte, wusste – als das Kind im Brunnen lag – natürlich niemand mehr. Mit der Integration dieser natürlichen Spenden in unser ‚Konzept’ gab es, wie Lüthje es zurückhaltend formuliert, „einige Argumentationsschwierigkeiten“.

Dass Kohl, für den Lüthje durch dick und dünn ging, Lüthje Anfang der 1990er Jahre im Ruhestand völlig vergaß, vermerkt Lüthje mit Bitterkeit. Erst 1999 als die Spendenaffäre mit einem Haftbefehl gegen den früheren Schatzmeister Kiep ins Rollen kam, wurde auch Lüthje wieder aktiv. Mit seinem Freund Horst Weyrauch, der wie er in alle Geheimnisse der Schatzmeisterei eingeweiht war, beriet er bei einem Treffen über mögliche Konsequenzen. „Wenn das Gesamtsystem der Anderkonten des Kohlschen Spezialfinanzierungssystems entdeckt werden und auffliegen sollte, muss es eine Katastrophe mit unabsehbaren Folgen geben,“ vermerkte er in seinen Aufzeichnungen. Weyrauchs Antwort: „Das kann eigentlich nicht passieren. Wenn’s doch passieren sollte, wäre es natürlich ‚die’ Katastrophe.“

Was wusste Wolfgang Schäuble?
 

Die schlimmen Ahnungen erfüllten sich. Und nun suchte Lüthje, inzwischen war Kohl abgewählt und Schäuble Nachfolger an der Spitze der Partei, den neuen Parteivorsitzenden auf, um ihn, wie er schrieb, vor dem zu warnen, „was auf ihn zukommen würde.“ Lüthje schilderte das Gespräch mit Schäuble so: Er habe an die Szene vom Herbst 1982 erinnert, als Rawe ihm die Millionensumme in Anwesenheit Schäubles in bar übergab. Er habe Schäuble eindringlich gewarnt, die Aufklärung der Sache müsse für die Partei in der Katastrophe enden. Zum Abschied habe ihm Schäuble nachgerufen, dieses Gespräch habe „nie stattgefunden“. Tatsächlich beteuerte Schäuble noch im Jahr 2000, als man ihn mit Lüthjes Aufzeichnungen konfrontierte, er habe mit ihm nur über dessen Krebserkrankung geredet.

Schwer vorstellbar, dass es wirklich so war. Viel wahrscheinlicher ist, dass Schäuble im Januar 2000 genau wusste, dass die Millionen, die 1982 in die Schatzmeisterei der CDU gewandert waren, aus den schwarzen Kassen des Vorsitzenden Kohl stammten, und nicht von anonymen Spendern. Als er dies dem ehemaligen Freund und Weggefährten wütend an den Kopf warf, lag seine Unterhaltung mit Lüthje nur wenige Tage oder Wochen zurück.

Lügen haben kurze Beine, heißt es im Volksmund. Aber es gibt auch welche, die laufen trotzdem viele Jahrzehnte. Jedenfalls drängt sich heute, beim erneuten Studium der Lüthje-Papiere, tatsächlich der Verdacht auf, dass Kohls „Ehrenwort-Version“ nichts anderes war als eine Fortsetzung einer langen Lügengeschichte, die der CDU-Chef schon in den 1980er Jahren mit seinem Kassenwart Lüthje einstudiert und in seinem Kopf „verankert“ hatte.

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