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(picture alliance) Bundesbildungsministerin Annette Schavan

Annette Schavan - Wann ist ein Plagiat ein Plagiat?

Die Bundesbildungsministerin und Professorin Annette Schavan wird wegen ihrer Doktorarbeit angegriffen. Sie hat abgeschrieben - wenn auch nicht so schlimm wie Guttenberg.

Es geht um ihre Glaubwürdigkeit: Ein anonymer Blogger wirft Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) auf der Internetseite „Schavanplag“ vor, in ihrer Dissertation plagiiert zu haben. Schavans Doktorarbeit im Fach Erziehungswissenschaft der Universität Düsseldorf ist 32 Jahre alt und trägt den Titel „Person und Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen“. Die Arbeit wurde mit der zweitbesten Note „magna cum laude“ bewertet. Die Universität Düsseldorf will in der nächsten Woche eine Kommission einsetzen, die den Vorwürfen nachgehen soll.

Wie gravierend sind die Vorwürfe gegen Schavan?

Wer geistiges Eigentum unbefugt verwertet und sich die Autorschaft anmaßt, plagiiert.

So oder ähnlich steht es üblicherweise in den Satzungen der Universitäten zu guter wissenschaftlicher Praxis. Doch nicht jede Nachlässigkeit ist schon ein „Plagiat“, sagt ein Professor, der sich in einer Uni-Kommission schon mehrfach mit Plagiatsvorwürfen auseinandersetzen musste und anonym bleiben will. Bei einem „Plagiat“ werde eine „fremde Idee“, die „wissenschaftlich originell“ sei, ohne Nennung der Autorschaft übernommen.

Aber nicht immer lasse sich leicht sagen, ob die ohne Quellenangabe verwendete Passage wirklich „wissenschaftlich originell“ ist. So hat Schavan in ihrer Dissertation etwa eine Zusammenfassung paraphrasiert, die der Wissenschaftler Ernst Stadter aus einem Text von Sigmund Freud generiert hat. Die Düsseldorfer Kommission müsste nun bestimmen, ob die Zusammenfassung des Freudschen Texts durch Stadter eine nennenswerte „Rezeptionsleistung“ des Werks von Freud darstellt, ob also Stadter komplexe Gedanken des Psychoanalytikers so dezidiert auf den Punkt bringt, dass es sich um mehr handelt als um eine blasse Inhaltsangabe.

Die Freud-Passage ist eine von sechs Stellen, die der anonyme Plagiatsjäger von „Schavanplag“ als „herausragend“ gekennzeichnet hat. An den anderen Stellen ist ein ähnliches Muster zu erkennen. Schavan gibt Zusammenfassungen bestimmter Theorien als eigenen Text aus, obwohl sie die Zusammenfassungen von anderen Wissenschaftlern übernommen und nur leicht abgewandelt hat. Die Passagen sind jeweils zwei bis drei Absätze lang. Statt auf die von ihr paraphrasierten Forscher weist Schavan dabei meistens auf die Originalquelle, also etwa Freud, hin. Sie scheint damit also zu reflektieren, dass in einer Doktorarbeit Quellenarbeit erwartet wird. Deutlich wird das zum Beispiel an einer Stelle, in der es um die Entwicklungstheorie des österreichischen Psychologen Igor Caruso geht. Schavan gibt an dieser Stelle Verweise auf vier verschiedene Caruso-Texte an. Tatsächlich hat sie laut „Schavanplag“ in dieser Passage jedoch eine Caruso-Arbeit des Wissenschaftlers Antoni J. Nowak paraphrasiert – und aus dessen Arbeit die Quellenhinweise gleich mit übernommen.

Bei den weiteren 50 Fundstellen handelt es sich um unsaubere Zitierweisen. Schavan nennt zwar in einer Fußnote ihre Quelle, aber die Hinweise beziehen sich jeweils auf eine weit kürzere Passage, als sie tatsächlich übernommen hat. Unter Plagiatsspezialisten wird so ein punktueller Beleg als „Bauernopfer“ bezeichnet: Der punktuelle Beleg kaschiert, dass in Wirklichkeit ein längerer Fremdtext als eigene Leistung ausgegeben wurde.

Welche Folgen haben die Funde?

Käme die Düsseldorfer Uni-Kommission zu dem Schluss, dass die von Schavan übernommenen Passagen nicht als „wissenschaftlich originell“ eingestuft werden, würde es wohl auch keinen Unterschied machen, dass sie offensichtlich mehrfach so verfahren ist, sagt der Professor. Es entstünde lediglich der Eindruck, Schavan habe bisweilen „unsauber“ gearbeitet. Ihr dafür den Doktortitel zu entziehen, wäre unverhältnismäßig. So durfte zum Beispiel der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) seinen Doktortitel behalten. Die Universität Potsdam monierte im vergangenen Dezember an seiner Arbeit zwar zahlreiche formale Mängel, konnte eine vorsätzliche Täuschung aber nicht erkennen.

Michael Seadle, Professor für Bibliothekswissenschaften an der Humboldt-Universität und Mitglied der Kommission für wissenschaftliches Fehlverhalten, mahnt zudem zur Vorsicht mit Vorwürfen: „Wir spielen mit dem Leben von Menschen.“ Manche Leute hätten einfach ein außergewöhnlich gutes Textgedächtnis. Gelesenes bliebe ihnen genau in Erinnerung, sie gäben es wieder in dem Glauben, es seien die eigenen Gedanken. Plagiatoren müssten „systematisch bestraft“ werden, die Kommissionen müssten sich die Fälle aber sehr genau ansehen.

Wie groß ist der Glaubwürdigkeitsverlust?

Selbst wenn Annette Schavan in ihrer Dissertation unsauber gearbeitet hat, erreichen die Vorwürfe auf „Schavanplag“ nicht annähernd das Ausmaß des Falls Guttenberg. Allerdings stehen die Nachlässigkeiten in ihrer Dissertation in besonders markantem Kontrast zu der Art und Weise, wie Schavan sich in der Guttenberg-Affäre exponiert hat. Im März 2011 erklärte sie dazu: „Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich.“ Und sie fügte hinzu: „Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt. Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein hohes Gut.“

Michael Hartmann, Soziologe an der TU Darmstadt, sagt: „Schavan hat sich als Gralshüterin der Wissenschaft präsentiert. Jetzt sieht man, dass sie den eigenen hehren Ansprüchen auch nicht ganz genügt.“ Schavan habe die Bedeutung von Leistung auch sonst gerne betont. Tatsächlich hat Schavan ein Image als gebildete Frau und ernst zu nehmende Intellektuelle, die Freie Universität berief sie als Honorarprofessorin. Schavans politisches Lieblingsthema ist die Förderung begabter Doktoranden, früher arbeitete sie selbst im Bischöflichen Cusanuswerk. Im Tagesspiegel erklärte Schavan einst: „Ich wünsche mir viel mehr Bildungsbürger.“ Nun muss Schavan mit dem Eindruck leben, sie habe in ihrer Dissertation mehrfach den Weg des geringeren Widerstands gewählt. Da Schavan Bundesbildungsministerin ist, könnte ihr Ansehen gerade in der scientific community leiden.

Wie gut ist ihr Krisenmanagement?

Schavan hat sofort versucht, die Initiative zu ergreifen. Sie hat den Blogger von „Schavanplag“ aufgefordert, seine Anonymität aufzugeben und mit ihr selbst zu diskutieren. Außerdem hat sie die Universität Düsseldorf aufgefordert, ihre Dissertation zu überprüfen. Diese ließ jedoch wissen, sie verfahre, wie es in diesen Fällen üblich sei. Ungeschickt war jedenfalls Schavans Äußerung gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: Man könne nie ausschließen, dass ähnliche Gedanken oder Formulierungen auch in anderen Werken stünden, erklärte Schavan. Dies geht vorbei an den Vorwürfen gegen sie.

Wie reagiert die Politik?

Die bildungspolitischen Sprecher von SPD und Grünen haben bereits am Mittwoch Aufklärung von Schavan gefordert. In den Reihen der Regierungskoalition ist es noch recht ruhig. Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Meinhardt, sagt dem Tagesspiegel zwar, dass es richtig sei, ein wissenschaftsgeleitetes Verfahren einzuleiten. „Aber Stand jetzt kann man sagen: Frau Schavan genießt unser vollstes Vertrauen, und ich glaube auch nicht, dass sie allein durch eine Überprüfung einen Reputationsverlust erleiden wird.“ Die Wissenschaft dürfe bei der Beurteilung von Zitierweisen nicht päpstlicher sein als der Papst. Meinhardt kritisiert zudem die Anonymität der Plagiatsjäger. „Ich halte von dieser Anonymitätskultur gar nichts, denn ich hoffe, dass wir in Deutschland so weit sind, dass man nicht gleich um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, wenn man eine Doktorarbeit überprüft.“

Erich Thies, der einstige Generalsekretär der Kultusministerkonferenz (CDU) und Freund Schavans, hält die Vorwürfe auf „Schavanplag“ für „dubios“. Vermutlich handle es sich um eine „Retourkutsche“ gegen Schavan aus Bayern, weil die Ministerin sich in der Guttenberg-Affäre hervorgetan hat: „Die Medien müssen aufpassen, dass sie sich nicht für solche politischen Zwecke missbrauchen lassen“, sagte Thies.

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